Übersetzen kann doch jeder, oder?!

1. 7. 2014

Als junge angehende Übersetzerin bin ich ständig mit Vorurteilen über ÜbersetzerInnen und über das Übersetzen konfrontiert. Generell teile ich die (von mir) so genannten Nichtübersetzer in zwei Gruppen ein.

Zur ersten Gruppe gehören Menschen, die keine ausgebildeten ÜbersetzerInnen sind und die sich auch nie im Leben mit dem Übersetzen beschäftigt haben. Von ihnen höre ich immer dieselben Fragen: »Bedeutet das, dass du ganze Wörterbücher auswendig kannst? Sag mal, wie heißt »[beliebiges Wort einsetzen]« auf Deutsch/Englisch/[beliebige Sprache einsetzen]?« Und manchmal folgen solchen Fragen noch aufdringliche Bitten im Sinne von »Könntest du mir vielleicht diese zwei Seiten ganz schnell übersetzen? Das muss nicht genau gemacht werden, nur so, ganz schnell.« Natürlich denken sie im Traum nicht daran, mir für diese »ganz schnelle« Übersetzung auch nur einen einzigen Cent zu bezahlen. Ihrer Meinung nach braucht man für eine zweiseitige Übersetzung »so ungefähr dreißig Minuten«. Und eine halbe Stunde würde ich doch gerne opfern, um ihnen diesen Gefallen zu erweisen. Dabei wird deutlich, dass sie weder mir noch meinem Beruf gegenüber Respekt zollen.

Zur zweiten Gruppe gehören Menschen, deren Meinung nach man als Übersetzer nur den Ausgangstext verstehen muss. Solche Menschen bitten mich erst dann um Hilfe, wenn ihre Übersetzung von jemandem (meistens ist es ihr Professor) abgelehnt wird, weil sie einfach nicht verständlich ist. Diese Typen von Nichtübersetzern wissen zwar, dass man zwei Seiten nie in dreißig Minuten übersetzen kann, sie denken jedoch, dass man eine schlechte zweiseitige Übersetzung in dreißig Minuten in eine gute verwandeln kann.

Mein Vorschlag für die Nichtübersetzer aus der ersten Gruppe wäre, ein kleines Experiment durchzuführen, in dem sie einen mittelschweren Text mit vierzig Wörtern übersetzen. Dasselbe Experiment machte ich vor kurzem mit meiner Schwester, die natürlich keine Übersetzerin ist, die aber im Fremd- und Muttersprachenunterricht immer eine ausgezeichnete Schülerin war. Am Ende stellte sie erstaunt fest, dass man sehr viel Zeit braucht, um einen so kurzen Text zu übersetzen – sie brauchte zwanzig Minuten.

Und mein Vorschlag für die Nichtübersetzer aus der zweiten Gruppe lautet: Wenn es so leicht ist, aus einer schlechten eine gute Übersetzung zu zaubern, dann tun Sie es doch selbst. Dabei passen Sie aber auf, dass sie nicht mehr als fünfzehn Minuten pro Seite brauchen.

von Ana Dejanović

Der Erwartungshorizont und das Übersetzen

26. 4. 2014

Die Literaturtheorie befasste sich lange vor allem mit Texten und deren Autoren. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben aber einige Theoretiker, z.B. Wolfgang Iser, Hans Robert Jauß, Roland Barthes u. a. den Leser in den Vordergrund gestellt. Sie gingen davon aus, dass ein Text keine ständige bzw. bestimmbare Bedeutung hat, sondern dass sich diese immer in Interaktion mit dem Leser herausbildet. Weil sich Normen, Konventionen und ästhetische Kriterien in verschiedenen Epochen und Kulturen stark voneinander unterscheiden können, und deshalb auch die Erwartungshorizonte der Leser verschieden sind, kann ein Werk auch verschieden interpretiert werden. Werke, die zu einem Zeitpunkt den Erwartungshorizont zu weit überschreiten, werden oft kritisiert oder übersehen. Ist jedoch ein solches Werk erfolgreich, kann es den Erwartungshorizont der Leser verändern, wie Hans Robert Jauß in seiner Monographie Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik (1984) feststellt.

