Gespieltes: Was wir für unübersetzbar halten – Sammelwand für jedermann

8. 2. 2014

An einer großen Plakatwand kann jeder mitsammeln: Verwirrendes, Unübersetzbares, Mehrdeutiges (Einführung: Tanja Žigon)

Das Goethe-Institut Krakau bot den Teilnehmern des TransStar Europa Projekts die passende Kulisse, um sich über Verwirrendes, Unübersetzbares, Mehrdeutiges und noch vieles mehr auszutauschen, was ihnen so in ihrem Alltag als Übersetzer von und in die deutsche Sprache über den Weg läuft. An einer großen Plakatwand konnte jeder mitsammeln und mitgestalten. Ein gemütliches Ambiente, viele Leidensgenossen und konstruktive Gespräche zeigten sich als gelungene Kombination für eine rege Teilnahme. Am späten Nachmittag gewährte ein Blick auf die Pinnwand die verwirrendsten, unübersetzbarsten und mehrdeutigsten Übersetzungsfallen, über die unsere TransStar-Literaturübersetzer von den slawischen in die deutsche Sprache und umgekehrt schon mal gestolpert sind.

Das Deutsche macht es einem Übersetzer nicht immer leicht. Was macht man zum Beispiel mit Lebensmensch, basteln, Gemüt, Geschöpf des Krieges, wegweisend, bahnbrechend, wuseln, Bierleiche, Brotstudium, Artikel, Stammtisch, Aufbruchsstimmung, Fremdschämen, Schadenfreude? Wie kommt man um die Sinnes- bzw. Grammatiklücken herum? Auf der Pinnwand wurde zudem auch auf die Modalpartikel hingewiesen (so, denn, ja, dann, jetzt, mal), die schon so manchen Übersetzer das ein oder andere graue Haar gekostet haben. Die Pinnwand schmückte sogar ein für Übersetzer besonders kniffliges Zitat aus einem Roman von Adolf Muschg: „Erzähle mir die heile Welt und mach, dass sie ‘ne Weile hält.“

Auch die slawischen Sprachen blieben dem Deutschen nichts schuldig. Auf der Pinnwand fand man so einige Ausdrücke, die nur mit viel Kreativität ins Deutsche übertragen werden können, z.B. der tschechische Ausdruck „maminka“, der polnische Ausdruck „wichajster“, und auch einige slowenische Nationalgerichte, z. B. „gibanica“ und “potica“ wurden angegeben. Zudem fand man auf der Pinnwand viele kroatische Ausdrücke: klinac, pljuga, plitak, lova, cuga, bariti, fakat, brijati, rija, panj, fulati, ubitačno, škvadra, bulja, spigan, ciba, blitvar, sponzoruša, posvuduša, vecejuša, forvarduša, profiluša, tatinek, tatiček, otec, fotr. Außerdem wurde auf das Problem hingewiesen, dass im Kroatischen verschiedene Varianten für denselben deutschen Ausdruck benutzt werden:

  • Schwiegervater: „punac“ oder „tast“ (Vater der Ehefrau) / „svekar „ (Vater des Ehemanns);
  • Schwiegermutter:  „punica“ (Mutter der Ehefrau) / „svekrva“ (Mutter des Ehemanns);
  • Onkel : „stric“ (Brüder des Vaters) / „ujak“ (Brüder der Mütter) / „tetak“ (Schwager des Vaters bzw. der Mutter);
  • Schwägerin: „suastika“ (Schwester der Ehefrau) / „zaova“ (Schwester des Ehemanns) /„snaha“  (Ehefrau des Bruders) /„jetrva“ (Frau des Bruders des Ehemanns) / „šurjakinja“ (Frau des Bruders der Ehefrau).

Es war also ein konstruktiver Nachmittag. Am Ende waren sich alle einig, dass man Verwirrendes, Unübersetzbares und Mehrdeutiges nur durch einen kultur- und sprachenübergreifenden Ansatz passend übersetzen kann.

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 von Tjaša Šket und Janko Trupej

 

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Gesucht und gefunden: Literatur live übersetzen

8. 2. 2014

Wer heute einen Klassiker übersetzt, sieht sich immer mit der Frage konfrontiert, wie er mit einer alten, manchmal vielleicht schon fremd wirkenden Sprache umgehen soll: Kann man die Tatsache, dass sich die Sprache von der uns geläufigen deutlich unterscheidet, einfach ignorieren? Oder ist es möglicherweise die Aufgabe des Übersetzers, sich durch Lektüre anderer Texte jener Zeit und unter Zuhilfenahme längst vergilbter Wörterbücher die alte Sprache anzueignen und den zu übersetzenden Text in der Zielsprache künstlich zu stilisieren?

