Tomasz Różycki: Aus dem Polnischen von Marlena Breuer

23. 2. 2016

Tomasz Rozyckis Buch “Bestiarium” in der Übersetzung von Marlena Breuer, der TransStar-Teilnehmerin, erscheint zur Leipziger Buchmesse 2016.

BESTIARIUM

Tomasz Różycki
Aus dem Polnischen von Marlena Breuer

Wer weiß, ob es der namenlose Protagonist des Buches mit dem Alkohol zu weit getrieben hat. Oder träumt er? Eigentlich will er nur nach Hause zu Frau und Kindern – aber wie? Aus dem simplen Vorhaben wird eine geheimnisvolle, phantasmagorische Reise, durch Erinnerungen, durch die Katakomben der Stadt, durch schaurige Untergründe, auf der Suche nach einem geheimnisvollen Erbe. „Tomasz Różycki erzählt sinnlich wie Bruno Schulz, bissig wie Witold Gombrowicz und hochprozentig-orgiastisch wie Wenedikt Jerofejew“, urteilte schon vor Jahren die Neue Zürcher Zeitung. Das löst der Dichter in dieser Prosaarbeit ein.

http://www.edition-fototapeta.eu/bestiarium

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Videopoesie

1. 11. 2015

Im Rahmen des Projekts Übersetzungswürfel entstanden fünf kurze Filme mit Übersetzungen (Videopoesie):

1. Babkina:  https://www.youtube.com/watch?v=I0Co99EoUqg

2. Zhadan:  https://www.youtube.com/watch?v=ycu1seWpdyc

3. Matijasch:  https://www.youtube.com/watch?v=AYaW2rCIYWk

4. Andruchowytsch:  https://www.youtube.com/watch?v=m7cYf430oAA

5. Malkowitz:  https://www.youtube.com/watch?v=TDlBEAMXm-U

 

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Der Band “Geschichten erzählen” mit Übersetzungen von 25 ostmittel- und südosteuropäischen Autoren ist im Oktober erschienen

1. 11. 2015

Geschichten erzählenErschienen ist der Band “Geschichten erzählen” mit Übersetzungen von 25 ostmittel- und südosteuropäischen Autoren im Verlag Edition Fototapeta. Besonders lesenswert sind Linas Kostenkos “Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen” – Erinnerungen an das Chaos der beginnenden 2000er Jahre in der Ukraine in der Übersetzung von Sofia Onufriv, wundervolle Gedichte der bosnischen Autorin Adisa Basic in der Übersetzung von Anna Hodel, die Erzählung “Der rote Schaitan”, eine atemberaubende Geschichte über die Verwechslung von Väterchen Frost und Feuerwehrmann, geschrieben von Boris Dezulovic, übersetzt von Vivian Kellenberger und ein Auszug aus dem Roman “Descartes Dämonen” von Vladimir Rafeenko in der Übersetzung von Stefan Heck.
Herausgegeben von Marlena Breuer, Daniela Pusch, Paul Gruber, Anja Wutej und Sofia Onufriv und Claudia Dathe.

Das Buch kann hier bestellt werden: http://www.edition-fototapeta.eu/geschichten-erzaehlen

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Die Übersetzungen der deutsch-slowenischen Gruppe: Pet poti do prevoda

1. 11. 2015

20151019_193750Die Übersetzungen der deutsch-slowenischen Gruppe sind im Buchform erschienen

Im Oktober 2015 erschienen im Wissenschaftsverlag der Philosophischen Fakultät in Ljubljana die Übersetzungen der deutsch-slowenischen Gruppe, die im Rahmen des Projektes TransStar Europa entstanden sind. Das Buch wurde von Amalija Maček, Tina Štrancar und Tanja Žigon herausgegeben und trägt den Titel Fünf Wege zur Übersetzung (Pet poti do prevoda). Fünf TeilnehmerInnen – fünf Wege, denn jede/r einzelne Teilnehmer/in wurde zwar während der dreijährigen Projektarbeit von der Mentorin Amalija Maček begleitet, jedoch musste sich jede/r alleine mit den Herausforderungen des literarischen Übersetzens und des Kulturmanagements auseinandersetzen. Die in Buchform herausgegebenen Texte, sowohl deutsche Originale als auch Übersetzungen ins Slowenische, sind Geschichten und Romanauszüge, in denen die Vielfalt der gegenwärtigen literarischen Szene im deutschsprachigen Raum zur Geltung kommt. Vertreten sind unter anderem Irena Brežná, Sudabeh Mohafez, Angelika Klüssendorf, ein Auszug aus dem Roman In Zeiten des abnehmenden Lichts von Eugen Ruge und die im Jahr 2007 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis gekrönte Kurzgeschichte Turksib von Lutz Seiler. Das Buch ist das Ergebnis der innovativen, spannenden, kreativen, aber ab und zu auch  schwierigen Arbeit der  deutsch-slowenischen TeilnehmerInnen Ana Dejanović, Alenka Lavrin, Karmen Schödel, Irena Smodiš und Janko Trupej an den gewählten Texten.

Wollen Sie das Buch durchblättern? Klicken Sie hier (PDF).

Das Buch ist in der Buchhandung der Philosophischen Fakultät in Ljubljana zu bekommen: https://knjigarna.ff.uni-lj.si/si/izdelek/1623/pet-poti-do-prevoda/

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Anthologie „Alle Anderen“ – Übersetzunngen der deutsch-ukrainiscen Gruppe sind erschienen

27. 9. 2015

Titelseite Alle AnderenEindrücke von der Lwiwer Buchmesse

Im Rahmen der 22. Lwiwer Buchmesse fand am 12. September die Präsentation der Anthologie „Alle Anderen“ statt. Dieses Buch ist das Ergebnis der langen, ab und zu schwierigen, aber überaus spannenden Arbeit der deutsch-ukrainischen Gruppe an den Texten der deutschen Gegenwartsschriftsteller, die wir unter Leitung von Jurko Prochasko durchgeführt haben.

