Getauschtes: Textecho – Lyrik schreiben und übersetzen

21. 5. 2015

Der Tag war zu schön für eine Abreise, auch wenn es sich um die Heimkehr handeln würde. Angenehm gesättigt vom gehaltvollen und abwechslungsreichen TransStar-Programm in Tübingen schien es unwirklich, bald wieder zum Alltag zurückzukehren, dessen Grundlage doch die Hausmannskost ist, und nicht die erlesene Speise. Ein wenig entrückt gaben wir uns der Literatur und deren Übersetzung hin, alle Zeit und Unternehmung diesem Zwillingspaar verpflichtet. Auf den letzten, bunten Abend folgte das morgendliche Packen und eine baldige Rückkehr zum unvermeidlichen täglich Brot. Nur noch die letzte Veranstaltung und danach zum Bahnhof. Das also war der Hölderlinturm, schön vom Sonnenlicht ausgeleuchtet. Und das also waren Elke Erb und Uljana Wolf, Ilma Rakusa konnte leider nicht mehr erscheinen. Aber ich hatte schon gepackt, war mit den Gedanken bereits woanders. Doch nach der Vorstellung der Autorinnen, beide zugleich Übersetzerinnen, holte mich ein Echo noch einmal zurück ins erlesene hier und jetzt. Ein Textecho, das nicht nur lyrische Werke der Gastautorinnen zusammenführte, sondern weit darüber hinausging. So las Dagmar Leupold, die Moderatorin dieser klangvollen Matinée und ebenfalls namhafte Autorin, ein selbstverfasstes Nachwort zu Ehren ihres kürzlich verstorbenen Freundes Günther Grass vor. In der Diskussion um die Frage, ob übersetzen nicht auch bereits schreiben sei, bereicherten Schleiermacher, Dilthey und Brodsky das bereits vielschichtige Echo. Literatur und Übersetzung, sowohl Erb als auch Wolf zufolge eher ein Holen, ein Heraus- und Hinüberholen, als ein Übersetzen, kamen sich näher. Weitere Klänge erweiterten das Echo, aus dem Damals sprach Benjamin, aus dem Jetzt sprachen von Erb übersetze Gedichte des Poeten Oleg Jurjew. Dazu gesellte sich der von Wolf übersetze Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki, aus dessen Werk einige Texte von der Projektteilnehmerin Magda Lewandowska vorgetragen wurden, deren Stimme dieses umfassende und wohltönende Echo ergänzte. In diesen Klangteppich waren ausgewählte Werke von Erb und Wolf eingeflochten, die zum Teil das Übersetzen oder Herüberholen selbst zum literarischen Motiv machen und Wortspiele zwischen verschiedenen Sprachen mit verblüffender Leichtigkeit verwoben. Längst dachte ich nicht mehr an die Rückkehr oder den Alltag, sondern ergötzte mich an diesem fein- wie tiefsinnigen Echo, das sowohl aus der Vergangenheit durch bedeutsame Namen, als auch aus der Gegenwart mittels zeitgenössischer Poeten und nicht zuletzt dank lebendiger Stimmen schallte. Ein hervorragendes Ende verlängerte das Entrücktsein auf inspirierende Weise und erleichterte die Abreise im Wissen, dass dieses Echo noch lange Zeit in unseren Köpfen nachklingen würde.

von Lukas Laski

 

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Klingende Kampfparolen: Das Erbe des Antifaschismus auf dem Balkan