Auch ein Übersetzer ist am Anfang „nur“ ein Leser, seine Interpretation kann aber die Interpretationen der anderen Leser in der Zielkultur beeinflussen. Aufgrund seiner Interpretation entscheidet sich der Übersetzer nämlich für eine bestimmte Übersetzungsstrategie. Falls innovative oder provokative Elemente des Originals in der Übersetzung verloren gehen, kann das bewirken, dass die Interpretationsmöglichkeiten des Werkes eingeschränkt werden, und das beeinflusst wiederum die Rezeption. Werke, die potentiell den Erwartungshorizont der Zielleser zu weit überschreiten würden, werden bei der Übersetzung oft absichtlich angepasst; in dem Zusammenhang kann man auch von Manipulation reden.

 von Janko Trupej

Walter Benjamin und „die reine Sprache“ / Walter Benjamin in „čisti jezik“

10. 11. 2013

In seinem einflussreichen Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“ (1923) behauptet Walter Benjamin, die wesentliche Aufgabe des Übersetzers sei nicht den Sinn des Originaltextes sondern seine Form zu übermitteln, denn die Form sei beim Übersetzen das Wichtigste. Er bezieht sich auf die biblische Erzählung „Der Turmbau zu Babel“: Alle Welt bediente sich einst einer einzigen gemeinsamen Sprache und erst nach der „Babylonischen Sprachverwirrung“ existierte diese heilige, „reine“ Sprache nicht mehr. Seitdem seien alle Sprachen unvollkommen und streben deshalb nach Ergänzungen, um sich damit der einstigen Ursprache wieder zu nähern. Laut Benjamin ist deshalb die Aufgabe des Übersetzers „[j]ene reine Sprache, die in fremde gebannt ist, in der eigenen zu erlösen […].“ Die Form des Textes ist deswegen wichtiger als sein Sinn, weil man durch das Eindringen einer Sprache in eine andere der „reinen Sprache“ wieder näher kommt.

Walter Benjamin ist also ein Befürworter der verfremdenden Übersetzung. Aber während z. B. Friedrich Schleiermacher in seiner Abhandlung mit dem Titel „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ [1813] (siehe auch den Beitrag von Claudia Dathe) das verfremdende Übersetzen befürwortet, weil er unter anderem meint, dass dadurch jeweilige Sprache und Kultur bereichert werden, hat bei Benjamin die Verfremdung keinen pragmatischen, sondern einen mystischen Hintergrund.

 von Janko Trupej

 

Walter Benjamin in »čisti jezik«

V vplivnem sestavku z naslovom »Naloga prevajalca«* [1923] Walter Benjamin trdi, da bistvena naloga prevajalca ni posredovati smisel izvirnika, temveč da je pri prevajanju najpomembnejša oblika. Naveže se na biblično zgodbo o Babilonskem stolpu, po kateri naj bi nekoč ves svet imel skupen jezik, vendar je zaradi babilonske zmešnjave jezikov ta sveti, »čisti« jezik prenehal obstajati. Vsi jeziki naj bi bili od tega trenutka dalje nepopolni in zato stremijo k dopolnitvi oz. se želijo zopet približati temu prajeziku. Benjamin zato meni, da je prevajalčeva naloga, »da odreši v svojem jeziku ta čisti jezik, ki ga je uročil neki drug jezik […].« Oblika besedila naj bi bila torej pomembnejša od pomena, ker se s prodiranjem enega jezika v drug jezik zopet približamo »čistemu jeziku«.

Walter Benjamin je torej zagovornik potujitvenega prevajanja. Toda medtem ko npr. Friedrich Schleiermacher v svojem sestavku z naslovom »O različnih metodah prevajanja«* [1813] potujitveno prevajanje zagovarja, ker med drugim meni, da le-to bogati jezik in s tem tudi kulturo, potujevanje pri Benjaminu nima pragmatičnega, temveč mistično ozadje.

 

Janko Trupej

* Besedili »Naloga prevajalca« (v prevodu Nike Kocijančič Pokorn) in »O različnih metodah prevajanja« (v prevodu Gorazda Kocijančiča) sta izšli v publikaciji Misliti prevod (Študentska založba, 2003).

Reicht ein Eigenname?