Was die Präsentation selbst anbetrifft, so war sie kurz, aber interessant und schön. Eine große Freude war für uns die Anwesenheit der berühmten deutschen Schriftstellerin Ulrike Almut Sandig, die in Form einer Performance ihre Erzählung „Salzwasser“ vorgestellt hat und ihre Eindrücke über das Projekt mitgeteilt hat.

Besonders positiv war die Möglichkeit für junge Übersetzerinnen (Olha Kravchuk und Yuliya Mykytyuk) ihre Übersetzungen vorzulesen und ihre Eindrücke über das Projekt „TransStar“ zu äußern. Es ist bemerkenswert, dass die Treffen mit den deutschsprachigen Schriftstellern und Übersetzern sowie auch das gut durchdachte und geschickt organisierte Kulturmanagementprogramm des Projekts für uns im Laufe von diesen drei Jahren von großer Bedeutung waren.

Abschließend lässt sich sagen, dass dieses Buch mit der darauf folgender Präsentation ein schönes Ende der wunderbaren Zusammenarbeit unserer Gruppe mit dem Mentor Jurko Prochasko war. Diese drei Jahre, während deren wir ein Teil des Projekts „TransStar“ sein durften, bleiben in unserer Erinnerung als Blütezeit unseres Übersetzungslebens und werden für uns als Anstoß für weitere Arbeit in diesem Gebiet dienen.

Hier finden Sie einige Fotos.

 von Yuliya Mykytyuk

Das Buch kann man direkt beim Verlag Krytyka bestellen.

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Die slowenische Übersetzung von Ausschnitten aus den Geschichten “Die Fabeln von der Begegnung” (Botho Strauß)

17. 12. 2014

Radio Slowenien 1. Programm, 15. Dezember 2014 um 19.00 Uhr

Radio Slowenien 3. Programm, 15. Dezember 2014 um 23.05 Uhr

Karmen Schödel (Teilnehmerin am Projekt TransStar Europa) hat die Geschichten des deutschen Autors Botho Strauß als “Basni o srečanju” ins Slowenische übersetzt.

Zum Hören.

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Stanka HRASTELJ: Spielen, Romanauszug (Aus dem Slowenischen von Tjaša ŠKET

4. 12. 2014

Spielen (Romanauszug)

Einleitung

Igranje (dt. Spielen): Im Roman geht es um innere Reminiszenzen der Heldin, die einen liebevollen Mann hat und nach der Kündigung auf einmal viel zu viel Freizeit. Obwohl sie jetzt endlich genug Zeit hat, Dinge zu machen, die sie immer schon machen wollte, erlischt ihr Interesse an der Außenwelt langsam. Der Zustand der Wachsamkeit geht allmählich in den Zustand des Träumens über. Die Heldin fühlt sich beobachtet, sie hört Stimmen, sie hat Angst vor Menschen, tut aber so, als ob nichts wäre. Alltägliche Situationen nehmen durch ihre seelische Verfassung beängstigende Ausmaße an. Man bewegt sich ständig zwischen Tragik und Komik.

ROSEN

Du hast etwas zugenommen, oder, kam die Bemerkung von Erik, als ich unter der Dusche war und er sich die Zähne putzte, vielleicht ein bisschen, ich habe mich nicht gewogen, erwiderte ich, obwohl ich es ganz genau wusste, ein Kilo siebzig, in einem Monat, seitdem ich nicht mehr arbeite und keinen Sport mehr treibe, ich vermisse den Sport ein bisschen, meine Arbeit vermisse ich mehr als alles andere auf der Welt, ich will aber meinen ehemaligen Arbeitskollegen nicht mehr begegnen, es ist besser so, ich komme schon auf irgendwas Individuelles, vielleicht Yoga, ich weiß nicht, ich muss mich erkundigen, ob noch was frei ist, es wird schwer, Februar ist ungünstig, da die Kurse schon längst angefangen haben, Erik, ist Polič-Ausstellung heute Abend? Ja, heute Abend, wir gehen aber nicht hin, um sechs ist Irenas Premiere, die Ausstellung läuft noch bis Mai. Irenas Vorstellung interessiert mich nicht im Geringsten, ich weiß, die haben eine Komödie inszeniert oder zumindest ein Melodrama, ein bewährtes System, ich hab keine Lust auf die Vorstellung, die Hauptrollen werden immer mit denselben Personen besetzt, mir geht durch den Kopf, dass wieder dieser ungelenke Mann mit dem Sprachfehler auf der Bühne stehen wird, das Publikum muss den ganzen Abend die Ohren spitzen, weil es ihn nicht versteht, nach der Vorstellung allerdings bekommt er dröhnenden Applaus, weil er ein lokaler Amtsträger ist, es folgen Reden von verschiedenen Vorständen und Vertretern, anschließend bedanken sich die Schauspieler bei allen der Reihe nach, den Sponsoren, den Unterstützern und auch beim Winzer, der für die Proben zwei Liter Cviček spendiert hat, bei den Hausfrauen, die für die Schauspieler etwas gebacken haben, bei einer Vereinskollegin, die für das Archiv ein paar Fotos gemacht hat, die Leute applaudieren, sind von allen begeistert, eine schlechte Vorstellung dehnt sich in eine exhibitionistische Parade aus, ich würde viel lieber zur Ausstellung gehen, ich schätze Polič, seine Arbeit verfolge ich schon all die Jahre, seit wir uns kennen, ich hätte mir aber nie gedacht, dass er sich so entwickelt, jede seiner Ausstellungen bringt mich zum Staunen, ich mag es, wie er verschiedene Farbschichten aufträgt, die oberen sind transparenter und decken die unteren auf und verhüllen sie zugleich, die Farben fließen nicht ineinander über, sie werden nicht vermischt, die Farbtöne modelliert er mit den unteren Farbschichten, ich kann seine Arbeit eigentlich nicht beschreiben, es handelt sich um figurale Kunst, die allerdings in Abstraktion übergeht, das gefällt mir, vor allem gefällt es mir, dass ich dabei erkenne, was er erforscht, wie sich seine Beziehung zum Raum verändert, ich weiß auch, dass er sich für diese Ausstellung besonders Mühe gegeben hat, er bewirbt sich für die Mitgliedschaft im Verband der slowenischen bildenden Künstler, lieber, viel lieber würde ich dem Kurator zuhören und mir die Bilder ansehen, als in der Schulkantine vor der Bühne zu sitzen, Erik, wenn wir uns früh genug auf den Weg machen, schaffen wir es, vor der Vorstellung noch einen Blumenstrauß für Irena zu besorgen.

