Die Leipziger Buchmesse stand in diesem Jahr unter zwei großen Schwerpunkten: da gab es zum einen den Auftritt des neuen Gastlandes Schweiz und zum anderen den auslaufenden Schwerpunkt Tranzyt: Literatur aus Polen, der Ukraine und Belarus. Die Schweiz war mit einem riesigen Aufgebot an Büchern und Autoren angereist. An einem schier unüberschaubaren Büchertisch konnte man Klassiker und Neuerscheinungen, Kinderbücher und kunstvolle Bildbände durchblättern und sich ab und an mit einem Stück Schweizer Schokolade stärken. Ganz Leipzig schien zuplakatiert mit Werbung für das Bücher- und Reiseland Schweiz, in der Messestraßenbahn wurde man auf Schweizer Deutsch begrüßt.
Die Stände von Polen, der Ukraine und Belarus nahmen sich dagegen sehr bescheiden aus. Das Lemberger Buchforum hatte einen kleinen Stand, an dem insgesamt nicht mehr als 50 Bücher ausgestellt waren, die größte Fläche wurde von einem riesigen Poster eingenommen, das die „Himmlischen Hundert“, die hundert während der Unruhen um den Sturz von Wiktor Janukowytsch umgekommen Ukrainer zeigte. Trotz der materiell so ungleich spärlicheren Ausstattung war die Tranzyt-Ecke in der Messehalle 4 das Herz der Medien- und Publikumsbewegung auf der diesjährigen Messe. Autoren, Historiker und Aktivisten aus den drei beteiligten Ländern stellten die Literatur und die gesellschaftlichen Entwicklungen in den drei Ländern vor und versuchten Antwort auf die Frage zu finden, was in den letzten drei Monaten in der Ukraine passiert ist und wie die Entwicklungen um den Sturz von Wiktor Janukowytsch und die Invasion Putins auf der Krim die politische und gesellschaftliche Gegenwart Europas in der nächsten Zeit verändern wird.
Der Lemberger Historiker Yaroslav Hrytsak betonte in einem Interview, in der Majdan-Bewegung gehe es vor allem um die Erringung zivilgesellschaftlicher Rechte und Freiheiten, daher auch die Bezeichnung „Revolution der Würde“. Die Spaltung in Ost und West, wie sie von Politikern und Medien so gern beschworen wird, dient nur dem Stimmenfang und bildet die Wirklichkeit im Land heute nicht mehr ab. Die Revolution auf dem Majdan spricht Ukrainisch und Russisch. Es gehe vielmehr darum, eine Gesellschaft mit neuen Werten wie Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit aufzubauen, so Hrytsak. Der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch befüchtet, Putin könnte in den nächsten Wochen die gesamte Ukraine überrennen und versuchen in den Bestand der Russischen Föderation einzugliedern. Beide ukrainischen Intellektuellen sind sich sicher, dass die meisten Politiker, Wissenschaftler, Medienvertreter und anderen Menschen in Europa Putin in seinem eiskalten Machtkalkül unterschätzen. Welche Auswirkungen das für Europa haben wird, bleibt abzuwarten.
Neben den Stimmen zur politischen Lage kamen die Autoren aber auch als Künstler zu Wort. So las unter anderem die Kiewer Lyrikern Kateryna Babkina aus ihren Gedichten, zur Tranzyt-Nacht präsentieren Natalka Sniadanko und Mariana Sadowska ein tolles musikalisch-literarisches Programm mit Texten zur ukrainischen Arbeitsmigration und polyphonen Chansons. Besonders beeindruckend war die Lesung der belarussischen Lyrikerin Vera Burlak, die mit ihrem imposanten Vortrag, in dem sie verschiedene Stimmen imitierte, die Lesebühne und alle umliegenden Stände in ihren Bann zog.
Hier finden Sie einige Fotos.
Seit meinem ersten Aufenthalt in Czernowitz, anläßlich des Lyrik-Festivals von Meridian Czenowitz 2010 fühle ich mich mit der Ukraine verbunden. Viele meiner ukrainischen Freunde sprechen Russisch, die Probleme dieses Landes liegen nicht an der Sprache sondern an der Politik.