8. 10. 2013

Beim letzten Skype-Meeting der ukrainisch-deutschen Übersetzergruppe, beschäftigten wir uns unter anderem mit der Frage, ob ein Eigenname in der Übersetzung ausreichend ist, um all die Hintergrundinformationen mitzulieferen, die er im Original unweigerlich liefert. Konkret ging es um einen Straßennamen in folgendem Satz aus Jurko Isdryks Text “НАСЕРЕДИНІМІСТА”:

“І чому так просто з проспекту Свободи потрапити на Соловецкую, а з алеї Незалежності – на 2-й Устюглагерный Проулок.”

Woran denken deutschsprachige Leser/innen, wenn sie “Solowezka-Straße” hören? Sagt ihnen der Name Solowezki oder Solowki etwas? Womit verbinden ihn ukrainischsprachige Leser/innen?

Unsere erste Idee war, die Straße im Deutschen als Lager-Solowki-Straße auf dem Straßenschild erscheinen zu lassen, um den Leser/innen der Übersetzung einen Denkanstoß in die gemeinte Richtung zu geben. Was bewirkt der Zusatz “Lager”? Können deutschsprachige Leser/innen nun eher die Verbindung zum sowjetischen Straflager auf den Solowezki-Inseln herstellen? Oder ist das Wort “Lager” zu allgemein gehalten, um den gewollten Zweck zu erfüllen? Wäre der Zusatz “Gulag” besser geeignet oder ist das ein zu starker Fingerzeig?

Die grundlegende unter all diesen Fragen ist, ob denn nicht allen, die Interesse an ukrainischer Literatur haben, klar ist, was auf den Solowezki-Inseln geschah. Kann und soll man voraussetzen, dass alle Leser/innen ukrainischer Literatur mit Alexandr Solschenizyns Werk und der Geschichte der Sowjetunion vertraut sind?

von Nina Hawrylow

Status prevoda (slowenisch) / Der Status der Übersetzung (deutsch)

1. 10. 2013

Že od nekdaj je prevajalska dejavnost prinašala le malo prestiža; medtem ko se je slavilo ustvarjalnost avtorjev, so bili prevajalci in prevajalke v očeh marsikoga le nekakšni obrtniki.  Tudi prevodu se je torej v primerjavi z izvirnikom pripisoval manjši pomen. V prispevku z naslovom »Babilonski stolpi«* [1985] (2003) pa Jacques Derrida sicer izrazi mnenje, da ima prevajanje velik pomen; le v primeru, da je neko delo prevedeno, lahko trdimo, da je izvirnik edinstven oz. neponovljiv. Zaradi tega naj bi bil izvirnik prevodov »dolžnik«. (Walter Benjamin medtem v sestavku z naslovom »Naloga prevajalca«* [1923] (2003) govori o »preživetju« literarnih del s pomočjo prevodov.) Derrida je mnenja, da so prevajalci ustvarjalni pri izboru izrazov, s katerimi podajo pomen izvirnika. Naveže se tudi na Henrija Desboisa, ki v publikaciji z izvirnim naslovom Le droit d’auteur en France [1978] trdi, da so tudi prevajalci ustvarjalni, saj v prevode »vnesejo nekaj svojega«; Desbois kot dokaz navede dejstvo, da različni prevajalci istega besedila nikdar na prevedejo enako.

V preteklih stoletjih prevajalci v prevedenih delih pogosto niso bili niti navedeni, toda do danes se je to precej spremenilo; na spletni strani avstrijskega poklicnega združenja tolmačev in prevajalcev UNIVERSITAS Austria lahko npr. preberemo naslednje: »Prevajalci in prevajalke so lastniki avtorskih pravic svojih prevodov in morajo paziti na to, da je v publikacijah navedeno njihovo ime.« Tudi avstrijsko vrhovno sodišče se je v okviru nekega pravnega spora ukvarjalo s problematiko avtorskih pravic pri prevodih in je odločilo, da »zaradi idiomatske raznolikosti prenos v drug jezik – razen v izrednih primerih – od prevajalca zahteva individualne storitve« in je zato avtorskopravno zaščiten; več o tem lahko preberete tukaj. Čeprav položaj prevajalcev še zdaleč ni popoln, lahko torej zaključimo, da se je v preteklih desetletjih izboljšal.

Avtor: Janko Trupej
*
Besedili sta v prevodu Nike Kocijančič Pokorn izšli v publikaciji Misliti prevod (Študentska založba, 2003).

