Jurij IZDRYK: Hotel „Ukrajina“. Essay-Auszug (Aus dem Ukrainischen von Sofia Onufriv)

Erstveröffentlichung in: LICHTUNGEN 135/2013 (Graz), 15. Oktober 2013
31. 10. 2013

Jurij IZDRYK: Hotel „Ukrajina“

Mein literarisches Strampeln wird langsam zu einer Schriftstellerkarriere – das erkenne ich an Zeichen, die mit der Literatur wenig zu tun haben. So werde ich beispielsweise immer öfter als Juror eingeladen. Es ist noch nicht soweit, dass ich Honorare bekomme und die Reisekosten erstattet werden, seit einiger Zeit bringt man mich jedoch in Hotels unter. Ich muss keine Bekannten ausfindig machen, bei denen ich schlafen könnte. Und da die Hotels in aller Regel Festivalpartner sind, möchte ich beschreiben, was das Sponsoring mit so einem Partner auf sich hat.

Das Zimmer, in welchem Sie untergebracht werden, unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von anderen Zimmern. Aber es birgt unbedingt eine Überraschung. Diese Überraschungen sind nicht besonders einfallsreich und bedeuten in der Regel: Etwas funktioniert nicht. Entweder ist der Duschschlauch abgerissen, oder in der Fernbedienung fehlen die Batterien, oder direkt vor dem Fenster befindet sich ein Schlachthof.

Beim letzten Festival habe ich in einem wunderschönen Hotel gewohnt. Der Name des Hotels verhieß, wenn nicht echten westeuropäischen Standard, so doch immerhin den Versuch. Das Zimmer war einfach spitze. Ein Paar Wegwerfhausschuhe, ein weißer Bademantel mit Kapuze, eine Mini-Bar, Satellitenfernsehen…

Allerdings war die Bar leer und die Fernbedienung für den Fernseher ähnelte einem Armaturenbrett für den Abschuss von Flugabwehrraketen und ohne eine detaillierte Bedienungsanleitung konnte man sie nicht benutzen.

Sowohl der Schlauch, als auch der Duschkopf waren hochwertig, eindeutig nicht „Made in Turkey“, aber die Duschkabine war nicht dicht – selbst nach einer kurzen kalten Dusche bildete sich auf dem Fußboden eine Pfütze, von der allerdings die Gäste ein Stockwerk tiefer – dank der ordentlich verlegten Fliesen – verschont blieben.

Dagegen gab es im Badezimmer einen leistungsstarken deutschen Haartrockner, und so war schon nach zwanzig Minuten von der Pfütze nichts mehr zu sehen.

Ich möchte nicht penetrant erscheinen, aber im Zimmer fehlte der Mülleimer. Und da ich leidenschaftlich gerne Pistazien und Jogurt esse, lasse ich immer Müllberge zurück. Deshalb komme ich ohne einen Mülleimer absolut nicht aus. Schon gar nicht in Hotels, wo an einsamen Winterabenden Pistazien und Jogurt eine Köstlichkeit sind.

Nach kurzem Kampf gegen mein schlechtes Gewissen schob ich die Pistazienschalen einfach in die Schreibtischschublade und warf die leeren Jogurtbecher in eine eigens für diesen Zweck gekaufte Plastiktüte für Zement (im gleichen Laden erstand ich einen großen Scheuerlappen, um den Haartrockner zu schonen, der wegen meinem ausgeprägten Hygienebedürfnis dauernd zum Einsatz kam und kurz vor dem Durchbrennen war). Dennoch hatte sich bereits am zweiten Tag ziemlich viel Müll angesammelt. Zweimal hängte ich das Schild Bitte aufräumen raus – ohne Ergebnis. Also zog ich den weißen Bademantel mit der Kapuze an und hängte  das Schild Bitte nicht stören raus. Das Zimmermädchen kam auf der Stelle, leider haben wir die Zeit mit einem Gespräch über die Fasson von Hotelbademänteln vertan, und zum Putzen ist es nicht gekommen.

Noch einmal musste ich die Dienstleistungen des Zimmermädchens in Anspruch nehmen, als draußen ein Schneesturm tobte und sich zeigte, dass die Plastikfenster – ein typisches Blechwundermittel der einheimischen Baukunst – keineswegs vor Schneesturm schützen (dem Zimmermädchen stand der Kapuzenbademantel ausgesprochen gut).

Am Abreisetag gab’s zum ersten Mal frische Handtücher und ein neues Stück Seife. Die Seife habe ich zum Andenken eingesteckt.

