Ludwig BAUER: Die Begegnung, Romanauszug (Aus dem Kroatischen von Paul Gruber)

Erstveröffentlichung in: LICHTUNGEN 135/2013 (Graz), 15. Oktober 2013
31. 10. 2013

Ludwig BAUER: Die Begegnung

Einleitung:

Der Kampf mit der Geschichte, der eigenen wie der gesamtgesellschaftlichen, und die daraus entstehenden Schwierigkeiten für den, der eigenen Identität unsicheren, Einzelnen stehen im Mittelpunkt von Ludwig Bauers mehrfach ausgezeichnetem Roman Zavičaj, zaborav (Heimat, Vergessen, 2010). In meditativer, poetischer Sprache erzählt Bauer vom Leben des volksdeutschen Lukan, dessen Eltern im Zweiten Weltkrieg umgekommen sind und der im Kroatien der FNRJ von Pflegeeltern aufgezogen wird. Erst als Junge erfährt er seinen wahren Namen und seine Herkunft. Die darauffolgenden Suche nach sich selbst führt den durchwegs schwachen, aber idealistischen Lukan nach Deutschland, Tschechien, die Slowakei und schließlich zurück nach Kroatien, wodurch der Blick auf verschiedene gesellschaftliche Systeme frei wird. Dabei behandelt Bauer große Themen, wie das Schicksal der Donauschwaben, die Stellung des Einzelnen gegen das System oder das Verhältnis zwischen Mann und Frau in von der Geschichte gebeutelten Zeiten.

 

Die Begegnung                                                                                           

Der Regen hatte den aufgeschütteten Schotter weggespült und den Weg in einen reißenden Bach verwandelt, in dem die Füße immer wieder über grobe Unebenheiten stolperten, welche in der Dunkelheit versteckt waren, weil der Mond ganz tief und seitlich stand, man also selbst dann nichts hätte erkennen können, wäre er größer als diese schmale, diese hauchdünne Sichel gewesen, die da in das Nachtblau des Himmels eingehämmert war – auf Deutsch nennt man das ‘tauschieren’, dieses Verfahren, fiel mir ein; nur dass sich der Meister bei dieser Form von Intarsie hier das Silber gespart hat – und ich lachte über mich selbst, lachte lautstark, es war ulkig, dass meine Gedanken derart von der Erde zum Himmel hin tanzten, wo ich mich doch voll und ganz hätte darauf konzentrieren müssen, wo ich hintrat, entlang des Wegrands war es wahrscheinlich sicherer, weil das Wasser sein schlängelndes Bett hauptsächlich in der Mitte aushob: der Sturzbach floss hier viel zu schnell, als dass er sich über den gesamten Weg hätte ergießen können. Malum nullum sine aliquo bono, kein Übel ohne etwas Gutes: befände sich hier kein derartiger Steilhang, dann fiele auf den Weingarten nicht so viel Sonne und auch die Erde wäre nicht so durchlässig – Wein mag es nicht, wenn seine Wurzeln unter Wasser stehen, behaupten zumindest die Weinbauern. Vielleicht stolperte ich aber auch nur deshalb, weil ich ein wenig über den Durst getrunken hatte, nicht übermäßig, ich habe ja eben darauf geachtet, mich nicht zu betrinken, habe von jedem Glas bloß gekostet, doch der Abend war lang, und es ist einfach unmöglich, den Wein nur zwischen Gaumen und Zunge zu behalten, es ist einfach unmöglich, bloß daran zu nippen: der wahre Zauber liegt ja gerade darin, wie er zwischen Gaumen und Zunge hindurchgleitet und einem die Kehle streichelt, während sich der Duft von Muskat nach oben, Richtung Stirn verflüchtigt. Die anderen haben mich ein wenig verspottet, weil ich Muskateller trank, weil ich auch nach der Verkostung dabei geblieben war, sie waren alle auf den Riesling von Žiga, ‘Welschriesling’ oder auf Pinot umgestiegen, letzterer war mir aber wirklich zu dünn, für sie war hingegen weißer Muskat ein Frauenwein, parfümiert, wie sie sich ausdrückten, damit spielten sie vielleicht auch auf mein Vorhaben an, im nächsten Frühling ‘Gewürztraminer’ zu setzen, Cserszegi Füszeres – so nannte ihn jener Ungar, mit dem ich den Kauf der Stecklinge vereinbart hatte –, ihre Scherze waren völlig daneben, denn wenngleich jung, war dieser Gewürztraminer doch voller Raffinesse, eignete sich aber auch vortrefflich zur Lagerung, der Ungar besaß gut zehn Fässer davon, noch drei Jahre, dann habe ich auch so einen, noch drei Jahre … wer weiß schon, was in drei Jahren sein wird; übrigens, meinen eigenen Rotwein hatte ich schon, Žigas Kombination, Žiga hatte ein Händchen für Cuvées, der Rote war rund, Blaufränkischer und Cabernet-Sauvignon wurden durch den Hamburger Muskat abgeschwächt, mir schien dieser Cuvée gut ausbalanciert, harmonisch, ausreichend kräftig und zugleich süffig, wenngleich die Weinbauern Žiga gerne stichelten, indem sie diese Süffigkeit lieber dem Keller im Weinhügel, als seinen Kenntnissen im Weinbau zuschrieben; Žiga hat mir auch selbst gestanden, dass er die Reben, schon beim Setzen, gemischt hatte, und zwar nur weil er aus Erfahrung wusste, dass manche Sorten schon mal ganz aussetzen, andere dafür umso besser tragen… Plötzlich raschelte etwas im Gebüsch am Wegesrand, ich vermutete Füchse, die sich nachts, öfter gegen Morgen, zu den nächsten Hühnerställen hinabschlichen, und genau da verspürte ich einen starken Luftstoß, als würde man auf eine Harke steigen, so habe ich das gedeutet – die meisten Menschen kennen so etwas nur als Filmgag, aber mir ist das wirklich einmal passiert, vor Ewigkeiten, als Kind – und es folgte ein Schlag, der nicht von einer Harke stammte, ich hatte das Gefühl, als hätte mir jemand aus der Dunkelheit heraus mit dem flachen Ende einer Schaufel eins übergezogen, und meine Wange platzte auf, wie Knoblauch, den man zum Kochen presst. Ich hörte auch einen Schuss, einen zweifachen, beinahe gleichzeitigen Schuss aus einem Doppellauf, das war ganz bestimmt ein Jagdgewehr, also war der Schlag mit einem Gewehrkolben erfolgt – der hätte mir den Schädel einschlagen können, dachte ich, während ich wankte und zu Boden fiel. „Wer bist du denn?“ – fragte eine Stimme von der Seite und ihr gegenüber wurde eine Taschenlampe angeknipst, sodass ich um mich herum das dornige Gestrüpp erblickte, in dem ich lag, bevor sie mich blendete, jene andere Stimme aber wiederholte forsch: „Mensch, wer bist du?“