Seit jeher brachte die Tätigkeit eines Übersetzers nur wenig Prestige mit sich;  während die Kreativität der Autoren gepriesen wurde, waren Übersetzer und Übersetzerinnen in den Augen vieler nur eine Art Handwerker. Auch der Übersetzung wurde im Vergleich zum Original also eine geringere Wichtigkeit zugeschrieben. In einem Aufsatz mit dem Originaltitel „Des Tours de Babel“ (1985) behauptet Jacques Derrida aber, dass das Übersetzen von großer Bedeutung ist; nur im Falle, dass ein Werk übersetzt wird, kann man behaupten, dass das Original ein Unikat bzw. unwiederholbar sei. Deswegen sei das Original ein „Schuldner“ der Übersetzung. (Walter Benjamin spricht hingegen in „Die Aufgabe des Übersetzers“ (1923) vom Fortleben von literarischen Werken durch Übersetzungen.) Derrida meint Übersetzer seien kreativ in der Wahl von Ausdrücken, mit denen sie die Bedeutung des Originals wiedergeben. Er bezieht sich auch auf Henri Desbois, der in seiner Publikation mit dem Titel Le droit d’auteur en France (1978) behauptet, dass auch Übersetzer kreativ sind, weil sie in ihre Übersetzungen „etwas eigenes einbringen“; ein Beweis dafür soll laut Desbois auch die Tatsache sein, dass verschiedene Übersetzer den gleichen Text nie gleich übersetzen.

In den vergangenen Jahrhunderten wurde in einem übersetzten Werk der Übersetzer oft nicht einmal angegeben, aber das hat sich inzwischen einigermaßen geändert; auf der Website des österreichischen Berufsverbandes für Dolmetschen und Übersetzen UNIVERSITAS Austria kann man z.B. folgendes lesen: „ÜbersetzerInnen haben ein Urheberrecht an ihren Übersetzungen und sollten darauf achten, dass in Publikationen ihr Name genannt wird.“ Auch der Oberste Gerichtshof Österreichs befasste sich im Rahmen eines Rechtsstreits mit Fragen des Urheberrechts von Übersetzungen und entschied, dass eine „Übertragung in eine andere Sprache aufgrund der idiomatischen Verschiedenheit – von ganz außergewöhnlichen Fällen abgesehen – eine individuelle Leistung des Übersetzers erfordert“ und deshalb urheberrechtlich geschützt ist – mehr darüber können sie hier lesen. Obwohl die Lage des Übersetzers noch viel zu wünschen übrig lässt, kann man also die Schlussfolgerung ziehen, dass sie sich in den letzten Jahrzehnten einigermaßen verbessert hat.

von Janko Trupej

Die Anfänge der Translationswissenschaft: Cicero, Hieronymus und Luther

5. 9. 2013

Schon im alten Ägypten existierte unter den Namen „Dragomane“ eine Berufsgruppe der Übersetzer bzw. Dolmetscher, aber einer der ersten, der sich mit den theoretischen Aspekten des Übersetzens auseinandergesetzt hat, war Marcus Tullius Cicero (106–43 v. u. Z.). In einem Aufsatz mit dem Titel „De Optimo Genere Oratorum“ befasste sich dieser altrömische Gelehrte mit der Frage, welche die beste Art der Rhetorik ist und im Rahmen dieser Problematik berührte er auch das Übersetzen. Er erklärte, dass er griechische oratorische Texte nicht Wort für Wort übersetzt, sondern dass er die Figuren und Gedanken im Lateinischen so wiedergibt, dass sie für den Leser bzw. Hörer natürlich klingen, wobei er darauf achtet, dass die beiden Texte auch stilistisch ähnlich sind.

Jahrhunderte später wurde dem Kirchenvater Sophronius Eusebius Hieronymus (347–420 u. Z.) vorgeworfen, dass er in einer seiner Übersetzungen einige Ausdrücke nicht korrekt übersetzte. In einem Brief (heute unter dem Titel „Über die beste Art zu übersetzen“ bekannt) adressiert an Pamacchius, einen seiner Freunde, verteidigte Hieronymus  seine Übersetzungsstrategie unter anderem mit einem Zitat von Cicero und behauptete, dass er so wie jener nicht Wort für Wort, sonder Sinn für Sinn übersetzt. Er bezog sich zudem auf die Übersetzungen von Horaz, Terenz, Plautus und Caecilius, die ähnliche Übersetzungsstrategien gehabt haben sollen. Im Weiteren verdeutlicht er mit zahlreichen Beispielen aus der Septuaginta, dass sogar beim Übersetzen der Bibel nicht auf einzelne Wörter geachtet wurde, sondern dass der Sinn wiedergegeben wurde.