Im Blumengeschäft trafen wir meinen Direktor, ehemaligen Direktor, er kaufte Rosen für seine Frau, ich stellte mir vor, er müsste kürzlich seiner Geliebten etwas viel Wertvolleres gekauft haben, möglicherweise gibt es eine Regel dafür, zwar unausgesprochen, das Geschenk für die Ehefrau sollte zehn Prozent des Wertes vom Geschenk für die Geliebte betragen, zehn Prozent, wie Trinkgeld also, zehn Prozent vom Rechnungsbetrag gibt man dem Kellner, aber Rosen sind nicht billig; hatte ihm die Geliebte gedroht, dass sie ihn verlassen würde? Es war unverschämt von mir so zu denken, vielleicht tat ich ihm Unrecht, vielleicht feierten seine Frau und er ihren Hochzeitstag oder ihren Geburtstag, ich merke, dass ich in böse Gedanken über Menschen verfalle, bei denen mich was stört, bei Irena finde ich nur schlechte Eigenschaften, deswegen kann ich mich auch nie für ihre Schauspielerei begeistern, obwohl man zugeben muss, dass sie wirklich schlecht ist, der Direktor ist ein ganz solider Mensch, ich habe ihm nichts vorzuwerfen, wir hätten uns nur guten Abend sagen können, wie geht es Ihnen, er hätte wirklich nicht sagen brauchen, dass sie mich vermissten, dass sie mich alle sehr vermissten, dass es nicht mehr dasselbe sei ohne mich, er hätte diese Worte überspringen können, auch die Frage, ob ich seinen Vorschlag überdacht hätte, hätte er auslassen können, ich hätte es lieber, wenn wir mit Erik woanders lebten, es ist äußerst unangenehm, ehemaligen Arbeitskollegen zu begegnen, nachts träumte ich, dass Erik ihn anruft, ihn bittet, anfleht, eine Stelle für mich zu finden, egal was, meinetwegen auch am Anmeldeschalter, bis sich was Besseres findet, ich weiß nicht, ob ich tatsächlich aufgeschrien habe, denn im Traum hatte ich geschrien, bis meine Stimmbänder platzten, ich geh nicht zurück, ich will nicht zurück, ich geh nie mehr zurück, Erik wachte auf, Marinka, es ist alles gut, sagte er, du hast nur geträumt, ich bin hier, schlaf weiter, am nächsten Tag konnte er sich an nichts mehr erinnern, deswegen weiß ich nicht, ob ich tatsächlich geschrien habe, der Blumenhändlerin sagte ich, was für einen schönen Blumenstrauß Sie für den Herrn gemacht haben, könnten Sie bitte genauso einen auch für uns machen?

Auszug aus dem Roman Igranje (dt. Spielen), Seite 9–12, © Založba Mladinska knjiga, 2012

 Einleitung und Übersetzung aus dem Slowenischen von Tjaša ŠKET, Rače/Slowenien

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Sylwia CHUTNIK: Dzidzia, Romanauszug (Aus dem Polnischen von Magda WLOSTOWSKA, Leipzig)

4. 12. 2014

Dzidzia (Romanauszug, Świat Książki, 2009)

Im Mittelpunkt des Romans Dzidzia (Świat Książki, 2009) stehen Karolinka, genannt „Dzidzia“ („Babylein“), die mit zahlreichen Behinderungen und ohne Gliedmaßen auf die Welt gekommen ist, sowie ihre alleinerziehende Mutter, Danuta. Grotesk wird deren beschwerliches, um die pflegebedürftige Tochter herumarrangiertes Leben in einem Warschauer Vorort dargestellt, ebenso ihre tägliche Auseinandersetzung mit der polnischen Gesellschaft – repräsentiert etwa durch böswillige Nachbarn, polnische Behörden oder die katholische Kirche. Gleichzeitig ist jedoch Danutas Verflochtenheit mit Diskursen und Wertvorstellungen eben dieser Gesellschaft evident. Auch Danutas Familiengeschichte, die Geschichte ihrer Oma, die 1944 nach dem Warschauer Aufstand Flüchtlinge bei sich aufgenommen hat, um sie nur kurze Zeit später an deutsche Soldaten preiszugeben, verweist auf solche Ambivalenzen.