Ich merkte, dass ich das Bewusstsein verlor, vielleicht sterbe ich ja auch, dachte ich gleichgültig, oder – vielleicht ist mir nur vom Hieb und den Getränken schwindlig, aber gestorben bin ich wohl nicht, dort drüben gibt es bestimmt nichts, redete ich mir unsicher ein, wobei ich mir, am Rande meines langsam schwindenden Bewusstseins, vielleicht doch irgendein Zeichen des ewigen Fortbestehens erwartete – trotz allem! – irgendein vielleicht sogar auch süffisantes, unausgesprochenes, aber klares: Siehst du, und wieder hast du dich geirrt, Mensch, bedeutungsloser, kleiner, winziger Mensch, betrunkener alter Mann, der du so qualvoll mit der Wange den getrockneten Lehm zwischen den dornigen Ästen berührst, der du den Staub berührst, zu dem du werden wirst, dann aber bis in alle Ewigkeit …

Mein kleiner Offizier!, sagte die Mutter, fröhlich und verzweifelt zugleich, lachte laut auf und seufzte, zog den Saum des schweren Vorhangs ein wenig zur Seite, das war einer von denen, die nachts zugezogen werden, damit man morgens nicht weiß, ob es draußen schon hell wird oder nicht, und machte den Blick frei auf eine gebeugte Gestalt, auf eine kleine Gestalt am Ende einer Kolonne, einen kleinwüchsigen Jungen auf einem Pferd, welches ebenfalls kleiner war, als all die anderen an der Spitze der Kolonne, es war ein winziges Pferd, einem Esel ähnlich, nur magerer, dieses magere Pferdchen war sogar kleiner als die Soldaten, die vorne wankten und die vielleicht der Reihe nach zu Boden gestürzt wären, wäre am Ende der Kolonne nicht ebendieser gebückte Junge im Militärumhang geritten und auf seinem müden Gaul hin und her gebeutelt worden. ‘Der kleine’, sagte die Mutter auf Deutsch und zeigte mit dem Finger auf ihn, nachdem die Kolonne dann aber hinter der Ecke verschwunden war, von wo aus man einen Moment lang noch das Klappern der schweren Stiefel vernehmen konnte, da sagte sie ‘Prinz Eugen Division’, das sagte sie genau so, wie man für gewöhnlich zeremonielle Abschiedsworte am Ende von Begräbnissen spricht, Worte, nach denen einer nach dem anderen an das im Erdboden klaffende, riesige Loch tritt und eine Handvoll Erde nachwirft, wie gut kann ich mich an dieses Geräusch erinnern, an das dumpfe Aufprallen auf den Sargdeckel, aber ich erinnere mich auch an Mutters Aussprache, mit dem langgezogenen Diphthong zu Beginn des zweiten Wortes: Oigen, Prinz Oigen Division, Prinz Oigen Division, sagte meine Mutter, wir aber bleiben, bleiben hier, wir bleiben zu Hause.

                                    Einleitung und Übersetzung aus dem Kroatischen von Paul GRUBER, Graz

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