Am Freitagnachmittag gaben Dorota Stroińska (Berlin) und Jurko Prochasko (Lwiw) einen unmittelbaren Einblick in den Übersetzungsprozess eines klassischen Textes und die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen. Schnell waren sich die beiden literarischen Übersetzer darin einig, dass es weder das Ziel sein kann, die durch das Alter hervorgerufene Fremdheit der Texte unbeachtet zu lassen, noch ihn in der Zielsprache umständlich zu stilisieren. Stattdessen sei es immer wichtig, in der Gegenwartssprache zu bleiben, nur sparsam die Andersartigkeit der Sprache anzuzeigen und so den heutigen Leser auch tatsächlich anzusprechen, ohne ihm die zeitliche Distanz gänzlich vorzuenthalten.

Am Beispiel von Goethes Wahlverwandtschaften inszenierten Stroińska und Prochasko in einem gelungenen Dialog miteinander und mit dem Publikum eine alltägliche Übersetzersituation und zeigten in Einzelschritten, wie das Verständnis des deutschen Ausgangstextes und die Suche nach der passenden Formulierung in polnischer und ukrainischer Sprache aussehen kann. Als Anschauungsmaterial dienten dabei  auch eine bereits in die Jahre gekommene Übersetzung der Wahlverwandtschaften ins Polnische sowie eine von Jurko Prochasko begonnene Übersetzung ins Ukrainische.

Welche Schwierigkeiten im Prozess der Übertragung von der einen in die andere Sprache im Einzelnen auftreten können, zeigte sich bereits am Romantitel: Während die Übersetzung des Begriffs Wahlverwandtschaften im Polnischen mit seiner Herkunft aus der Chemie wie im Deutschen seinen doppelten Bezug beibehält, ist diese Bedeutung im Ukrainischen unbekannt und muss durch bestimmte Verfahren aufgefangen werden. Dies verlangt vom Übersetzer nicht nur ein ausgeprägtes Sprachgefühl, sondern mitunter auch viel Geduld und Leidenschaft.

Die Veranstaltung im Rahmen des TransStar-Netzwerktreffens in Krakau war ein wichtiger Impuls für die beteiligten Nachwuchsübersetzer und nicht zuletzt auch ein spannender, unterhaltsamer Einblick in die Welt des Übersetzens für das interessierte polnische Publikum.

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 von Magdalena Lewandowska und Melanie Foik

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Gemogeltes: Dinge, die es anderswo nicht gibt

8. 2. 2014

Zwei Berichte über die Veranstaltung “Dinge, die es anderswo nicht gibt”

Wie übersetzt man einen Text, in dem sich bereits mehrere Sprachen mischen? Wieso kann die grammatische Kategorie des Genus bei der Übersetzung ein Problem darstellen? Und was hat der deutsche Kosakenzipfel mit dem tschechischen Huronen-Lachen zu tun? Auf alle diese Fragen gaben die Übersetzer und Übersetzerinnen aus dem Projekt Transstar Europa Antworten, indem sie typische unübersetzbare Phänomene ihrer einzelnen Muttersprachen erklärten und zeigten, wie man als literarischer Übersetzer mit diesen Problemen umgeht.

Am Anfang stellten die slowenischen Übersetzer das Phänomen des sog. Einsprengsels vor, das das Vorkommen eines fremdsprachigen Ausdrucks in einem Text bezeichnet. Am Beispiel eines slowenischen Textes, in dem allerdings viele bosnische und kroatische Worte auftauchen, wurden die Übersetzungsmöglichkeiten solcher Textstellen in einer lebhaften Diskussion mit dem Publikum besprochen. Am besten erschien schließlich die Variante, den gesamten Text ins Deutsche zu übertragen und die ursprünglich fremdsprachigen Worte in Kursivschrift zu markieren.

Ein weiteres Problem, auf das man häufig beim Übersetzen aus dem Deutschen stoßen kann, stellt das Genus, also das grammatikalische Geschlecht dar. Wie die Mitglieder der deutsch-slowenischen Gruppe an konkreten Beispielen zeigten, ist es manchmal bei deutschen Texten, die in Ich-Form geschrieben sind, problematisch zu bestimmen, zu welchem Geschlecht der jeweilige literarische Protagonist gehört. Ist es Absicht des Autors oder nur Zufall: jedenfalls ist die Übertragung in eine Sprache, in der das Genus schon immer durch die Endung der Verbform ausgedrückt wird, für den Übersetzer eine harte Nuss. Eine Möglichkeit, diese Situation zu lösen, wäre es, einfach den Autor zu fragen. Was aber tun, wenn dieser nicht mehr lebt? Dann kann man nur nach möglichen Anzeichen im Text suchen, eine mögliche Autobiographie des Textes im Blick haben und sich  am Ende vielleicht doch nach eigenem Instinkt für ein Genus entscheiden, das den Text in der Zielsprache am besten  klingen läss .

Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete der letzte thematische Block mit dem Titel „Humor“. Nach einer kurzen und witzigen Skizze zu Geschichte und Bedeutung des Begriffs Humor an sich zeigte die tschechisch-deutsche Übersetzergruppe die berühmte „Kosakenzipfel“-Szene des wohl bekanntesten deutschen Humoristen Loriot. Der Humor Loriots beruht größtenteils darauf, dass er sich über die angebliche Spießbürgerlichkeit des typischen Deutschen lustig macht, was ihn allerdings in Kulturen, in denen dieses Stereotyp weder besteht noch bekannt ist, praktisch unübersetzbar macht. Ein ähnliches Phänomen stellt der Tscheche Jára Cimrman dar – der beste tschechische Denker, Erfinder, Komponist, Pädagoge, Philosoph und nicht zuletzt Schriftsteller, den die Tschechen in einer gesamtnationalen Umfrage zu dem größten Tschechen aller Zeiten gewählt hatten und den… es eigentlich gar nicht gibt. Der Videoausschnitt aus Cimrmans fiktivem Drama „Die gefiederte Schlange“ über den primitiven Stamm der Huronen brachte nicht nur die tschechischen Teilnehmer der Veranstaltung zum Lachen, der absurde Humor und die spezifischen Anspielungen auf die tschechische Kultur und Geschichte machen jedoch das meiste von Jára Cimrman unübersetzbar.

Das alles durch eine lockere Moderation von Radovan Charvát eingerahmt ergab einen sehr unterhaltsamen Nachmittag im Krakauer Goethe-Institut, der umso mehr Spaß machte, als dem Publikum viel Raum zum Mitdiskutieren gegeben wurde.

von Alžběta Peštová

Das Netzwerktreffen in Krakau schillerte von Veranstaltungen mit prominenten ÜbersetzerInnen, AutorInnen und Kulturmanagern. Im Rahmen des dichten und höchst interessanten Programms konnten aber die TransStar-Teilnehmer nicht nur von der Erfahrung der etablierten Kenner der Übersetzungs- und Literaturbranche speisen, sondern auch ihre eigenen Überlegungen zu einem etwas ungewöhnlichen und umso spannenderen Thema „Gemogeltes: Dinge, die es anderswo nicht gibt“ vor Publikum bringen. Mehrere Skype-Besprechungen zur Vorbereitung einer gemeinsamen Veranstaltung der Teilnehmer aus verschiedenen Ländern gingen der Präsentation von wichtigen Aspekten des gewählten Themas voraus.

Und um 19 Uhr am 17. Januar ging es los im Goethe-Institut in Krakau. Radovan Charvát, der Werkstattleiter der deutsch-tschechischen Gruppe, leitete die Reihe von einzelnen Vorträgen sachte ein und übernahm meisterhaft auch weiterhin die Funktion des Moderators für diesen Abend, der aus drei thematischen Einheiten bestand.

Zuerst wurden von Daniela Trieb und Maja Konstantinović einige komplizierte Stellen mit anderssprachigen Einsprengseln präsentiert, die für die Leser des Textes in der Originalsprache eine bestimmte Bedeutung und Assoiation haben, welche aber für den Leser in einer einheitlichen Zielsprache der Übersetzung oft verloren geht. Es wurde gemeinsam mit dem Publikum nach eventuellen Lösungen gesucht, wie man diese sprachliche Uneinheitlichkeit auch in der Zielsprache der Übersetzung behalten könnte.

Dann kam die Zeit für  ein weiteres Thema, das den Übersetzern aus dem Deutschen in verschiedene slawische Sprachen regelmäßig Kopfzerbrechen bereitet. Das Geschlecht als grammatische Kategorie soll in den slawischen Sprachen schon durch bestimmte Endungen der Verben obligatorisch angegeben werden, was im Deutschen nicht der Fall ist und oft zum Spiel mit den Lesererwartungen im Text wird. An treffenden Beispielen haben Ana Dejanovič und Stefan Heck gezeigt, welche Folgen die Inkongruenz der grammatikalischen Geschlechter für die Übersetzung haben kann, wenn sich z. B. im Deutschen der „männliche“ Tod in den slawischen Sprachen mit dem weiblichen Geschlecht abfinden muss.

