Die Reise nach Ljubljana war voller Entdeckungen in jeder Hinsicht. Eine der angenehmsten war die Bekanntschaft mit dem Übersetzerverein Sloweniens. Verortet am schönen Park in einem alten Haus mit einem sehr gemütlichen Ambiente lud er uns zur Lesung von Josef Winkler und Ostap Slyvynsky herzlich ein. Schon die Grußworte der Moderatorin auf Slowenisch und dann auf Deutsch deuteten auf den Hauptzweck der Organisation, die wir in der Ukraine leider immer noch beneiden können. Mit der wiederum zum Teil zweisprachigen Einführung zum Leben und Werk des österreichischen Prosaautors und des ukrainischen Lyrikers boten Amalja Maček und Claudia Dathe für angehende ÜbersetzerInnen aus dem Projekt „TransStar“ ein weiteres Vorbild zur eigenen Tätigkeit im Bereich des Kulturmanagements an.
Die erste Frage an Josef Winkler war über die Jesus-Christus-Metaphorik in seinem Werk, die auch schon im Titel eines der Gedichte von Ostap Slyvynsky explizit vorhanden ist. Herr Winkler äußerte sich ausführlich zum Einfluss der katholischen Kirche auf sein Werk, welchen er wegen der Erlebnisse in der Kindheit wohl zum Lebensende nicht loswird. Aufgewachsen in der katholischen Erziehung lernte er die sogenannte Volksfrömmigkeit sehr gut kennen. Als Kind hat Winkler viel gelesen, obwohl er selbst für Bücher Geld sparen musste. Die größten Vorbilder waren für ihn Camus, Sartre und Handke, die ihm den Weg in die Weltliteratur bedeuteten. Der Religiosität und der katholischen Volksfrömmigkeit entwich er durch Liebe zur Literatur. Ostap erwiderte, dass seine Kindheit auch in den durchaus volksfrommen Familienverhältnissen in der Westukraine verging, aber ohne einen beängstigenden religiösen Druck, denn zur Sowjetzeit stand der griechisch-katholische Glauben in der positiv beladenen Verbindung mit dem nationalen Bewusstsein in der Westukraine. In einem seiner Gedichte behandelte Ostap Slyvynsky eine der frühesten Erfahrungen mit der damals verbotenen Kirche und dem Glauben, welchen für ihn eigentlich einer der fernen Verwandten, ein griechisch-katholischer Mönch, verkörperte, der weit in den Bergen in einer Holzhütte heimlich den Gottesdienst für Frauen aus den benachbarten Dörfern hielt. Claudia Dathe vermutete, dass der Unterschied in den persönlichen Erfahrungen der Autoren an dem unterschiedlichen Status der Kirche in der Ukraine liegt, wo sie zur Sowjetzeit verboten war und nur im Untergrund existierte, und in Österreich, wo die Kirche große Machtpositionen hatte.
Josef Winkler meinte, dass seine ersten schriftstellerischen Versuche und das ganze Werk auf die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen mit der Kirche in einem weit gelegenen österreichischen Dorf zurückzuführen sind. Er äußerte sich auch dazu, was für ihn den Sinn des Dichtens und der Literatur überhaupt ausmacht. Die ewigen Themen der tausendjährigen deutschen Literatur seien immer dieselben zwei: „Liebe“ und „Tod“. Man hätte auf die Dichtung schon längst verzichten können, wenn nicht immer wieder neue Formen in neuen Zeiten erfunden würden. Die Rolle der Sprache in der Literatur wurde von Josef Winkler mit dem Spiel einer eleganten Katze mit der ihr an den Schwanz gebundenen Blechdose verglichen. Ostap Slyvynsky betonte den permanenten Wunsch mit der versteinerten Formtradition in der ukrainischen Dichtung zu brechen. Für ihn ist neben der Form auch der Drang, gerade das Gewünschte äußern zu können, also der Inhalt auch sehr wichtig.
Josef Winkler sprach weiter über seine zahlreichen Reisen, die er nur dann unternimmt, wenn er in das Notizbuch seine Eindrücke detailliert aufzeichnen kann. Von ihm selbst kann in so einem Buch nichts übrig bleiben, denn er verwandle sich ins Auge, das alles um sich herum wahrnimmt. Und wieder erwähnte Josef Winkler die fortgehende Bedeutungseiner Kindheitserinnerungen für das ganze Werk. Amalia Maček wies aber darauf hin, dass Josef Winkler bei dieser Lesung in Ljubljana wohl zum ersten Mal die eigenen Eltern in Schutz genommen hatte.
Dann erzählte Ostap Slyvynsky über die von ihm gehasste Tradition der Verherrlichung der für eine Idee geopferten Leben in der ukrainischen Literatur. Sein großer und inniger Wunsch sei,r sich und die ukrainische Literatur von dieser Tradition zu befreien. Die Maidan-Revolution und der Tod von vielen Menschen gaben aber wiederum Anlass zur weiteren Verherrlichung der gefallenen Helden, was Ostap Slyvynsky nicht gefällt.
Abschließend lasen Janko Trupej und Yulia Mykytiuk Auszüge aus ihren Übersetzungen eines Abschnitts von Josef Winklers Novelle „Natura morta“ jeweils auf Slowenisch und auf Ukrainisch vor. Dann trug Ostap Slyvynsky eigene Gedichte auf Ukrainisch und Claudia Dathe und Alenka Lavrin ihre Übersetzungen ins Deutsche und Slowenische vor. Die Lesung erntete mehrmals Applaus und bereitete den Anwesenden viel Freude und lieferte bestimmt viel Stoff zum Überlegen und Nachdenken, was auch zu weiteren Gesprächen im Foyer schon nach dem Ende der Veranstaltung führte.
von Mykola Lipisivitskyi
Hier finden Sie einige Fotos.