20. 5. 2015

In einer eindrücklichen Lesung stellten an diesem 9. Mai, einen Tag nach dem offiziellen Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, unter den Dachgiebeln des Tübinger Stadtmuseums Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „TransStar Europa“ zusammen mit dem  Werkstattleiter Matthias Jacob ihre Übersetzungen vor. Für die Zeitung BETON INTERNATIONAL, die jährlich zur Leipziger Buchmesse und als Literaturbeilage der Berliner Tageszeitung TAZ erscheint, übersetzten Evelyn Sturl, Vivian Kellenberger, Anna Hodel, Maja Konstantinović und Paul Gruber Texte von Autoren aus Kroatien, Montenegro und Serbien. Die diesjährige Ausgabe von BETON INTERNATIONAL widmet sich dem Europa siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und versammelt Texte aus der Feder der aus verschiedenen Teilen Europas stammenden Autorinnen und Autoren, die gebeten wurden, ihre Standpunkte zu siebzig Jahren europäischer Nachkriegsgeschichte niederzuschreiben. Die Zeitungsbeiträge werfen persönliche Blicke auf das gegenwärtige Europa, sie eröffnen andersartige Sichtweisen auf die vergangenen siebzig Jahre, erläutern die vielschichtige Bedeutung des Begriffes „Antifaschismus“.

Die Lesung sprüht vor Emotionen, Energie und Empathie. Die gelesenen Sätze blitzen plötzlich auf, werden laut, werden länger und länger und ziehen die Zuhörerschaft leise in den Sog der Geschichte. Die Gemüter sind belagert von einem ungewissen Schaudern beim Gedanken an all die vergangenen und gegenwärtigen Kriege. Durch den Raum klingt der Kummer von Europa, es reckt sich empor die Denkmalplastik Jugoslawiens, an einem gewöhnlichen Nachmittag wird die Moral begründet, an einem Oktobertag die Stadt Split befreit.

Diese und andere Texte sind nachzulesen in der zweiten Ausgabe von BETON INTERNATIONAL.

*  Sreten: An einem gewöhnlichen Nachmittag, aus dem Serbischen von Anna Hodel

*  Zvonko Maković: Denkmalplastik auf dem Gebiet Jugoslawiens. (1945-1991): Paradigma einer Zeit, aus dem Kroatischen von Vivian Kellenberger

*  Zlatko Paković: Antifaschismus und Begründung von Moral, aus dem Serbischen von Paul Gruber

* Edi Matić: Auf den 26.10.1944, den Tag der Befreiung der Stadt Split – 70 Jahre danach, aus dem Kroatischen von Evelyn Sturl

*  Jurica Pavičić: Der Kummer von Europa oder Wie der Faschismus (wieder) selbstverständlich wurde, aus dem Kroatischen von Maja Konstantinović

von Daniela Čančar und Ines Hudobec

Hier finden Sie einige Fotos.

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Eine Radiosendung zu den Übersetzugswürfel-Veranstaltungen in Tübingen: Reinold Hermanns für SWR2 Journal am Mittag, 8. 5. 2015

9. 5. 2015

Übersetzungswürfel – sechs Seiten europäischer Literatur und Übersetzung
6.–10.
Mai in Tübingen

Reinold Hermanns für SWR2 Journal am Mittag, 8.5.15

Hören Sie die Sendung hier.

Anmod:

TransStar Europa ist ein internationales, von der EU mitgetragenes Literatur- und Übersetzungsprojekt. Sein Schwerpunkt liegt  auf Ost-Mittel- und Südosteuropa; das Projekt fördert diverse Seminare, Workshops, Diskussionen und Kulturveranstaltungen. In Zusammenarbeit mit dem  Slavischen Seminar der Universität Tübingen veranstaltet TransStar bis kommenden Sonntag  in Tübingen den sogenannten „Übersetzungswürfel“ , mit acht Autorinnen und Autoren aus  sowie 20 Übersetzerinnen und Übersetzern aus sieben Ländern; Reinold Hermanns war Mittwoch abend bei der Eröffnung dieses speziellen Literaturfestivals dabei:   

HE:

Zum Auftakt  Grundsätzliches: Schon „Schreiben“ selbst ist ein Übersetzen, nämlich das Überführen von „Welt“  in  Literatur. Das Übertragen von einer  Sprache in eine andere ist so gesehen ein zweites Übersetzen, im Sinne des Über-Setzens von einem sprachlichen Ufer zum anderen.