Anschließend geriet der Humor unter die Lupe der Übersetzer und wurde als ein riesiges Problem bei der Übersetzung betrachtet. Auf das vielseitige Wesen des Humors ging Martin Mutschler ein. Die humoristischen Texte spielen mit dem gemeinsam erworbenen Wissen und appellieren in der Regel an bestimmte Vorkenntnisse, die dem Leser des übersetzten Textes einfach völlig unbekannt sein können, was solche Textstellen manchmal auch unübersetzbar macht. Die Vertreter der deutsch-tschechischen Gruppe der Übersetzer Radovan Charvát, Anna Koubova und Miroslav Man stellten den bekanntesten Tschechen, Herrn Jára Cimrman, den es in Wirklichkeit nie gegeben hat, dem Publikum vor. Die humoristischen Szenen mit Herrn Jára Cimrman verlieren ihren komischen Effekt, wenn man kein Vorwissen über die Besonderheiten dieser imaginären Gestalt hat und sie stellen den Übersetzer vor große Herausforderungen. Ähnlich geht es beim ukrainischen Humor über das Thema Kosaken und beim deutschen Humor des berühmten Satirikers Loriot, wie Mykola Lipisivitskyi und Martin Mutschler berichteten.

Die Veranstaltung fand im regen Wechselgespräch mit dem Publikum statt und wurde ab und zu vom Gelächter und von Diskussionen unterbrochen. Die Projektteilnehmer haben offensichtlich die Dinge, die es anderswo nicht gibt, in das Goethe-Institut am einzigartigen Marktplatz in Krakau nicht umsonst gemogelt.

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von Mykola Lipisivitskyi

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Getauschtes: Vortrag von Ryszard Wojnakowski (Krakau): Übersetzen in große und kleine Sprachen. Asymmetrien.

6. 2. 2014

Das Fazit müssen wir vorausschicken, damit die wichtigste Aussage ans Ende gestellt werden kann. Aus Ryszard Wojnakowskis Vortrag sollten wir alle lernen – die Zuhörer: Geduld; Herr Wojnakowski: dass zu gut vorbereitete Vorträge steif wirken; das Veranstaltungsteam: dass 60 Personen zusammen eine äußerst träge Masse bilden, die die Zeitplanung gelegentlich zunichte macht.

Aber von vorne: Zu Beginn des verspätet angefangenen Vortrags informierte Ryszard Wojnakowski die Zuhörer darüber, wie viele Bücher ins und aus dem Chinesischen übersetzt werden, und dass für Übersetzungen von chinesischer Literatur in kleinere Sprachen aus Mangel an Fachleuten gelegentlich Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen als Vorlage verwendet werden. Weiter ging es mit den Möglichkeiten von Flämisch und Französisch schreibenden Autoren in Belgien (wenig, sie publizieren in der Regel in Amsterdam und Paris), und den Lizenzpraktiken der Amerikaner. Die Aussage, russische Literatur sei eine Modeerscheinung, bewog uns zu einer Frage an Herrn Wojnakowski: Was glauben Sie – welche Literatur kommt demnächst in Mode? Er drückt den deutschen Autoren die Daumen!

Wo ist Osteuropa geblieben? Hier. In der Ukraine werden derzeit einige polnische Klassiker übersetzt, um vorhandene Lücken zu schließen. Und… Stopp!! Hier war die Zeit zu Ende. Der nächste Programmpunkt sollte pünktlich beginnen. Was uns Herr Wojnakowski über die ex-jugoslawische Literatur noch erzählen wollte, ist aufs nächste Mal verschoben. Einen wichtigen Satz jedoch konnten wir auf jeden Fall mitnehmen: In Polen wird im Schnitt pro Kopf und Jahr ein halbes Buch gelesen. Hier besteht auch Nachholbedarf. Gut für uns.

