Einleitung
Ovdje neće biti čuda von Goran Ferčec ist ein Roman über die Rückkehr eines vereinsamten Staatenlosen in die Leere einer kroatischen Provinz nach dem Krieg. Was Ferčecs Werk als Roman zum Jugoslawienkrieg auszeichnet, ist eine individuelle, existenzielle Erzählweise, die an Sartre erinnert. Der junge Bender hat seine Heimat im Krieg verlassen und sich in einer nicht näher benannten westlichen Stadt niedergelassen. Als gesellschaftliche Randfigur (er ist Intellektueller, Homosexueller) zieht er sich immer mehr in eine eigene Welt zurück, die bald nicht mehr zwischen Realität und Imagination unterscheidet. Die Entfremdung Benders von der Welt fängt der Roman in kargen Präsens-Sätzen ein, sowie in akribischen aber mechanischen Beschreibungen von Benders Innenleben und Handlungen. Bis ihn ein plötzlicher Anruf des Vaters in die Heimat zurückholt, in ein kroatisches Dorf, das durch den Krieg in einen apokalyptischen Ort verwandelt wurde. Der zweite Teil des Romans setzt die Beschreibung der Leere und Entfremdung, die im ersten Teil eine menschliche und gesellschaftliche ist, als moralische fort, die jeder Krieg mit sich bringt. Die sprachlich und narrativ reduzierte Erzählung einer existenziellen Krise verbindet sich so mit einigen großen Fragen unserer Gegenwart und die Leere, die am Schluss in eine vollständige Negation der Realität mündet, lässt die Möglichkeit einer neuen Perspektive zumindest offen.
Wunder gibts hier keine (Anfang)
Bender kommt der Gedanke, dass er alles, was passieren wird, falsch verstehen könnte. Dann klingelt es an der Tür. Bender macht ein paar Schritte, erreicht die Tür und öffnet sie. Vor der Tür findet er niemanden. Er späht hinaus und lässt seinen Blick suchend den Gang entlang schweifen. Geräuschlos schließt sich die Lifttür. Jemand ist in den Lift gestiegen. Bender macht einen Schritt und tritt aus der Wohnung heraus. Der Mechanismus aus Gewichten und Hebeln zieht den Unbekannten Richtung Erdgeschoss. Bender empfindet das Unbehagen einer Situation, in der die Positionen noch immer nicht klar bestimmt sind. Er bleibt vor der geöffneten Wohnungstür stehen und lauscht nach den Schritten, Stimmen und Geräuschen, in denen er nach einem Zeichen sucht, dies alles könne sich auch ohne ihn, den Zeugen, abspielen. Er findet kein Zeichen, das ihn davon restlos überzeugt hätte. Jeder weitere Zug hängt allein von seiner Entscheidung ab. Kehrt er in die Wohnung zurück und schließt die Tür hinter sich, bleibt der heruntergekommene Gang, in dem sich der Stuck von der Decke löst, leer und ohne Zeugen. Anstatt in die Wohnung zurückzukehren und die Situation zu einem Ende zu bringen, tritt er mit dem Fuß eine bunte Werbebroschüre zur Seite, die ihm im Weg liegt und hastet, mehrere Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. Mit der linken Hand fasst er das Geländer, während er sich mit der rechten im Gleichgewicht hält. Seine Absicht ist es, schneller als der Lift zu sein. Auch wenn die vertikale Fahrt des Lifts den Weg abkürzt, ist Bender davon überzeugt, dass er vor dem Lift das Erdgeschoss erreichen wird. Vom dritten Stockwerk aus sind es sieben Treppenläufe. Als er das Erdgeschoss erreicht, scheint es ihm, es seien weniger gewesen. Der Lift hält im Erdgeschoss. Bender holt tief Luft. Die Anspannung, in die er seinen Körper gebracht hat, erreicht ihren Höhepunkt, als sich die Lifttür öffnet