Im Fokus des Tübinger Festivals steht die osteuropäische Literatur – aus gutem Grund, denn da gibt es Nachholbedarf. Schamma Schahadat, Professorin am Slavischen Seminar der Uni Tübingen, Leiterin von TransStar Europa:

O-Ton Schahadat 1:

Man guckt nach Frankreich, man guckt nach Spanien,  nach Portugal oder auch nach Griechenland, aber man guckt ganz wenig nach Osten, und irgendwie ist der Eiserne Vorhang, den es ja eigentlich nicht mehr gibt, immer noch, mental, glaube ich, da. Und das möchten wir gerne überbrücken.

HE:

Im Fokus des „Übersetzungswürfels“ deshalb gerade die osteuropäischen Sprachen:

O-Ton Schahadat 2:

Wir hatten die Vorstellung ein Netzwerk zu schaffen,  indem wir verschiedene Sprachen und Kulturen zusammenbringen;  und dann geht es uns um die Ausbildung von Kulturvermittlern und Übersetzern, die aus diesen kleinen Sprachen und in diese kleinen Sprachen übersetzen können.  Unser Ziel ist insgesamt, diese Sprachen und Kulturen auf der mentalen Karte Europas zu verorten.

HE:

Welche mentalen Umrisse aber hat dieses Europa, bzw. soll es haben? Wichtig, gerade für den Westen, dazu auch Meinungen von  Literaten bzw. Exilliteraten aus Polen, Kroatien, Slowenien und Tschechien. Oder aus der Ukraine; etwa von Festivalgast Juri Adruchowytsch.  Der längst ins Deutsche übersetzt wird, und der die Ukraine dezidiert als Teil Europas sieht. Und dessen Beispiel zeigt, dass es bei  Literatur und Übersetzen um Leben und Tod gehen kann. Auch Andruchowytsch ist  einer, der auf dem Maidan stand und standhielt. Und der noch aus der Wut des Maidan heraus schreibt:

O-Ton Andruchowytsch :

Ja, aus der Wut und der Glut des Maidan; und in der Ukraine besprechen wir die ganze Zeit: wo sind die großen Romane über Maidan und über den Krieg, den wir heute haben, und ich denke,  die kommen dann in 2,3,4 Jahren, jetzt ist die Zeit für was Kürzeres; wir, also die Schriftsteller, reagieren mit Gedichten, mit Essays, mit Feuilletons, und wahrscheinlich konservieren wir etwas für die künftigen Romane.

HE:

Dazu mag auch jene Rede zählen, die Andruchowytsch einmal hielt.  „Thema : Ukraine – EU“: Wir  (Ukrainer) reden über Werte, ihr (Europäer) redet über Preise, wenn von Werten die Rede ist, – so die Quintessenz der Rede, auf Ukrainisch verfasst und ins Deutsche übersetzt: uns ins europäische Stammbuch hinein. Auch das ein Beispiel für die Wichtigkeit des „Übersetzens“. Das uns auch anderweitig bereichert  - etwa durch die Schönheit anderer Sprachen. Wie des Ukrainischen. Das man schon mal auf der Straße hört, ohne aber zu wissen, was es ist und wie es wirklich klingen kann. Voilà: Es kann so klingen wie in  Andruchowytschs Gedicht vom „Einhorn“, hier ein Auszug;  übersetzt von Claudia Dathe von TransStar Europa ,  gesprochen vom Autor selbst:

 O-Ton Gedicht  (Andruchowytsch – Dathe)

…….

Du Einziger…

Im Wald ertappt mich die dunkle Stunde. Wie Musik in der Stadt,

plötzlich hinter der Ecke.

Und ich höre, da weidet am Waldrand ein Einhorn….  