Im 16. Jahrhundert musste auch Martin Luther (1483–1548) seine Art des Übersetzens vor Kritiken verteidigen. Als er beschuldigt wurde, dass er beim Übersetzen der Bibel eigenwillig Elemente zufügte, antwortete er in einem Brief,  der uns heute als „Sendbrief vom Dolmetschen“ bekannt ist, dass er nur den Text der Zielsprache angepasst hat; er wollte, dass der Text im Deutschen natürlich klingt, so dass ihn auch gewöhnliche Menschen verstehen können.

In späteren Jahrhunderten haben sich zahlreiche Übersetzungstheoretiker – vor allem jene, die das Zielsprachlich orientierte Übersetzen befürworteten – auf die Ansichten von Cicero, Hieronymus und Luther gestützt, deshalb könnte man diese drei Autoren zu den Urvätern der Translationswissenschaft zählen.

von Janko Trupej

Zehnte Erlanger Übersetzerwerkstatt – Wertvolles für die praktische Arbeit der Literaturübersetzer

3. 9. 2013

Im Rahmen des 33. Erlanger Poetenfests fand die zehnte Erlanger Übersetzerwerkstatt als öffentliches Arbeitstreffen mit Marica Bodrožić, Christian Filips, Matthias Göritz, Ursula Gräfe, Kristina Kallert, Esther Kinsky, Bert Papenfuß, Steffen Popp und Yoko Tawada statt.

Anhand der von Kristina Kallert übersetzten Erzählungen der Chassidim des mit Franz Kafka befreundeten Jiři Mordechai Langer wurden die Möglichkeiten veranschaulicht, wie die im Original vorhandene Dramatik in der Übersetzung beibehalten werden kann. Hilfreich ist auf die Diversität der Verben zu achten und die Betonungen im Original als solche zu erkennen und übertragen. Über die Frage, wie viel Freiheit beim Übersetzen erlaubt (aber auch sinnvoll) ist, konnte am Beispiel der Übersetzung des Langgedichts “Solaris korrigiert” von Øyvind Rimbereid diskutiert werden. Bert Papenfuß übertrug dieses Werk in eine utopische Ostseesprache, dabei wurden die im Original in englischer Sprache erscheinenden Texte ins Russische übertragen. Die Teilnehmer und das Publikum mutmaßten, dass das norwegische Original mehr Leser erreicht als seine Übersetzung ins Plattdeutsche. Ursula Gräfe übersetzte den Roman “Gefährliche Geliebte” von Haruki Murakami zum ersten Mal direkt aus dem japanischen Original ins Deutsche. Der Vergleich mit der ersten deutschen Übersetzung aus dem Amerikanischen öffnete viele Fragen: Inwiefern hängt die Übersetzung von der übersetzten Vorlage und inwiefern von der übersetzerischen Freiheit des zweiten Übersetzers ab? Wie wurde die erste, als Vorlage dienende Übersetzung von marktspezifischen Vorgaben des Verlegers beeinflusst, sind diese auch im zweiten Zielland relevant und überhaupt erwünscht? Esther Kinsky las aus dem Essay “Fremdsprechen” über das Übersetzen, den Umgang mit zwei Sprachen und die sprachlosen Räume dazwischen. Von Übersetzungen, Sprachinseln im Alphabet und unstabilen Erinnerungen handeln die Bücher von Marica Bodrožić. Die Autorinnen Kinsky und Bodrožić, die auch als Übersetzerinnen tätig sind, diskutierten über die Notwendigkeit, die übersetzerische Tätigkeit zeitlich vom Schreiben  abzugrenzen und für die Übersetzung Texte zu wählen, die sich vom eigenen Stil unterscheiden. Im Werk der deutsch-japanischen Autorin und Preisträgerin des fünften “Erlanger Literaturpreises für Poesie als Übersetzung” Yoko Tawada geht es um “Überseezungen”: “Wenn ich schreibe, ist das immer eine Übersetzung im weiteren Sinne.” Durch interessante Gespräche vermittelte die Veranstaltung Wertvolles für die  praktische Arbeit der Literaturübersetzer.