und offenbart, dass in ihm niemand ist. Bender erblickt das Spiegelbild seiner eigenen Gestalt und stürzt in den Lift, eine Sekunde, bevor sich die Tür zu schließen beginnt. Er drückt die drei. Als sich die Lifttür öffnet, findet sich Bender in der Position wieder, von der aus er gestartet ist. Er tritt aus dem Lift und bleibt vor der aufgeschlossenen Wohnungstür stehen. Er hätte schwören können, dass er sie geschlossen hatte, bevor er sich in die Jagd nach dem Unbekannten gestürzt hatte. Er tastet nach dem Schlüssel in der Hosentasche. Mit der Hand drückt er die Türe auf und tritt in die Wohnung. Alles sieht genauso aus wie vor einigen Minuten. Zuerst schaut er hinter die Tür in der Hoffnung, ihn werde die Gefsahr bereits dort erwarten. Hinter der Tür findet er niemanden. Er fährt fort sich durch die Wohnung zu bewegen wie durch eine eben entdeckte Kolonie, die von dem weißen Mann bedroht wird. Er kontrolliert jedes Zimmer und bevor er beschließt, dem Spiel ein Ende zu bereiten, ruft er einige Male Hallo. Das Ausbleiben einer Antwort ermutigt ihn. Er geht zur Wohnungstür, schließt sie, zieht die Schuhe aus und setzt seinen Weg durch die Wohnung barfuß fort. Seine Fußsohlen hinterlassen feuchte Spuren auf dem Boden und begleiten ihn in die Küche. Bender setzt sich an den Tisch. Die Küche ist erfüllt von körperlosen Stimmen, die durch das offene Fenster dringen. Das Stimmengewirr verbreitet sich in Wellen und schwemmt alles mit sich fort, worauf er wie auf eine unhinterfragbare Wahrheit hätte schwören können. Aus der Küche in den Gang, aus dem Gang ins Zimmer, aus dem Zimmer erneut in den Gang strömen Wellen verschwommener Kinderstimmen, Hundegebell, Stimmen aus dem Radio, weinende Frauen, Geschirr, Schritte. Erneut vernimmt er Schritte vor der Tür. Ohne darauf zu warten, dass ihn wieder die Klingel überrascht, steht er auf und begibt sich Richtung Eingangstür. In all dem Weggeschwemmten bleiben einzig die Schritte auf der Treppe hartnäckig. Das hartnäckige Andauern der Schritte bestärkt Bender darin, dass es die Schritte von eben sein müssen, nur dass er sie vorher nicht erwartet hat. Jetzt aber ist er bereit sich ihnen zu stellen. Eine metallene Männerstimme entreißt sich dem Radiolautsprecher in der Wohnung über Bender, fällt durch das offene Küchenfenster und verkündet die genaue Stunde, Minute und Sekunde. Die genaue Zeit holt Bender im Gang ein und stört ihn in seinem Vorhaben, seine Bewegung unbeobachtet auszuführen. Bender hält inne und wartet, dass das Radio verstummt. Die Radiostimme spricht weiter, Benders Wille zur Konfrontation zermürbend, und kündet eine Liveschaltung an. Nach einer Pause, die für die technische Umschaltung erforderlich ist, überflutet liturgischer Gesang die Wohnung. Das Gebet stößt sich von den Wänden der Kathedrale ab und schlägt in den Wänden der Wohnung ein wie ein Schrapnell. Bender fragt sich, ob das Gebet, das aus dem Radio schallt, einen Zustand von erhöhtem Risiko bedeutet. Er hält inne, wartet, dass aus dem Lautsprecher eine Explosion zu ihm durchbricht, aber es passiert nichts. Der liturgische Gesang setzt sich fort und verleiht Benders Schritten einen feierlichen Anstrich. Bender nähert sich der Tür und linst durch den Spion. Er erblickt einen Mann, der mit dem Rücken an die Tür der Nachbarwohnung gelehnt am Boden sitzt und raucht. Auf der Türschwelle hat der Mann eine kleine Decke