Abmod:

Soviel zum „Übersetzungswürfel“ – dem Tübinger Literaturfestival von TransStar Europa. Heute abend um 20.00 Uhr bietet das Improvisationstheater Action und Drama aus Leipzig im Brechtbau der  Universität Skurrilitäten unter dem Titel „Gescheitertes: Alles, was beim Übersetzen schiefgeht“; am Samstagnachmittag geht es weiter mit dem „Erbe des Antifaschismus auf dem Balkan“ und „Schreiben und Übersetzen nach dem Zerfall Jugoslawiens; weitere Infos unter www.transstar-europa.org

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Übersetzungswürfel: Bericht über den Workshop zu Sprechtraining und Moderation

8. 5. 2015

Am Freitag, dem dritten Tag unserer TransStar-Werkstatt in Tübingen, erwartete uns nach einer Vormittagseinheit, in der wir an unseren Übersetzungen gearbeitet hatten, ein vielversprechender Workshop zu Sprechtraining und Moderation. Von Literaturübersetzerinnen und -übersetzern wird bekanntlich nicht nur erwartet, dass sie im sprichwörtlich „stillen Kämmerlein“ eine fabelhafte Übersetzung anfertigen, sondern auch, dass sie dieser – bei Literaturveranstaltungen etwa – mithilfe ihrer eigenen Stimme Ausdruck verleihen. Selten jedoch suhlen sich Übersetzerinnen und Übersetzer im Rampenlicht. Das Gros der Übersetzerinnen und Übersetzer sieht das Auftreten vor Publikum vielmehr als eine unangenehme Begleiterscheinung des Literaturübersetzens. Cornelia Prauser und Florian Ahlborn, ihres Zeichens Sprechkünstler und ausgebildete Sprechtrainer der Akademie für das gesprochene Wort, setzten in ihrem Workshop alles daran, diese unsere Abwehrhaltung ins Gegenteil zu kehren.

Gleich zu Beginn stand uns die Verblüffung über das sichere, dynamische Auftreten der beiden SprechtrainerInnen ins Gesicht geschrieben. Mit lauter, fester Stimme und tadellosem sprachlichen Ausdruck stellten sich uns Cornelia und Florian vor und gingen sogleich in medias res: „Sprich, damit ich dich sehe!“, zitierte Florian den griechischen Philosophen Sokrates. Unter diesem Motto sollten die  folgenden Workshop-Stunden stehen. Wir erfuhren, dass Kommunikation niemals auf rein verbaler Ebene abläuft, sondern zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf nonverbaler Ebene. Wenn wir etwas sagen, dann kommt bei unserem Gegenüber der Inhalt nur zu sieben Prozent an. Einen viel nachhaltigeren Eindruck hinterlassen wir hingegen mit unserer Stimme, nämlich zu 38 Prozent, und mit unserer Körpersprache. Diese macht sogar 55 Prozent unseres Gesamteindrucks aus! Dass Worte der visuellen Botschaft eindeutig untergeordnet sind, bewiesen uns Cornelia und Florian sogleich mit einem Experiment: Mit einem senkrecht in die Höhe gestreckten Arm forderten sie uns auf: „Steht einmal auf und haltet euren Arm waagrecht!“ Geleitet vom dem, was wir sahen, und nicht von dem, was wir hörten, standen wir auf und streckten ohne Ausnahme unsere Arme ebenso senkrecht in die Höhe, wie wir es an den Trainern sahen! Wer hätte das gedacht?

Wir beschäftigten uns neben der Wahrnehmung auch mit Körperhaltung, Atmung, Muskelspannung, Stimme und Sprechen. Cornelia und Florian zeigten uns eine Reihe von Übungen, die zu einer sicheren Stimme und einem lockeren Auftreten beitragen. Diese teils ulkig anmutenden Übungen durften wir auch gleich ausprobieren. Imaginäre Hühner mit einer entschlosseneren Handbewegung und einem scharf ausgesprochenen „Sch“ aus unserem imaginären Gemüsegarten zu verscheuchen, ließ uns nicht nur unsere Atmung bewusst spüren, sondern erheiterte unsere Runde auch dementsprechend.