 von Karmen Schödel

Der Skopos

23. 7. 2013

Die Übersetzungstheorie war Jahrhunderte lang äquivalenzorientiert; die Frage, wie Äquivalenz zwischen Ausgangs- und Zieltext erreicht werden kann, war im Vordergrund. In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts begannen jedoch einige Autoren, z.B. die Vertreter der so genannten Manipulation School darauf hinzuweisen, dass beim literarischen Übersetzen ein gewisser Grad Manipulation präsent ist; in der Praxis ist das Streben nach Äquivalenz also oft eine Illusion.

Zu einem Paradigmenwechsel kam es unter anderem aufgrund der Skopostheorie (entwickelt von Hans J. Vermeer in Zusammenarbeit mit Katharina Reiß), die keine Funktionsgleichheit des Originals und der Übersetzung mehr verlangt; der Skopos bzw. Zweck der Übersetzung soll nämlich das sein, was die Übersetzungsstrategie bestimmt. Der Ausgangstext ist nur noch ein „Informationsangebot“ und von der Funktion, die der Zieltext haben soll, hängt es ab, welche Elemente des Ausgangstextes transferiert werden. Wenn z.B. ein Text für Erwachsene verfasst wurde, die Zielgruppe der Übersetzung aber Kinder sind, ist die Funktion beider Texte oft nicht die Selbe; falls die Übersetzung eine pädagogische Funktion haben soll, werden Elemente die dieser Funktion zuwiderlaufen ausgelassen.

Die Skopostheorie wurde schnell – vor allem im Deutschsprachigen Raum – sehr einflussreich, sie stieß aber auch auf Kritik; einen Überblick der Kritiken findet man in dem Aufsatz Skopos theory: a retrospective assessment (2010) von Andrew Chesterman. Viele haben z.B. befürchtet, dass das Konzept des Skopos dem Übersetzer „freie Hand lässt“. Christiane Nord versuchte deshalb die Skopostheorie mit den Äquivalenztheorien kompatibel zu machen und hat ein Loyalitätsprinzip eingeführt: Der Übersetzer soll immer zur Loyalität gegenüber dem Zielpublikum und dem Autor des Ausgangstexts verpflichtet sein; der Skopos der Übersetzung soll der Intentionen des Autors nicht zuwiderlaufen.

Einen Überblick der Entwicklung der Skopostheorie und Reaktionen darauf findet man in Entwicklungslinien der Translationswissenschaft: Von den Asymmetrien der Sprachen zu den Asymmetrien der Macht (Frank & Timme, 2007, S. 142–170) von Erich Prunč.

 von Janko Trupej

Und das “Eigene” in der Übersetzung…

8. 7. 2013

Alle bisherigen Blogeinträge haben sich mit dem „Fremden“ in der Übersetzung beschäftigt. Ich möchte nun den Fokus auf das „Eigene“ in der Übersetzung und damit auf unsere Zielsprache richten. In meiner Gruppe übersetzen wir ins Deutsche. Das klingt im Prinzip sehr homogen und scheint – zumindest in der Theorie – keine Schwierigkeiten zu bereiten, auch wenn die fünf GruppenteilnehmerInnen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich kommen. Immerhin führen alle drei Länder Deutsch als Amtssprache. In Wahrheit jedoch ist diese Klarheit ganz und gar nicht vorhanden. Deutsch ist nicht gleich Deutsch in den drei Ländern. So viel Gesprächsstoff diese Varietäten auch geben können und so unterhaltsam sie dabei auch sind, so kompliziert und vielschichtig sind sie auch. Für mich sind es besonders die regionalen Unterschiede, durch welche ich mich mit meiner Muttersprache identifiziere und auf deren Verunglimpfung ich mitunter empfindlich reagiere.

