Die Übersetzungstheorie war Jahrhunderte lang äquivalenzorientiert; die Frage, wie Äquivalenz zwischen Ausgangs- und Zieltext erreicht werden kann, war im Vordergrund. In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts begannen jedoch einige Autoren, z.B. die Vertreter der so genannten Manipulation School darauf hinzuweisen, dass beim literarischen Übersetzen ein gewisser Grad Manipulation präsent ist; in der Praxis ist das Streben nach Äquivalenz also oft eine Illusion.
Zu einem Paradigmenwechsel kam es unter anderem aufgrund der Skopostheorie (entwickelt von Hans J. Vermeer in Zusammenarbeit mit Katharina Reiß), die keine Funktionsgleichheit des Originals und der Übersetzung mehr verlangt; der Skopos bzw. Zweck der Übersetzung soll nämlich das sein, was die Übersetzungsstrategie bestimmt. Der Ausgangstext ist nur noch ein „Informationsangebot“ und von der Funktion, die der Zieltext haben soll, hängt es ab, welche Elemente des Ausgangstextes transferiert werden. Wenn z.B. ein Text für Erwachsene verfasst wurde, die Zielgruppe der Übersetzung aber Kinder sind, ist die Funktion beider Texte oft nicht die Selbe; falls die Übersetzung eine pädagogische Funktion haben soll, werden Elemente die dieser Funktion zuwiderlaufen ausgelassen.
Die Skopostheorie wurde schnell – vor allem im Deutschsprachigen Raum – sehr einflussreich, sie stieß aber auch auf Kritik; einen Überblick der Kritiken findet man in dem Aufsatz Skopos theory: a retrospective assessment (2010) von Andrew Chesterman. Viele haben z.B. befürchtet, dass das Konzept des Skopos dem Übersetzer „freie Hand lässt“. Christiane Nord versuchte deshalb die Skopostheorie mit den Äquivalenztheorien kompatibel zu machen und hat ein Loyalitätsprinzip eingeführt: Der Übersetzer soll immer zur Loyalität gegenüber dem Zielpublikum und dem Autor des Ausgangstexts verpflichtet sein; der Skopos der Übersetzung soll der Intentionen des Autors nicht zuwiderlaufen.
Einen Überblick der Entwicklung der Skopostheorie und Reaktionen darauf findet man in Entwicklungslinien der Translationswissenschaft: Von den Asymmetrien der Sprachen zu den Asymmetrien der Macht (Frank & Timme, 2007, S. 142–170) von Erich Prunč.
von Janko Trupej