Nach dem allgemeinen Part des Workshops teilten wir uns in zwei Gruppen. Mit Cornelia übten wir das Lesen von literarischen Texten vor Publikum und mit Florian das Moderieren eines Diskussionsgesprächs. Bei diesem interaktiv gestalteten Teil des Workshops galt vor allem „Learning by doing“. So wurden wir dazu angehalten, die Gunst der Stunde in dieser vertrauten Runde zu nutzen und das eben Gehörte sofort in die Tat umzusetzen. Dabei standen uns bei der ein oder anderen Unsicherheit die beiden Trainer mit guten Tipps zur Seite.

Zum Schluss wurde das uns allen bekannte Lampenfieber thematisiert. Cornelia und Florian wiesen uns darauf hin, stets zu hinterfragen, warum wir vor Auftritten Lampenfieber verspüren. In den meisten Fällen entsteht dieses nämlich aus Versagensängsten, die vollkommen unbegründet sind. Den Trick, sich vor einer Lesung „Das Publikum will meine Infos!“ einzubläuen, konnten einige von uns bereits am darauffolgenden Tag bei der nächsten TransStar-Veranstaltung ausprobieren. Und es hat gewirkt!

von Evelyn Sturl

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Übersetzungswürfel in Tübingen: Zwischen Paris, Stuttgart und Iwano-Frankiwsk

7. 5. 2015

Getauschtes: Zwischen Paris, Stuttgart und Iwano-Frankiwsk

Juri Andruchowytsch, Lubomír Martinek und Sudabeh Mohafez erleben Fremdheit auf unterschiedliche Weise: als Konfrontation in der Rolle des Einwanderers, als irritierende Erfahrung im Gespräch über das Heimatland und als allgemeines Lebensgefühl in der Gegenwart. Die drei Autoren diskutieren über ihre Vermittlung inmitten der Fremdheit und lesen aus aktuellen Werken.

Sudabeh Mohafez wurde 1963 in Teheran geboren, kam 1979 nach Berlin und lebt als Autorin seit 10 Jahren in Stuttgart. Zuletzt von ihr erschienen sind der Erzählband  das zehn zeilen buch und der Roman brennt.

Juri Andruchowytsch wurde 1960 in Iwano-Frankiwsk in der Westukraine geboren und gilt seit den 2000-er Jahren als die wichtigste Stimme der ukrainischen Literatur in Deutschland. Zuletzt gab er im Suhrkamp Verlag den Band Euromaidan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht heraus.

Lubomír Martínek lebte bis 1979 in Prag und emigrierte dann nach Paris. In seinen überwiegend essayistischen Werken setzt er sich mit der verlorenen Identität des modernen Menschen auseinander.

Moderation: Claudia Dathe
Ort: Pfleghofsaal

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Übersetzungswürfel: Gesagt in zehn Zeilen, Workshop mit Sudabeh Mohafez

7. 5. 2015

Was wenn Autoren und Übersetzer jeweils eine andere Rhythmik des Textes empfinden? Wem gehört der Text? Und wem gehört der Mond? Was hat der Verleger dazu zu sagen? Die Teilnehmer des Transstar-Projektes führten am 07. Mai ein Gespräch zum Übersetzen und Schreiben mit der Autorin Sudabeh Mohafez.

