Über die Farbe Blau, den Transit von Venus in Neuseeland und das Warten: So atmosphärisch wie auch unvorhersehbar ist die Dichtung der Autorin Ulrike Almut Sandig. Und genauso kunterbunt klingt auch die musikalische Begleitung der Berliner Musikerin Marlen Pelny. Stellt man diese zwei außergewöhnlichen Frauen zusammen auf die Bühne inmitten der fast magischen Atmosphäre der Krakauer Kneipe Alchemia, erlebt man einen unvergesslichen Abend voll geheimnisvoller und sehr unterhaltsamer lyrischer Klänge.
Nach einem langen Tag in der Villa Decius war Alchemia eine willkommene Abwechslung. Die Kneipe befindet sich nämlich in Kazimierz, einem sehr scharmanten Stadtteil Krakaus, der ursprünglich überwiegend von Juden bewohnt wurde, wovon mehrere Synagogen und der älteste jüdische Friedhof in Krakau aus dem Jahre 1551 zeugen. Das Ambiente im Keller dieser hippen Bar war somit mehr als perfekt für so einen poetisch-musikalischen Abend.
Der gemeinsame Auftritt der Künstlerinnen hieß genauso wie ihr gemeinsames Projekt “Dichtung für die Freunde der Popmusik”. Alle, die der Poesie normalerweise eher misstrauisch gegenüberstehen und der Meinung sind, dass sie nicht so viel mit ihr anfangen können, hatten jetzt möglicherweise einen Anlass, sie in einem anderen Licht zu betrachten. Durch die Verflechtung des gesprochenen Wortes mit Gitarre und Effekten hat es sich gezeigt, dass die Grenze zwischen Dichtung und Musik, dem Gesprochenen und Gesungenen, dem Wort und Klang sehr fließend und verschwommen sein kann. Almut Sandig und Pelny lockten uns an fremde Orte, in fremde Leben, Denkweisen und Geschichten und machten sie dabei so vertraut, dass man glaubte, die Zeilen und Töne seien die unseren. Almut Sandigs Gedichte sind zeitlos, sehr greifbar und zugleich weit, weit weg. Durch die musikalischen Einlagen von Marlen Pelny, die oft mit bekannten Melodien überraschte (es gibt wohl kaum jemanden, der bei „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht“ und „Blau, blau, blau sind alle meine Kleider“ nicht mitsingen könnte), schwebten die Worte im Raum und ließen der Fantasie freien Lauf.
Damit es aber nicht nur bei unserer Beschreibung bleibt, könnt ihr unten auch selber zwei Gedichte von Ulrike Almut Sandig lesen oder gar besser, euch die Gedichte vorlesen lassen. Schließt dabei die Augen, reist in Gedanken ins Kazimierz-Viertel und lasst euch fallen.
im märzwald
stehen wir. du und ich. bis hierhin
sind wir gekommen, die anderen
sind uns voraus. unter den kronen
dieser bäume sind sommer und winter zugleich. im gewicht der eigenen leiber ähneln wir uns. du und ich. um diesen baum, dessen namen keiner mehr weiß, dreht sich die erde
und du gibst mir dein wort: dazubleiben, wenn ich geh.
an diesem ort drückt nichts uns zu boden, ins horizontale, zu schnee.
kolor
,
schieß ein bild: meine kleider sind blau. vergiss mein nicht. diese blume ist blau. alles, was wir haben, ist uns auch von belang! alles ist blau, ja! blau. mein schatz ist ein matrose. wiesel sind blau, dieses wetter ist blau, dein display ist blau, die gedichte sind blau, meine pfeife ist immer meine pfeife, mein rauch ist blau, alle ringe sind blau, himmel ist blau. enzian, singst du, soll auch blau sein.
,,
die erde gibt aus der nähe gesehen kein bild ab, sie sieht nur von weitem blau aus. genauso wenig kleider, rauch, die liebe, blumenstiele. von hier aus gesehen ist nichts blau. genauso wenig ein screen. screen ain’t blue. screen is the melancholic GAP, zugehängt mit wetterkarten. screen is absence of things. mein ring ist nicht blau, textil ist nicht blau, wetterkarten sind nicht blau. himmel soll auch nicht blau sein.
von Zosia Sucharska, Anja Wutej, Željka Gorički