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 von Valentyna Bilokrynytska, Marlena Breuer und Daniela Trieb

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Gelesenes: Yoko Tawada (Berlin): Wo Europa anfängt

20. 1. 2014

»Übersetzen macht klüger«

Wo Europa anfängt. Lesung und Gespräch mit Yoko Tawada, Ines Hudobec und Magdalena Lewandowska am 16.01.2014 in der Villa Decius in Krakau

Sie sei keine gute Übersetzerin, beteuerte Yoko Tawada bescheiden, dabei wäre sie mit ihren Sprach- und Kulturkompetenzen geradezu prädestiniert dafür, kam die 1960 geborene Schriftstellerin doch als junge Frau mit der transsibirischen Eisenbahn in den Westen, über Russland und Polen, bis sie in Deutschland anlangte. Heute könnte sie neben fremden sogar ihre eigenen Werke ins Japanische respektive ins Deutsche übersetzen, doch scheint sie mehr am Prozess des Über-setzens als Zustand des „Dazwischen“ interessiert. Dieser Prozess scheint geistige Kräfte zu aktivieren (Y.T.: »Übersetzen macht einen klüger. Der Mensch kann über alles besser nachdenken.«). Tawada übersetzte nach eigenen Angaben einen deutschen Text ins Japanische, um im Japanischen einen neuen Stil zu entwickeln. Ausserdem schreibt sie häufig über Ereignisse, die in Deutschland passieren, auf Japanisch und vice versa. Über sehr intime Personen wie ihre Eltern schreibt Tawada ausnahmslos auf Deutsch, das helfe ihr, die nötige Distanz zu schaffen. Sie macht sich als Autorin die Unterschiede zwischen den Sprachen zu Nutze und praktiziert das Übersetzen als Mittel der Verfremdung.

Aus einem Text werden durch Übersetzung mehrere Texte. Der Germanist Paweł Zarychta, Moderator der Diskussion, versuchte, Tawada auf das Thema Europa zurückzubringen (wohl ein Zugeständnis, die Veranstaltung inhaltlich an die auch finanzielle Mutter Europa zurückzubinden), doch ihre Texte wie ihr Sprechen verweigern sich pauschalen Aussagen. Wo es keinen Osten gibt wie in Japan, erübrigen sich unsere kleinteiligen Grenzen zwischen ganzem, mittlerem und jedem anderen möglichen Osten. Dennoch formuliert sie klar: “Europa ist ein Projekt”. Es reflektiere sich ständig selbst, man könne daher nicht aufhören, darüber nachzudenken. Es trägt sein steinernes Gedächtnis immer mit sich herum.

Auch Yoko Tawadas Übersetzerinnen ins Kroatische und Polnische, Ines Hudobec und Magdalena Lewandowska, weichen den Fragen nach Europa aus, als wäre auch Europa nur eine weitere “Halluzi-nation” (Tawada). Stattdessen: ein freies Gespräch zur Überfahrt von Gedanken auf den vielverzweigten Flüssen zwischen den Sprachen. Geschichtsschreibung findet hier in Märchen statt, wer die Matrjoschka wie eine Zwiebel schält, wird auf eine japanische Totenpuppe stossen. Die Gedanken kehren zurück in den Osten; dieser ist keine definierte Richtung, sondern ein Denkversuch.

“Frau Yoko” – “pani Yoko” – sagt die polnische Dolmetscherin. Wie ehrwürdig eine solche Anrede im Slavischen wird! Schade, dass von diesen Sprachwirren und -wirbeln nicht noch mehr zu hören war. Dabei hatte Yoko Tawada es selbst in jedem Satz mit formuliert: Pflegt die Differenzen! Lobt die schwarzen Löcher der Sprache!

Franziska Mazi und Martin Mutschler (Hamburg/Basel)

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Video: Übersetzungswürfel und TransStar in Krakau

15. 1. 2014

Hier geht es zum Video.

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Übersetzen als offene und dynamische Kunst – die erste Veranstaltungsreihe

18. 12. 2013

Der „Übersetzungswürfel“ zeigt die verschiedenen Kontexte auf, in denen literarische Übersetzungen entstehen. Dazu gehören der Einfluss von generationsabhängigen Lese- und Lebenserfahrungen, Bewegungen zwischen und innerhalb verschiedener Kulturen und Traditionen oder auch wandernde Muttersprachen. Darüber hinaus sucht das Projekt neue Ausdrucksformen für den Übersetzungsprozess, etwa in Verbildlichung und Vertonung. So wird das Übersetzen aus den alten textzentrierten Begriffen wie Treue und Schönheit herausgelöst, und es entsteht ein neues künstlerisches Gesamtgeflecht, in dem die Person des Übersetzers mit seinen vielgestaltigen Umgebungen in den Mittelpunkt rückt.

Unter den Rubriken „Gelesenes“, „Gespieltes“, „Getauschtes“, „Gemogeltes“, „Gekreuztes“, „Gesucht und gefunden“ erwarten das Publikum spannungsvolle Veranstaltungen, die das Übersetzen künstlerisch, analytisch und interaktiv in Szene setzen.

Die ersten Veranstaltungen finden in Krakau vom 16. bis 18. Januar 2014 statt.

Hier finden Sie das Programm.

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