„Übersetzung lese ich eher als Interpretation, denn als Wiedergabe, ihr habt das Recht, eure Interpretation zu bestimmen, ich auch,“ unterstrich die Autorin die Wichtigkeit, Text als solchen von seinen Interpretationen zu trennen. Gleich in der ersten, vom Workshop-Moderatoren Andy Jelčić aufgegebenen Übung zeigte sich nämlich, wie verschieden ein Text gelesen werden kann. Die Umbrüche in Mohafez’ Text „unmöglich“ aus dem „zehn zeilen buch“ setzten die Teilnehmer sehr unterschiedlich ein und begaben sich in eine rege Diskussion zu der eigentlichen Rhythmik des Textes. Als Sudabeh Mohafez den Text selber in einer sehr schnellen und dynamischen Kadenz vorlas, zeigten sich die meisten überrascht. „Sie können es nicht falsch verstehen, es ist Ihre eigenständige, valide Interpretation, nicht weniger wahrhaftig als meine“, versicherte jedoch die Autorin.
Das besprochene Buch hatte die Autorin auch schon am Vorabend vorgestellt: eigentlich wurde es nie mit der Absicht des Drucks geschrieben, einzelne Texte sind als Blog entstanden. Sie wurden alle innerhalb von 15 Minuten geschrieben und hatten das Limit von 852 Zeichen samt Leerzeichen. Auch die Orthographie hat die Autorin der Flüchtigkeit des Internets angepasst: keine große Buchstaben, keine Kommas.
„wegen all dieses gehörens des mondes“ zeigte sich aufgrund der für slawische Sprachen enormen Anhäufung des Genitivs sowie der unüblichen Substantivierung als eine der möglichen Übersetzungsschwierigkeiten im besprochenen Text. Sudabeh Mohafez riet dazu, die jungen Übersetzer sollen sich nicht um das Substantiv, sondern um das Konzept kümmern: um das Gehören des Mondes, um den Besitz.
Darf man eventuell „zehn zeilen buch“ als „elf zeilen buch“ in eine andere Sprache übertragen, wenn der Bedarf besteht? Künstlerisch wäre es nicht unbedingt ein Problem, bestätigte die Autorin, beruflich strategisch vielleicht schon, meinte der Moderator. „Manchmal widerspricht das Strategische dem Künstlerischen stark“, offenbarte die Autorin ihre Erfahrungen mit Büchertiteln: bis auf das ‚zehn zeilen buch’, wozu ihr ein Freund riet, wurden alle ihre eigentlichen Titeln von Verlegern abgelehnt mit dem Einwand, dass es „kein Mensch kaufen würde“. So ist aus ‚Folgelandschaft’ neu ‚Brennt’ entstanden. „Mich stört, dass dem Leser abgesprochen wird, zur Literatur zu kommen; Literatur muss zu Lesern kommen, in Seife gehüllt, es macht die Literatur kaputt.“
Abschließend verabschiedete sich die Autorin mit einer Schreibübung von den Teilnehmern, die somit noch selber literarisch kreativ werden und die Literatur auf sich zukommen lassen konnten.

von Anna Koubová

 

der mond mag niemandem gehören, aber die sonne gehört heute uns. den donnerstag vormittag haben wir in tübingen mit der schriftstellerin sudabeh mohafez verbracht und nicht nur über ihr zehn zeilen buch diskutiert. der beitrag darüber wird in fünfzehn minuten geschrieben und achthundertfünfundzwanzig zeichen haben. exakt. die inspiration ist klar. oder ist das konzept der form überordnet? sudabeh stimmt zu. wir sollen „mutig interpretieren“! aber was meint der verleger, wenn wir zehn zeilen als zwanzig zeilen übersetzen? hauptsächlich das buch verkauft sich gut. außerdem wird darüber gesprochen, wem der text gehört. dem autor, dem übersetzer oder dem leser vielleicht? es sei mit ihm, wie mit dem mond. zum abschluss üben wir schreiben. aus unseren namen entstehen geschichten. reine quälerei, aber geht doch.

von Miloslav Man

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Übersetzungswürfel in Ljubljana – Gelesenes: Literatur und Politik

6. 5. 2015

Ein Abend mit Katja Perat, Miklavž Komelj und Natalka Sniadanko, Konzert der A-cappella-Gruppe Jazzy.si