 (…)

 Das coolste Hotel habe ich aber im Städtchen Irpin in der Nähe von Kiew gesehen. Mit Irpin verbinden die meisten Leute ein Schriftstellerhaus, einen Park und eine paramilitärische Wacheinheit unter der Leitung von Leutnant Roman Schreck. Aber in den Genuss der Übernachtung im hiesigen Hotel sind nur wenige gekommen. Ich weiß nicht mehr genau, wie es hieß, ich weiß noch genau, wie es war: Irpin, Gewitterhimmel und drei Neonsterne. In der Empfangshalle bekam ich schon eine Ahnung davon, was diese 3-Sterne-Kategorie wert war. Ganz genau erinnere ich mich nicht, aber es tauchen in einer kafkaesken Reihenfolge Episoden auf:

 – die Rezeption hatte ein phantasievoll geschwungenes sowjetisches Gitter;

 – im Gästebuch wurde wer weiß was abgefragt: Abstammung, Nationalität, Blutgruppe usw.;

 – als Portier stand mir ein Veteran des Zweiten Weltkrieges im Trainingsanzug gegenüber;

 – der Apothekenkiosk – ebenfalls vergittert – warb mit dem Schild „Antipilzpräparate auch auf Kredit“;

 – der Lastenaufzug fuhr fünf Stockwerke nach oben und vier nach unten;

 – die leere Sperrholztafel mit der Überschrift:

 Wan Z itung

und einem Zettel mit dem Hinweis: „Nach 23 Uhr wird die Tür nicht mehr geöffnet“.

Es folgten weitere grauenvolle Einzelheiten:

 – der Fahrstuhl fuhr nur bis zur fünften Etage, weil sich auf den Etagen von sechs bis neun ein Studentenwohnheim befand;

 – die ersten drei Stockwerke wurden aus Spargründen auch nicht bedient, deshalb erreichte man den Frühstücksraum auf der zweiten Etage nur durch eine Notfalltreppe, die an dem Studentenwohnheim und diversen Büros vorbei, die Hotelräumlichkeiten miteinander verband;

 – das Restaurant gehörte nicht zum Hotel, deshalb erreichte man es auch nur von draußen, durch eine andere Tür mit einem phantasievollem Gitter.

Und so weiter und so fort.

Im Zimmer gab es einen Fernseher und einen Kühlschrank, wie es sich für ein Drei-Sterne-Hotel gehört.

Der Fernseher – ein schrottreifer koreanischer „First“ – war stumm und ohne Fernbedienung, und der Kühlschrank „Morozko“ – eine Rarität aus der Sowjetzeit – war zugleich die einzige Lichtquelle im Zimmer. Das Bad war ganz rührend: gelbe Krankenhausfliesen, eine gesprungene Kloschüssel und die Dusche ohne Ablaufbecken. Es gab noch zwei Handtücher: ein großes chinesisches und ein weißes mit Waffelmuster, ein Stück Kernseife und eine ganze Rolle Toilettenpapier. Das letzte habe ich besonders angebracht nach dem Frühstück gefunden, das aus Nudeln, Zucchinipüree und Sanatoriumskakao bestand. Und nach dem Schock, den ich auf dem Flur erlebt habe. Als ich am Morgen das Zimmer verlassen habe, den Duft der Kernseife verströmend, habe ich auf dem Flur Menschen gesehen, die ruhig auf den Stühlen an den Wänden saßen. Kafkas „Prozess“ und Breschnews Beerdigung sind mir eingefallen. Instinktiv habe ich den Nächsten gefragt, wer der Letzte sei. Der Nächste war auch der Letzte, und das war eine Schlange zur Sparkasse, die hier einige Zimmer mietete.

Als ich die  Dame an der Rezeption hinter dem phantasievollem Gitter gefragt habe, ob es möglich wäre, das Licht nicht nur im Kühlschrank, sondern auch im Zimmer zu haben, gab sie mir ein weiteres dickes Buch für Beschwerden. Ich trug meine Bitte ein, eine Glühbirne einzuschrauben. Der vorherige Eintrag stammte von zwei Studentinnen: „Als wir aus den Ferien zurückgekommen sind, war die Zimmertür weg. Schicken Sie einen Tischler“.

Vor diesem Hintergrund sind nächtliche Verhandlungen mit dem Veteranenportier, der die Tür wie ein Zerberus bewachte, Bikerrennen vor dem Hotel und eine zusätzliche Portion Zucchinipüree am zweiten Tag nicht der Rede wert. Das Drei-Sterne-Haus in Irpin soll man in die Liste der touristischen Highlights in der Ukraine aufnehmen.

Ich arbeite immer journalistisch, deshalb würde ich hier gerne über das metaphorische Hotel Ukrajina nachdenken, in dem wir alle hausen, in dem die Blechfenster Risse bekommen und Lastenaufzüge stecken bleiben. Aber das lasse ich lieber sein.

Weil ich sagen muss, dass sich meine Schriftstellerkarriere rasant entwickelt. Ich werde mittlerweile zu Musikfestivals eingeladen. Ich habe schon in einem VW-Bus, in einem Rehabilitationszentrum für Kranke mit Verbrennungen vierten Grades und in einem Internat für Taubstumme übernachtet, wo das Regenwasser knöchelhoch stand. Hier hatte aber auch niemand den Komfort angepriesen und das ist eine ganz andere Geschichte, keine touristische, sondern eher eine Wandergeschichte: Die Heimat hat einiges zu bieten.

 Aus dem Ukrainischen von Sofia ONUFRIV, Berlin

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One Response to Jurij IZDRYK: Hotel „Ukrajina“. Essay-Auszug (Aus dem Ukrainischen von Sofia Onufriv)

  1. Valentyna
    9. 11. 2013 at 11:10 pm

    Super!

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