zusammengerollt und sich einen Sitz gemacht, neben den er einen Aschenbecher platziert hat. Bender hat noch nie zuvor gesehen, dass er auf der Schwelle sitzt und raucht. So sieht er ihn zum ersten Mal. Das Haar des Mannes ist schwarz, seine Haut hat den Farbton von braunem Kaffee, der mit nichts Natürlichem zu vergleichen ist, außer mit der Farbe einer Rasse. Er hat den Mann einige Male auf der Treppe oder im Lift angetroffen. Zunächst sind sie wortlos aneinander vorbeigegangen. Später haben sie angefangen einander zu grüßen und dann haben sie sich lange Zeit nicht mehr gesehen. Bender hat daraus geschlossen, dass der Türke weggezogen sei. Wenn er sich nun erneut an ihn wenden würde, dann müssten sie beide schamerfüllt vor einander in der fremden Sprache herumstolpern, die niemals die ihre sein wird. Nur im wiederholten Stolpern kann Kommunikation Sinn machen. Sie aber müssten von vorne anfangen. Nochmals würde er ihn nach seinem Namen fragen. Jede nächste Frage würde sich aus der vorangehenden ergeben. Wer hat die Türklingel gedrückt? Dieser Frage müsste der Boden bereitet werden. Der Mann stößt Rauch aus, den der Wind durch Benders Türspalt trägt. Bender versucht unbemerkt zu bleiben, aber er lehnt sich unsanft mit den Händen an die Tür. Das Türschloss gibt Benders Gewicht nach und schnappt ein. Bender ahnt, dass er entdeckt ist. Der Türke hebt den Kopf, blickt zuerst auf Benders Wohnungstür und dann ins dicke Auge des Spions. Bender denkt, eine so subtile Reaktion auf eine kaum wahrnehmbare Veränderung müsse eine Eigenart entweder des Berufs oder der Rasse sein, der dieser Mensch angehört. Das Gesicht des Mannes ist dunkler, als Bender es in Erinnerung hat. Das Haar auf seinem Kopf hat sich zu lichten begonnen. Der Mann zieht den Zigarettenrauch tief ein und atmet ihn in kurzen Stößen aus. Bender betrachtet ihn durch den Spion im vollen Bewusstsein, dass der Türke dies weiß. Der Türke, an die Position des Fremdkörpers gewöhnt, lässt sich mustern. Bender verharrt in der Position des Unsichtbaren, er weiß, dass die geschlossene Türe ihn schützt. Der Türke steht auf, nähert sich Benders Tür und buchstabiert den Namen an der Tür. Bender sieht, wie sich die Lippen des Mannes bewegen, während sie den Laut jedes Buchstabens einzeln ausformen. Der Türke streicht sich über den Kopf, als könne ihm diese säubernde Bewegung offenbaren, was der Name an der Tür bedeutet. Dann bewegt er sein Gesicht ganz nahe an das Glasauge heran und schaut in die Tiefe von Benders Pupille. Bender verharrt bewegungslos. Der Türke entfernt sich von der Tür und buchstabiert nochmals den Namen. Wenn er könnte, würde Bender am liebsten die Türe öffnen und sagen, dass er nicht derjenige ist, dass der Name an der Tür in seinem Fall nicht denjenigen meint, der mit dem Namen gemeint ist. Wenn er könnte, würde er die Türe öffnen und mit der Hand auf das Schildchen mit dem Namen zeigen, und dann einige Male sagen, dass er das nicht ist. Das bin nicht ich. Der weiße Körper der Zigarette des Türken geht zu Ende, bald ist der Filter erreicht, es bleibt nur noch wenig Zeit. Einen Moment bevor sich Bender entschließt, die Türe zu öffnen, lacht sich der Türke in den Bart und drückt die Spitze der brennenden Zigarette im Spion aus.
Mit freundlicher Genehmigung des Fraktura-Verlags, www.fraktura.hr
Einleitung und Übersetzung aus dem Kroatischen von Anna HODEL, Basel