Das Babylein als Strafe

Das vierte Töchterchen Danuta Mutters wurde mit einem Wasserkopf und ohne Gliedmaßen geboren. Es leidet an Epilepsie, einer Rundum-Lähmung und zu all dem hat es auch noch Schuppen. Zur Zeit zählt es 16 Jahre und heißt Babylein-Kümmerling, weil es wirklich gar nichts allein auf die Reihe kriegt. Es liegt den ganzen Tag nur da und macht in die Hose. Die Mutter muss das dann wegmachen, die Mutter muss es umziehen und abwischen. Sie nimmt so einen weichen Schwamm und wischt die verkrusteten Essensreste aus den Mundwinkeln. Man muss Es füttern, schließlich hat Babylein ja keine Ärmchen, mit denen es versuchen könnte, den Löffel zu halten. Man führt ihr also Wasser aus der Spritze zu – nur Wasser, alles andere würde nicht toleriert werden. Das Mädchen hat Mukopolysaccharidose, aber eigentlich weiß man nicht, was sie hat. „Alles“, sagte mal ein Arzt, und die verstehen sich ja auf ihr Handwerk, nicht wahr?

Dank guter Beziehungen zum Gesundheitszentrum nimmt das Mädchen an sechs Experimenten teil. Man testet an ihrem Organismus unter anderem Impfstoffe gegen die Pest und Orgasmus-Tabletten. Möglicherweise ist das auch der Grund, warum Babylein ab und zu durch Lustkrämpfe aufgerüttelt wird, die sich sogleich mit Würgekrämpfen in Folge erneuter Flüssigkeitsabgabe des Körpers vermischen. Babylein stößt seit ihrer Geburt regelmäßig Rotze nach außen aus. Ihre Ausdünstungen, nebligen Ausbrüche und Auskotzungen wabern unter’m großen Bauch und brechen stets im ungünstigsten Moment hervor.

Ihr Leib liegt merkwürdig da, er ruht in alle Richtungen gestreckt. Wie nach einem Unfall, wenn das rasende Auto das Körpergewebe prellt. Ein nasser Sack voller Knochen fliegt dann an den Straßenrand, Arm und Bein fliegen in die entgegengesetzte Richtung. Hier reißt mal das Kleid und zeigt nicht vorzeigbare Unterwäsche, da fliegt mal der Schuh weg und übrig bleibt ein einziger, nackter Fuß. Eklig, aber zugleich etwas faszinierend.

Kaum schaut man sich um, kaum ein Augenblick, und schon fließt Eiter über den frischgewaschenen Bezug.

Ach, schon wieder hat’s Babylein geschafft, schon wieder hat sie ihr Deckchen bekotzt. Jetzt muss gewechselt werden, der willenlose, recht umfangreiche Körper mit bloßen Händen zum Sessel neben dem Bett transportiert werden. Dann, so schnell wie möglich, das besudelte Bettchen wieder hergerichtet werden, weil Babylein sich schon zu allen Seiten neigt. Durch das jahrelange Rumliegen schafft es ihre Wirbelsäule nicht mehr, sich aufrecht zu halten. Kleines Krüppelchen, kleines dünnes Würmchen.

Einmal, da sollte sie in das Wojwodschafts-Krankenhaus gebracht werden, weil sie so ausgelaugt war. Es gab aber keinen Weg, sie da hinzubringen. Wie auch? In ‘nen Sack und zack über die Schulter, oder was?

Man musste um einen Krankenwagen betteln, und dann fauchte die Krankenschwester noch, dass die Familie Mutter wohl nicht ohne Taxi könnte.

Und als Babylein im Krankenhaus lag, kamen Clowns vorbei, denn es war gerade Kindertag. Da warf die Ärztin sie raus. Und schrie hinterher: Für wen wollt ihr denn hier eine Vorstellung geben, wenn das Kind doch geistig zurückgeblieben ist? Wozu der unnötige Trouble, wozu Perlen vor die Säue werfen, wenn es bloß für die dumme Katz’ ist?

Dann kam das Krüppelchen aus dem Krankenhaus und nichts hat sich verändert. Alles war beim Alten. Alles Drumherum unnütz.

Am Morgen hat Babyleins Mutter das kleine Zimmer aufgeräumt und ist gerade dabei, das Kind wieder in sein Bett zu schieben. Sie atmet schwer, wird rot, stöhnt. Danutas Leib, zerschlissen durch das Tragen von Babyleins Leib, pumpt allein schon bei der geringsten Anstrengung die letzten Muskeln auf. Am merkwürdigsten waren jedoch die Beine, bedeckt von einer unendlichen Krampfader-Landkarte, gegen die keine Salbe half. Die Krampfadern wucherten übereinander, drangen in die Knochen und umschlangen, wie Kletterpflanzen, jeden Stuhl, auf dem sie Platz nahmen, jedes Bett, in dem sie lagen. Dazu die verdrehten Zehen, die in alle Himmelsrichtungen zeigten. O-Beine, Plattfüße und Blasen machten es unmöglich, die Sommerangebote der Schuhgeschäfte zu nutzen. Nix da mit Flipflops oder Schlappen, noch nich’ mal Birkenstocks, denn wie soll man da die schmerzenden Treter reinstopfen, die in ihrer Unförmigkeit schon an gar nichts mehr erinnern.

Danuta machte dies und jenes am Bettchen. Besprühte es resigniert mit billigem Deo, das noch mehr stank als ihre verfaulte Tochter. Die Frau sprach nicht, sie redete nicht mit dem Babylein, weil Babylein doch ein Mongo ist und kein Kontakt zu ihr besteht. Aber wozu noch reden, alle wiss’n doch wie’s ist. Und es ist hart.

Sozialhilfe, Krankenbeihilfe und die Krankenrente der Mutter. Kein Unterhalt, da es dem Mann in den Sinn gekommen ist zu sterben und nun zahlt er nicht, außerdem hat er von Anfang an gesagt, dass sie’s abtreiben soll, wozu Bälger säen, abtreiben, aber die Alte wollte ja nich’ hören und jetzt hat sie den Salat. Soll sie sich doch abmühen, soll sie doch im stickigen Zimmer jauchzen, in ihren erstickenden, alten Klamotten.