Vor dem Projekt TransStar dachte ich, dass mir im Großen und Ganzen die Unterschiede zwischen dem Bundesdeutschen und dem Österreichischen Deutsch bewusst seien. Ich hatte deswegen auch keine Scheue davor, mich für TransStar zu bewerben. „Wenn ich darauf achte, kann ich die paar Austriazismen einfach weglassen“, war ich überzeugt. Erst nach dem ersten Korrekturlesen meiner Übersetzung durch Matthias Jacob begriff ich, wie breit gefächert das Varietätenspektrum ist und wie (unbewusst) gefärbt mein Deutsch klingt. Zudem stellte ich fest, dass ich keineswegs gleichgültig, sondern vielmehr empfindlich auf „deutsche“ Verbesserungsvorschläge reagiere. Es entspricht nicht meinem natürlichen Sprachgebrauch, „sie bereiten den Grill vor“ anstelle von „sie bereiten den Griller vor“ zu schreiben oder „sie stopfen Fischölkapseln in mich hinein“ anstelle von „sie schoppen mich mit Fischölkapseln“. Oder sollte ich meinen Provinzstolz zurückschrauben und mich dem anderen „Eigenen“ anpassen?

Inwieweit soll nun am „Eigenen“ gefeilt werden? Dient in den anderen Gruppen mit Zielsprache Deutsch ausschließlich der bundesdeutsche Standard als Richtlinie? Ist es verwerflich, als ÜbersetzerIn durch die „eigene“ Sprache und somit durch die regionale Varietät des Deutschen sichtbar zu werden?

von Evelyn Sturl

Friedrich Schleiermacher: Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens

4. 7. 2013

Die Frage nach dem Fremden in der Übersetzung oder der Strategie des „Einbürgerns“ und „Verfremdens“ ist ein zentraler Aspekt, dem schon Friedrich Schleiermacher in seinem Aufsatz „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ (In: Friedrich Schleiermachers Sämtliche Werke, 2. Band, Berlin 1838, S. 201-238) nachgegangen ist. Schleiermacher schreibt: „Soll sich der Übersetzer vorsetzen, zwei Menschen, die so ganz voneinander getrennt sind wie sein der Sprache des Schriftstellers unkundiger Sprachgenosse und der Schriftsteller selbst, diese in ein so unmittelbares Verhältnis zu bringen, wie es das eines Schriftstellers und seines ursprünglichen Lesers ist?“  (S. 215) Schleiermacher schlägt eben die zwei Wege vor, die wir heute als „Einbürgerung“ und „Verfremdung“  kennen. Entweder lässt der Übersetzer den Schriftsteller in Ruhe und bewegt den Leser dem Schriftsteller und seinem Werk entgegen (verfremdende Übersetzung) oder der Übersetzer lässt den Leser in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen. Schleiermacher sieht beide Wege als möglich an, stellt aber eine Art Rangfolge dabei auf. Er schreibt, es sei unerlässlich, einbürgernd zu übersetzen, wenn die Leser mit der Kultur und dem Umfeld, aus dem ein Text kommt, nicht vertraut seien. Wir würden heute sagen, wenn die Leser einen Text nicht kontextualisieren, nicht einordnen können. Erst wenn der Leser mit einer Kultur besser vertraut ist, könne ihm die verfremdende Übersetzung zugemutet werden.

Venuti bezieht sich in seinen Beobachtungen sehr stark auf den amerikanischen Markt. Hier haben wir es mit dem Phänomen zu tun, dass in den USA generell sehr wenig übersetzt wird. Diese geringe Menge an übersetzter Literatur führt dazu, dass der Druck auf die Übersetzer, einbürgernd zu übersetzen, sehr groß ist, denn wo wenig übersetzt wird, gibt es auch keine Kultur der Verfremdung. Wo soll das Fremde und die Gewohnheit, sich mit Fremdem auseinanderzusetzen, herkommen, wenn wenig übersetzt wird?

Für mich ist die Frage, ob man Venutis Beobachtungen für andere Länder einfach so übernehmen kann. Deutschland ist zum Beispiel ein Land, in dem sehr viel übersetzt wird. Wir haben also eine ausgeprägte Kultur der Auseinandersetzung mit dem Fremden. Wie sieht es in den anderen Ländern aus? Slowenien? Kroatien? Ukraine? Tschechien? Polen? Wie sind da die Beobachtungen? Fordert man da vielleicht sogar das Fremde, um es dem Eigenen entgegenzustellen?

von Claudia Dathe

Newsletter

Blog

Übersetzungswürfel

Translating cube

Veranstaltungen

Events