Das Dilemma zwischen der freien oder treuen Übersetzung, der dynamischen oder formalen Äquivalenz, dem Einbürgern oder Verfremden usw. ist mehr als zwei Jahrtausende alt. Für die Zeit der Römischen Republik war das zieltextorientierte Übersetzen charakteristisch – den bekanntesten Beweis dafür findet man in Ciceros Aufsatz „De Optimo Genere Oratorum“. Laut David Movrin kann man zu dieser Zeit gar nicht vom Übersetzen im heutigen Sinne sprechen, sondern von Aemulatio – einer »wetteifernder Nachahmung« (2010: 25). Die Elite von damals war nämlich im Stande griechische Literatur im Original zu lesen und deshalb gab es keinen Grund für „treue“ Übersetzungen; man wollte stattdessen das griechische Original übertreffen, womit die Ausdruckskraft von Latein bezeugt werden sollte (ebd.). Die Übersetzungsstrategien im alten Rom wurden auch von Friedrich Nietzsche in seinem Werk Die fröhliche Wissenschaft angesprochen:
Sie kannten den Genuss des historischen Sinnes nicht; das Vergangene und Fremde war ihnen peinlich, und als Römern ein Anreiz zu einer römischen Eroberung. In der That, man eroberte damals, wenn man übersetzte, — nicht nur so, dass man das Historische wegliess: nein, man fügte die Anspielung auf das Gegenwärtige hinzu, man strich vor Allem den Namen des Dichters hinweg und setzte den eigenen an seine Stelle — nicht im Gefühl des Diebstahls, sondern mit dem allerbesten Gewissen des imperium Romanum.
In den ersten Jahrhunderten unseres Zeitalters hat sich Latein jedoch etabliert und die Griechischkenntnisse im Römischen Reich haben sich verschlechtert, deshalb wurde Aemulatio weniger relevant (Movrin 2010: 63). Auch die Bibelübersetzer haben die Veränderung der Übersetzungsstrategie beeinflusst; sie waren der Meinung, dass man sich beim Übersetzen des Wortes Gottes keine Freiheiten erlauben dürfe. Sogar der heilige Hieronymus, ein Befürworter des sinngemäßen Übersetzens, schrieb in dem heute unter dem Titel „Über die beste Art zu übersetzen“ bekannten Brief Folgendes: „Ich gestehe und bekenne mit allem Freimut, dass ich bei der Übersetzung griechischer Texte, abgesehen von den heiligen Schriften, wo selbst die Anordnung der Worte ein Geheimnis ist, nicht Wort für Wort, sondern sinngemäß übertrage.“
Erst im Klassizismus kam es wieder zur zieltextorientierten Wende; Übersetzer begannen „das Geschriebene zu verändern, falls das Original drohte auf die Empfindlichkeit der Leser zu stoßen“ (Movrin 2010: 109). Nicolas Perrot d’Ablancourt schrieb im Vorwort zu seiner Lukian Übersetzung z.B. Folgendes: „Anstatt für das, was der Autor sagte, habe ich mich für das entschieden, was gesagt werden müsste oder was ich selber sagen würde“ ([1654] 2010: 251). Schon in der Romantik wurde jedoch das Fremde in der Literatur wieder als etwas Positives angesehen in deshalb hat man Werke beim Übersetzen nicht mehr an die Erwartungen der Zielkultur angepasst (Movrin 2010: 135–136).
Es scheint also, dass sich die dominanten Übersetzungsstrategien durch die Jahrhunderte zyklisch abwechseln. Und in welcher Phase befindet sich das heutige Übersetzen?
von Janko Trupej
Literatur
Cicero, Marcus Tullius, n.d.: On the Best Style of Orators. <http://www.classicpersuasion.org/pw/cicero/cicero-best-style.htm> (10. 8. 2014).
d’Ablancourt, Nicolas Perrot, 2013: Posvetilo k nezvesti lepotici. In: Movrin, David, 2010: Fidus interpres = Zvest prevajalec: slike iz dveh tisočletij zgodovine prevajanja, (Zbirka Studia translatoria, 2). Ljubljana: Založba ZRC, ZRC SAZU/Znanstvena založba FF. 247–253.
Hieronymus, Sophronius Eusebius, n.d.: An Pammachius: Über die beste Art zu übersetzen. <http://www.unifr.ch/bkv/kapitel3348-5.htm> (10. 8. 2014).
Movrin, David, 2010: Fidus interpres = Zvest prevajalec: slike iz dveh tisočletij zgodovine prevajanja, (Zbirka Studia translatoria, 2). Ljubljana: Založba ZRC, ZRC SAZU/Znanstvena založba FF.
Nietzsche, Friedrich, n.d.: Die fröhliche Wissenschaft. <http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/FW> (10. 8. 2014)