Babylein versucht, ihren leeren Blick an die putzende Mutter zu heften. Das Gesicht wird zur Grimasse, sie versucht ,einen Laut von sich zu geben. Ein Räuspern: Schüttle mir das Kissen auf! Zwei Räusper: Durst, ich hab’ Durst. Und drei sind: Gib’ mich endlich bei der Sterbehilfe ab, weil ich’s, Scheiße nochmal, nich’ mehr aushalten kann.

Der Leib drückt, juckt, blutet manchmal, ist so kaputt und ausufernd in seiner Hässlichkeit. Doch wenn er schön, elegant und für den Sonntag angezogen ist, spielt er uns keinen Streich, weil er dann gezähmt ist. Aber ein entblößter Leib, der sich der Kontrolle entzieht und – Gott behüte, man mag sich kaum vorstellen – was von ihm zu erwarten sei. Zum Beispiel wird er dick, er übergibt sich oder macht was schmutzig. Und schon gibt’s ein Problem. Davon kann die Mongo-Pflegerin ein Lied singen, schließlich macht sie all dies’ Eklige weg.

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 Einleitung und Übersetzung aus dem Polnischen von Magda WLOSTOWSKA, Leipzig

 

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Krzysztof VARGA: Gulasz z turula (Turulgulasch), Romanauszug (Aus dem Polnischen von Melanie FOIK)

4. 12. 2014

Gulasz z turula (Turulgulasch)                                                      

Auszug aus dem Essayband „Gulasz z turula“ (dt. „Turulgulasch“, Verlag Czarne 2008, S. 100-104).

Mit Gulasz z turula unternimmt der polnische Romancier und Essayist Krzysztof Varga einen Streifzug durch Ungarn, das Land seines Vaters. Wie schon der Titel des Buches verrät, spielen dabei vor allem zwei Dinge eine große Rolle: die vom Sagenvogel Turul verkörperte ungarische Geschichte, die wie ein schweres Netz auf der Gegenwart des Landes lastet, und die ungarische Küche, die den Autor zu nostalgisch anmutenden Anekdoten und philosophischen Überlegungen zur Seelenlage der Nation anregt. Mit Begeisterung berichtet Varga von alten Straßenbahnen, die Geschichten erzählen und in die Vororte Budapests führen, zu idyllischen Friedhöfen, zu abgelegenen Kneipen, manchmal auch zur eigenen Jugend. Doch auch kritische Betrachtungen zu gesellschaftlichen und politischen Zuständen finden ihren Platz in diesem Buch, so dass ein differenziertes Bild des heutigen Ungarn entsteht.

Abends, gegen neunzehn Uhr, bringen sie frische Karpfen in die Markthalle am Csarnok tér. Auf einer großen Lade­fläche stehen Plastik­tonnen, ein Mann in hohen Gummistiefeln zieht dicke, zappelnde Fische heraus und legt sie in die Ablauf­rinne, von wo aus sie direkt in einen Einkaufs­wagen rutschen, der von einem zweiten Mann in graugrünem Gummi-Overall geschoben wird. Die beiden sind mit Elan bei der Sache, so, als sei dies die Vorbereitung auf ein Städte­turnier, bei dem Karpfenausladen eine der Disziplinen wäre. Wenn der Wagen fast voll ist, schließt der erste Mann schwungvoll die Rinnentür, der zwei­te bringt die Karpfen ins Lager. Manchmal springt einer der etwas energischeren Karpfen aus dem Wagen oder aus der Rinne und fällt auf den Asphalt, und dann zappelt er um den Gully herum, der das aus den Tonnen überschwappende Wasser aufnimmt. Nun taucht ein dritter Mann auf, der bis zu diesem Moment die Entladung vom Rand her be­obachtet hat, und versucht, den glitschigen Fisch zu packen. Die beiden anderen nehmen von dem, was mit dem Fisch auf dem Asphalt geschieht, keinerlei Notiz, sondern entladen weiter Karpfen, von denen es Unmengen gibt. Beim dritten Versuch schafft es der Hilfs­mann dann doch; er wirft den Fisch in den Korb. Der Karpfen ist der Mythologie zufolge neben dem Turul und dem Wunderhirsch der Dritte, der die Ungarn in ihr Land geführt hat, ein heiliges Tier, Opferlamm der magyarischen Küche, das seinen dicken, schlammigen Körper für die berühmte Fischsuppe hingibt, nach der ausländische Touristen fragen, während sie auf die kulinarischen Seiten ihres Reiseführers schie­len.

Am späten Abend schlendern auf der Váci utca – einst der sozialistische Ersatz für westlichen Konsum und heute eine gewöhnliche Straße, auf der Touristen übers Ohr gehauen wer­den – Amateurhuren und Koberer der Nachtclubs. Die Geschäfte mit ungarischem Zeug in hübschen Verpackungen und die Wechselstuben mit Wucherkursen sind schon geschlossen und die Váci ver­liert endgültig ihren trügerischen Großstadtschein. Die Straße wird sehr provinziell, wie eine Grenzstadt, in der um diese Uhrzeit nur noch der McDonald’s und die Tabledance-Bar geöffnet sind. Die Huren sind schüchtern und bescheiden gekleidet. Sie tragen weder Pelz noch Stöckelschuhe, sind nicht aufdringlich geschminkt, sehen eher aus wie Verkäuferinnen, denen auf dem Nachhauseweg in den Sinn kam, noch ein bisschen auf der Váci zu schlendern. Sie sind auf der Suche nach Ausländern und fragen diese zunächst, ob sie englisch sprechen, und auf ein Ja folgt eine Testfrage, zum Beispiel nach der Régi Posta-Straße, die jeder Budapester kennt, aber kein Ausländer. Sie erinnern an die Filmheldinnen aus Süße Emma, liebe Böbe von István Szabó: zwei junge Russischlehrerinnen, die nach 1990 plötzlich arbeitslos sind. Emma versuchte Englisch zu unterrichten, obwohl sie es selbst gar nicht konnte, Böbe hingegen wollte eine Abkürzung nehmen und saß fortan im Café „Anna“ auf der Váci, um Ausländer aufzureißen. Keine von beiden schaffte es: Emma landete in einer Unterführung, wo sie die „Mai Nap“ ver­kaufte, und Böbe im Hof eines Studentenwohnheims, aus dessen Fenster sie gesprungen war. „Mai Nap“ bedeutet „der heutige Tag“, und der Name der Zeitung ist deutlich symbolisch gemeint – der heutige Tag des frühkapitalistischen Ungarns in Szabós Film heißt ungerechte Strafen für Menschen, die man zufällig für Profiteure des vergangenen Systems halten konnte, bloß weil sie Schülern die verabscheute Sprache der sowjetischen Besatzer beibrachten.

