Wer heute einen Klassiker übersetzt, sieht sich immer mit der Frage konfrontiert, wie er mit einer alten, manchmal vielleicht schon fremd wirkenden Sprache umgehen soll: Kann man die Tatsache, dass sich die Sprache von der uns geläufigen deutlich unterscheidet, einfach ignorieren? Oder ist es möglicherweise die Aufgabe des Übersetzers, sich durch Lektüre anderer Texte jener Zeit und unter Zuhilfenahme längst vergilbter Wörterbücher die alte Sprache anzueignen und den zu übersetzenden Text in der Zielsprache künstlich zu stilisieren?
Am Freitagnachmittag gaben Dorota Stroińska (Berlin) und Jurko Prochasko (Lwiw) einen unmittelbaren Einblick in den Übersetzungsprozess eines klassischen Textes und die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen. Schnell waren sich die beiden literarischen Übersetzer darin einig, dass es weder das Ziel sein kann, die durch das Alter hervorgerufene Fremdheit der Texte unbeachtet zu lassen, noch ihn in der Zielsprache umständlich zu stilisieren. Stattdessen sei es immer wichtig, in der Gegenwartssprache zu bleiben, nur sparsam die Andersartigkeit der Sprache anzuzeigen und so den heutigen Leser auch tatsächlich anzusprechen, ohne ihm die zeitliche Distanz gänzlich vorzuenthalten.
Am Beispiel von Goethes Wahlverwandtschaften inszenierten Stroińska und Prochasko in einem gelungenen Dialog miteinander und mit dem Publikum eine alltägliche Übersetzersituation und zeigten in Einzelschritten, wie das Verständnis des deutschen Ausgangstextes und die Suche nach der passenden Formulierung in polnischer und ukrainischer Sprache aussehen kann. Als Anschauungsmaterial dienten dabei auch eine bereits in die Jahre gekommene Übersetzung der Wahlverwandtschaften ins Polnische sowie eine von Jurko Prochasko begonnene Übersetzung ins Ukrainische.
Welche Schwierigkeiten im Prozess der Übertragung von der einen in die andere Sprache im Einzelnen auftreten können, zeigte sich bereits am Romantitel: Während die Übersetzung des Begriffs Wahlverwandtschaften im Polnischen mit seiner Herkunft aus der Chemie wie im Deutschen seinen doppelten Bezug beibehält, ist diese Bedeutung im Ukrainischen unbekannt und muss durch bestimmte Verfahren aufgefangen werden. Dies verlangt vom Übersetzer nicht nur ein ausgeprägtes Sprachgefühl, sondern mitunter auch viel Geduld und Leidenschaft.
Die Veranstaltung im Rahmen des TransStar-Netzwerktreffens in Krakau war ein wichtiger Impuls für die beteiligten Nachwuchsübersetzer und nicht zuletzt auch ein spannender, unterhaltsamer Einblick in die Welt des Übersetzens für das interessierte polnische Publikum.
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von Magdalena Lewandowska und Melanie Foik