Die Abschlussveranstaltung fand am Samstagabend im Kulturzentrum Metelkova statt. Über Beziehungen und Verbindungen zwischen Literatur und Politik diskutierten die Prosaautorin Natalka Sniadanko aus Lwiw sowie Katja Perat und Miklavž Komelj aus Ljubljana, die beide in erster Linie für ihre Lyrik bekannt sind. Wie politisch kann Schreiben sein und wie wichtig ist es für die einzelnen Autoren, das aktuelle politische Geschehen in ihrem Land und in der Welt zu verfolgen? Natalka Sniadanko sprach in Zusammenhang mit ihrem letzten Roman Frau Müller hat nicht die Absicht mehr zu bezahlen über das Problem der Arbeitsmigration aus der Ukraine und über die aktuelle Lage im Land. Von Katja Perat und Miklavž Komelj erfuhren die Teilnehmer viel über Themen, die in Slowenien aktuell auf der Tagesordnung stehen, über Ängste und Hoffnungen und mögliche Zukunftsentwürfe.

Den Abschluss des Abends bildete ein Konzert der A-cappella-Gruppe Jazzy.si, die zu Ehren der ukrainischen Gäste extra ein Lied aus der Ukraine in ihr Repertoire aufgenommen hatte.

Einige Fotos finden Sie hier.

 von Ana Dejanović und Lydia Nagel

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Gekreuztes: In der Stadt Ljubljana kreuzen sich viele literarische Wege

5. 5. 2015

Stadtbesichtigung mit Donald Reindl

Es ist schon einige Zeit her, als ich aus Ljubljana zurückgekommen bin. Es scheint als wäre es erst gestern gewesen, aber alles Schöne vergeht schnell, wurde mir einmal gesagt. Das Schöne kann man aber behalten: in Bildern, Gegenständen, Gerüchen, Geräuschen, Erinnerungen. Ich sitze im Zug, der mich nach Bonn fährt, meine Gedanken sind aber in Ljubljana und sie sind bei mir. Wie kann ich das beschreiben? Kann die Wärme in Worte übersetzt werden? Ostap Slyvynskyi sagt, dass man durch Ljubljana mit Hausschuhen laufen kann. Das ist eine Stadt zum Wohlfühlen, zum Gucken und zum Atmen. Hier fühlt man die Nähe der Berge genau so deutlich, wie die Nähe des Meeres. Hier kann man leicht schreiben, sprechen, fühlen und Eindrücke einfach kommen lassen. Die Orte bekommen hier ein neues Leben, indem sie von Gefängnissen und Kasernen zu freien Kommunen werden. Die Plätze der Gefangenschaft werden zu den Plätzen der Freiheit. Irgendwann waren wir auch da. Wir sind gekommen, um über die Freiheit zu sprechen und um die Freiheit zu leben. Wir haben gesungen, gemalt, geflochten, indem wir gesprochen haben. Wir waren so verschieden und so schön in unserer Verschiedenheit. An diesen Orten sind wir selber frei geworden.

Mit Dankbarkeit

Olga-Daryna Drachuk

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ÜBERSETZUNGSWÜRFEL IN LJUBLJANA: Fotoausstellung Camera Obscura – Orte des Übersetzens

5. 5. 2015

Fotoausstellung „Camera obscura“

Am Anfang begrüßte Amalija Maček, Workshop-Leiterin der deutsch-slowenischen Gruppe, alle Gäste, die nach Ljubljana aus verschiedenen Staaten ankamen. Dann folgten die Begrüßungsworte des Prodekans der Philosophischen Fakultät Ljubljana, Prof. Dr. Gregor Perko, und des Leiters der Abteilung für Translatologie an der Philosophischen Fakultät Ljubljana, Prof. Dr. David Limon.

Prof. Dr. Schamma Schahadat, Leiterin des Projektes TransStar Europa und des Projektes Übersetzungswürfel, Eberhard Karl Universität Tübingen, begrüßte alle Anwesenden, stellte kurz den Hintergrund der beiden Projekte dar und eröffnete die Fotoausstellung.