Die heutigen Emmas und Böbes wirken deutlich weniger verzweifelt. Sie sind dilettantisch, aber nicht verspannt. Sie sprechen ihre Kunden an, als ginge es ihnen gar nicht ums Geld, sondern als böten sie ihre Dienste aus Barmherzigkeit an. Schließlich können viele Männer an langen, ein­samen Herbstabenden ein wenig Trost gut gebrauchen. Die leichten Mädchen auf der Vácistraße sind nicht blasiert und haben noch keine Routine, ihr Gewerbe betreiben sie ein bisschen ver­schämt und wirken dadurch irgendwie sympathisch.

Samstags findet auf dem Rasen vor dem Lukács-Bad der óckapiac statt – ein Trödelmarkt, zusammengetragen aus aufgelesenem Müll, alten Möbeln und Haushaltsgegen­ständen vom Sperrmüll, den ungewollten Resten fremder Leben. Man kann hier allen möglichen Kram bekommen: alte, von krum­men Füßen abgetragene Schuhe, Lappen, die vorgeben, Kleider zu sein, hässli­ches Plastikspielzeug, stumpfe Messer – dieses schmutzige, verstaubte Zeug umwirbt plump seine potenziellen Käufer. Billig gibt es hier auch von Fremden abgenutztes Glück zu kaufen. An einem Stand in Form einer auf der Wiese ausgebreiteten Decke bietet eine ältere Frau für zwanzig Forint das gerahmte Foto eines lächelnden Paares feil; sie um die dreißig, Blondine mit gelock­tem Haar, er sicher zehn Jahre älter, bärtig, mit ungewöhnlich großen Ge­heimratsecken. Sie knackig, er sehnig, beide wirken gesund und sport­lich. Sie sitzt auf seinem Schoß, das Lächeln der beiden ist ehrlich, im Hintergrund sind Sträucher zu sehen und eine Garten- oder Campinglampe. Das blasse Kolorit lässt auf den Gebrauch eines ORWO-Films schließen, der Schnitt der sommerlichen Kleidung auf die späten Siebziger, vielleicht Achtzi­ger. Die Frau, die das Bild verkauft, muss es auf dem Sperrmüll ge­funden haben. Wer entledigte sich erleichtert dieses Be­weisstücks einer früheren Freundschaft oder Liebe? Der bärtige Typ? Die Blondine? Ein Dritter? Eines ihrer Kinder oder ein Bekannter? Stand es zu Hause im Weg, war seinetwegen kein Platz für den neuen Spiegel? Es ist ein großes Foto, anders als jene, die in Pralinenschachteln ver­wahrt werden. Es beansprucht ein beträchtliches Stück Wand. Wie kommt die Verkäuferin überhaupt darauf, dass es jemand kaufen könnte? Es hat keinerlei Gebrauchswert, auf dem Bild sind anonyme Menschen verewigt, keine bekannten Leute aus dem Fernsehen oder den bunten Blättern, keine Schauspieler, keine berühmten Sportler, sondern, sagen wir mal, Zsussa und János aus den Wohnblocks von Obuda oder aus den Mietshäusern der nahegelegenen Margit körút. Es ist nicht teuer, kostet so viel wie ein Glas Bier in einer dunklen Spelunke – doch wen wird es schon zum Kauf verleiten?

„Lomtalanítas“ bedeutet „Sperrmüll“, Entsorgung von Gerümpel im großen Stil. Die Bezirke wechseln sich mit diesem Feiertag des überflüssigen Plunders ab, weswegen nicht gleich die ganze Stadt in eine große Müllkippe verwandelt wird. An diesem feststehenden Tag stellen die Be­wohner alte Schränke, Betten, Matratzen mit herausste­henden Federn, von Motten zerfressene Mäntel, kaputte Waschmaschi­nen und Kühlschränke auf den Gehweg vor ihren Häusern. Im Trüm­merhaufen von Holz und Metall kann man dann alte Bildbände, von Grün­span überzogene Romane, Poesiealben junger Leute und Klassenbil­der von längst nicht mehr lebenden Menschen aufstöbern – vielleicht ist auch eine der beiden Personen vom Zwanzig-Forint-Bild schon tot?

Wenn der lomtalanítás naht, kann man ungestraft all das auf die Straße werfen, was nicht mehr gebraucht wird, dem Leben im Weg steht, unpraktisch oder kaputt ist, aber auch Dinge, die in uns Erinnerungen wachrufen, uns mit der Vergangenheit verbinden, von der wir uns befreien wollen wie von einem lästigen Verehrer, der uns mit Briefen und Anrufen nachstellt. Während des lomtalanítás ver­sperren auseinandergebrochene Schrankwände aus den Sechzigern, vergilbte Lehel-Kühlschränke und Hajdú-Waschmaschinen mit ausge­rissenen Bullaugen, alte sowjetische Rakieta-Staubsauger, große Plastiktelefone mit runden Wählscheiben und eigenwillige alte Lam­penschirme die Gehwege. Mit dem lomtalanítás wird Budapest noch melancholischer, zeigt sein Innerstes, entrümpelt sein Gedächtnis.

Einleitung und Übersetzung aus dem Polnischen von Melanie FOIK, Münster

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Jaromir TYPLT: Gedichte (Aus dem Tschechischen von Martin MUTSCHLER)

4. 12. 2014

Bruchstück B 101

 

Zwei Blasen hingeschmiert mit Kreide

wie ein Hauszeichen

auf dem Putz außen an der Tür:

hier wohnt Wahnsinn.

 

Lächelnd kommt er mir entgegen an dem Tag, als er verrückt wird.

Ein paar Schritte mehr und das Lächeln verschwindet,

nie sah ich einen Menschen so plötzlich erdunkeln,

das ganze Gesicht einstürzen, sich vergessen

und weiter starren, alles abgeben auf Gedeih und Verderb

und mit grauenhaft geweiteten Augen zusehen,

wie es anwächst,

wie es unaufhaltsam anwächst.

Erst dann ruft eine Stimme ihn

beim Namen heraus. Seit dem Tod seiner Mutter lebt František

allein im ganzen Haus.

 

Er führt mich den Flur entlang,

er wird mir beipflichten, was ich auch sage,

die lockeren Hosen rutschen ihm von den Hüften

hinab über die schwarze Scham,

die ich mit leichter Beunruhigung erspähe,

erahne,

bevor er sie wieder hochzieht.

 

Nicht sofort geht mir auf, wo ich eingetreten bin.

Verhalten normal, Antworten normal.

Vielleicht nur alles drumrum,

dass wir in sein Haus drangen

und es nach außen kehren, Dinge hinaustragen, in die Wände hacken, bohren,

uns an den Tisch setzen, Kaffee eingießen

und über Witze lachen. Zum Schein wird er allem zustimmen,

sehr bereitwillig,

zu bereitwillig,

aber in aufblitzender Erregung.

Er hat die Arznei nicht genommen. Angeblich vergessen.

 

Er kehrt zurück zu seiner Arbeit.

Mit enormer Konzentration, sorgsam, und doch zufällig

klebt er Schmirgelpapier auf ein Holztäfelchen.

Von der schlaffen Unterlippe wird ihm der Speichel rinnen,

immer wieder

tropft er herab,

langer weißer Speichel,

den er nicht einmal bemerkt

und der sich doch herauswälzt aus ihm.

 

alles muss gut durchdacht sein

 

lautet die Warnung,

sehr gut durchdacht sein, was man beginnt, damit es nicht sinnlos

beginnt! Wird er sagen und vor Augen

das Haus haben,

wenn auch etwas Anderes, etwas Allgemeines

 

Schmirgelpapier ist zum Schleifen da

 

wichtige Sache: Schmirgelpapier ist nun einmal zum Schleifen da,

das vergisst man leicht.

 

Doch gleich werde ich sehen, er unterschätzt mich nicht.

Er reißt ein Stück von dem Papier,

bestreut es dick mit Geschirrspülpulver,

tröpfelt Wasser darüber,

zerreibt es mit den Fingern dann zu einem Brei,

den wohl keiner außer uns beiden

je sich vorstellen könnte.

 

Grobe Körnigkeit

schäumt schmutzig.

 

Er mischt noch ein paar Spuckefäden bei,

Schluss mit den unnützen Hemmungen,

dabei ruft doch alles rundum nach Reinigung.

Und mit diesem scheußlichen grauen Brei beginnt er

die schmutzige Spüle zu scheuern, den Ofen, den Boden, die Becher,

eingetrocknete Flecken von Fett und Dreck,

vor nichts macht er Halt,

auch wird er bereits direkt auf den Boden spucken

und dabei Überlegungen kundtun, was Natürlichkeit ist

 

vor allem Natürlichkeit!

 

Eine Vorsehung,

was sonst,

nur hier noch ein bisschen durchputzen.

Denn vor allem und über alles hinweg

war es das Schmirgelpapier, das in die Weite das Weltall zerrieb,

und die Frage des Saubermachens

greift auch über auf das

durch und durch Saubere

            nimm es mal aus der Perspektive dieses Schmirgelpapiers!

 

er wird mich ermahnen,

mir bedeutungsvoll zuzwinkern

und kontrollieren, streng prüfen, ob

ich auch begreife, dass er mir das nicht nur zufällig sagt,

sondern mit besonderer Absicht, nur für mich,

in Hinblick darauf, was lebenswichtig ist,

damit ich weiß

 

aus der Perspektive dieses Schmirgelpapiers

            und des saubergemachten Tischs

            sollst du das sehen

            und plötzlich wird es dir klar

            du erkennst die Zukunft

            REALISIERE DAS!

 

Leider gelingt es mir nicht.

Das Gedächtnis fasst nur in Fetzen

und die zerfallen sowieso mit den Jahren

und verwirren

wie die Erinnerung an Weissagungen, einst hineingesprochen

in das donnernde Echo der Höhlen

 

denn man muss arbeiten

            diese Funktion des Schmirgelpapiers überdenken

            das erkennst du dann schon selbst

            man sagt nicht umsonst

            ERKENNE DICH SELBST!

 

Das wird er auf keinen Fall umsonst sagen.