Im Rahmen des Teilprojektes Camera Obscura – Orte des Übersetzens wurden 15 Lochkamerabilder und -texte ausgestellt, die im Rahmen des Projektes Übersetzungswürfel: Sechs Seiten europäischer Literatur und Übersetzung entstanden sind.

Im Jahr 2014 wurden die TeilnehmerInnen des Projekts TransStar Europa eingeladen, auf eine besondere Weise über ihre bisherige Arbeit im Rahmen des Projektes zu reflektieren. Das Projekt „Camera Obscura“ des deutsch-polnischen Künstlers Przemek Zajfert funktioniert auf der Weise, dass man eine Lochkamera an einem bestimmten Ort für mindestens 7 Tage lang platziert; durch die Belichtung entsteht ein Foto. Die TeilnehmerInnen sollten sich also einen Platz aussuchen, der für sie mit dem Übersetzen oder mit ihrer Kultur verbunden ist. Zu den Fotos schrieben sie einen eigenen ergänzenden Text, was der Ausstellung eine besondere persönliche Note verlieh.

Einige Fotos finden Sie hier.

von Alenka Lavrin

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Gekreuztes: Angehende ÜbersetzerInnen im Gespräch mit Ostap Slyvynsky, Jurko Prochasko und Štefan Vevar

5. 5. 2015

Am Donnerstagnachmittag versammelten sich im Flur der Abteilung für Translatologie an der Philosophischen Fakultät in Ljubljana junge ÜbersetzerInnen vom EU-Projekt TransStar Europa und die Studierenden der Universität, um an der Diskussion mit den etablierten Kollegen: Ostap Slyvynsky, Jurko Prochasko und Štefan Vevar teilzunehmen. Als Auftakt lasen Anja Wutej und Franziska Mazi ihre Übersetzungen von zwei Chansons der berühmten slowenischen Dichterin Svetlana Makarovič. Danach diskutierte man über die Übersetzetzungsprobleme und das Unübersetzbares in Texten. Als erster sprach Jurko Prochasko, ein ukrainischer Essayist, Germanist und Übersetzer, der die deutsch-ukrainsche Gruppes des Projektes leitet. Er ist überzeugt, dass alle problematischen Stellen im Text nur vorübergehend unübersetzbar sind. Am Anfang hatte er viel Angst davon. Er wußte, was im Text gemeint ist, aber konnte dafür keine Worte in der eigenen Sprache finden. Jetzt genießt Prochasko eine solche Situationen und empfielt auch anderen das zu tun. Danach sprach Štefan Vevar, ein renommierter slowenischer Übersetzer aus der deutschen Sprache, der  Autoren wie Goethe, Schiller, Musil, Kafka und viele andere ins übersetzt hat. Er erzählte, dass besonders viel Freude beim Übersetzen ihm die Wortspiele vorbereiten, bei deren Übersetzung er manchmal lange nachdenken muss. Als Beispiel nannte er den berühmnten Satz von Friedrich Schleiermacher: „Die Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.“ Ostap Slyvynsky, Lyriker, Übersetzer aus dem Bulgarischen, dem Polnischen, dem Weißrussischen, dem Englischen und der Mitherausgeber der polnisch-deutsch-ukrainischen Literaturzeitschrift “Radar”, teilte auch seine Erfahrungen im Übersetzen mit. Slyvynsky meint, dass es unübersetzbare Stellen gibt, aber keine unübersetzbaren Texte, man muss nur die richtige Lösung finden. Der Übersetzer kann entweder den Sinn oder die Form des Textes beibehalten. Er führte auch einige Beispiele aus den eigenen Übersetzungen an.

Die Diskussion war sehr informativ und jeder Anwesende konnte etwas für sich mitnehmen. Eine Idee, ein Beispiel, einen Satz oder ein Wort, und vor allem Mut zum Weiterübersetzen!

                                                                                                                                                              von Olha Kravchuk

Hier finden Sie einige Fotos.

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