 

In den Hörsälen, aus denen ich kam,

wo ich ein paar Jährchen versaß und verplauderte,

sagte man diesen Satz zuweilen her

in der Sprache des Originals, die so interessant klingt,

auch in Übersetzungen, die interessant klingen,

aber immer nur wie so ein Einfall, der

freilich auch hätte etwas bedeuten können, wenn es darauf ankommt,

während es hier ist,

als werde Staub, Rauch, Schimmel und Ekel durchblitzt

von Heraklit selbst

in letzter Konsequenz

von Ephesos her.

 

Ich verstehe:

gib acht, was geschieht, nimmst du dieses Papier in die Hand!

Ich verstehe:

die Körnigkeit des Schmirgels spiegelt die Körnigkeit der Welt und dich als Schmirgel in ihr.

Ich verstehe:

Abrutschen und Abreiben, Zusammensetzung, Aufscheuern und Flimmern, Zerbröseln und Staub.

Ich verstehe:

Auf der Hut sein!

Ich verstehe:

das entscheidende Detail, der einzelne Punkt unter Punkten,

der Umkehrpunkt.

 

František,

der Umkehrpunkt.

 

Er wird mich anschauen und Stroh aus der Matratze ziehen,

er spuckt auf den Boden, von dem sich Staubwolken erheben,

und beginnt ihn mit dem Stroh fieberhaft zu reinigen

 

Erkennen und Wissen sind zweierlei Dinge!

 

Was ich höre, werde ich nicht mehr glauben

 

            Erkennen und Wissen sind zweierlei Dinge

            und jetzt führe ich es dir vor

            eben

            dieses

 

            Erkennen!

 

Er befeuchtet die Finger im Topf und dann, mit Schwung,

beginnt er Wasser auf den Boden zu sprengen

wie einer, der dem Staub befiehlt, sich zu legen und nicht zu ersticken.

Und der Staub legt sich, hört auf mich zu ersticken.

Denn darum geht es hier.

Um mich,

um meine Rettung,

schließlich wird mir bereits jedes Einatmen wehtun.

 

Und ihm entgeht das nicht,

Erkennen ist Freundschaft.

 

Er selbst sagt es mit diesen Worten

 

Erkennen ist Freundschaft

 

Dann werde ich ihn schon hinausführen,

fort aus diesem Haus, wo eine Meute Blaumänner

weitertoben wird, in die Wände hacken und Staub aufwirbeln,

das sollte er nicht mit ansehen,

ich werde mit ihm durch die Landschaft gehen im scharfen Frühlingslicht,

Flimmern ringsum, kahle Schatten von Stämmen,

Steinchen, auf den Weg geschwemmt, hemmend jeden Moment,

eine frische, edle,

noch ungeglättete Welt.

 

Derweil bin ich noch mit ihm,

fast,

aber dieses fast entscheidet.

 

Vergeblich wird er irgendetwas erklären,

Wörter sind ohnehin aus Zischlauten,

er zeigt über den Zaun auf einen Sandhaufen, er knirscht mit den Sohlen,

ich sauge scharf Luft ein und er

pflichtet gleich bei, ganz begeistert, dass ich endlich draufgekommen bin,

ist schließlich eine grundlegende Sache,

Atem und Staub, Scheuern und Flimmern,

Freundschaft und Scharfsinn.

 

Aber dieses knirschende

fast.

 

Noch in der Keramikwerkstatt

beim Warten auf den Psychiater

wird er sich Verbesserungsvorschläge ausdenken,

wie man Schleifpapier mit Farbe in den Lehm hobeln könnte

und daraus modellieren, die Produktion in Gang setzen

 

ich hab ja gewusst, was euch hier gefehlt hat!

 

und mit dieser Wahrheit, die alles ändert,

die alle bestehenden Erfahrungen überwindet,

führe ich František schließlich zur Aufnahme.

 

Auch damit noch lasse ich mich betrauen.

 

Erkennen und Freundschaft.

Durch und durch

oder fast.

 Übersetzung aus dem Tschechischen: Martin MUTSCHLER, Hamburg

 

Die Deckel

             (und als Bodhidharma entdeckte,

            dass sich die Lider ihm von selbst verklebten)

 

Der zweite. Ich starre wie er stürzt

abprallt

und splittert, noch glaub ich es nicht

eine Weile noch scheint mir, es sei rückgängig zu machen

schon der zweite Deckel in fünf Tagen

 

es ist ausgebrochen

schon in der zweiten Teekanne ein Loch                   das

ich mit nichts schließen kann             das

nach mir zielt                          das

 

Und am Boden die Scherben

 

Die Botschaft muss geschrieben werden mit deutlicher Schrift

vielleicht auch nachgezeichnet

 

Ich tue nicht so als verstünde ich nicht

 

Kommewaswolle chinesisch oder japanisch

hart so

dass es schwerlich könnte überzeugender sein

Und selbst wenn es die fehlerhafte Bewegung nicht gäbe

es komme selbst

 

Ich tue so als verstünde ich

ich hab es erreicht wie eine Wasserleitung

Ausgerissene Seiten

Die morgige Verabredung, kein Grund daran zu denken

 

Ich habe nur gegriffen, mich verlassen

dass beim grünen Tee wie schon so oft

mit der Verlagerung des zweiten                     noch des dritten Aufgusses

Verstehe ich dass ich nur so tue?

 

Schon hat es sich gelegt, das Wasser ist heiß

und wo nicht Unhaltbarkeit, da also ungreifbar

Es verfließen ein paar der kommenden Stunden

Ich denke, es dunkelt, es bleibt kein Licht

Den Abend kann man wohl erwarten

 

Das Klimpern eingerollter Blättchen

zartes Anklingen

das Knacken von Keramik, des zweiten Deckels schon

 

Erst am Gaumen verfließt es mir

 

Ein Stimmen. Komme

was Tee

 

 Übersetzung aus dem Tschechischen: Martin MUTSCHLER, Hamburg

 

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