Dzidzia (Romanauszug, Świat Książki, 2009)
Im Mittelpunkt des Romans Dzidzia (Świat Książki, 2009) stehen Karolinka, genannt „Dzidzia“ („Babylein“), die mit zahlreichen Behinderungen und ohne Gliedmaßen auf die Welt gekommen ist, sowie ihre alleinerziehende Mutter, Danuta. Grotesk wird deren beschwerliches, um die pflegebedürftige Tochter herumarrangiertes Leben in einem Warschauer Vorort dargestellt, ebenso ihre tägliche Auseinandersetzung mit der polnischen Gesellschaft – repräsentiert etwa durch böswillige Nachbarn, polnische Behörden oder die katholische Kirche. Gleichzeitig ist jedoch Danutas Verflochtenheit mit Diskursen und Wertvorstellungen eben dieser Gesellschaft evident. Auch Danutas Familiengeschichte, die Geschichte ihrer Oma, die 1944 nach dem Warschauer Aufstand Flüchtlinge bei sich aufgenommen hat, um sie nur kurze Zeit später an deutsche Soldaten preiszugeben, verweist auf solche Ambivalenzen.
Das Babylein als Strafe
Das vierte Töchterchen Danuta Mutters wurde mit einem Wasserkopf und ohne Gliedmaßen geboren. Es leidet an Epilepsie, einer Rundum-Lähmung und zu all dem hat es auch noch Schuppen. Zur Zeit zählt es 16 Jahre und heißt Babylein-Kümmerling, weil es wirklich gar nichts allein auf die Reihe kriegt. Es liegt den ganzen Tag nur da und macht in die Hose. Die Mutter muss das dann wegmachen, die Mutter muss es umziehen und abwischen. Sie nimmt so einen weichen Schwamm und wischt die verkrusteten Essensreste aus den Mundwinkeln. Man muss Es füttern, schließlich hat Babylein ja keine Ärmchen, mit denen es versuchen könnte, den Löffel zu halten. Man führt ihr also Wasser aus der Spritze zu – nur Wasser, alles andere würde nicht toleriert werden. Das Mädchen hat Mukopolysaccharidose, aber eigentlich weiß man nicht, was sie hat. „Alles“, sagte mal ein Arzt, und die verstehen sich ja auf ihr Handwerk, nicht wahr?
Dank guter Beziehungen zum Gesundheitszentrum nimmt das Mädchen an sechs Experimenten teil. Man testet an ihrem Organismus unter anderem Impfstoffe gegen die Pest und Orgasmus-Tabletten. Möglicherweise ist das auch der Grund, warum Babylein ab und zu durch Lustkrämpfe aufgerüttelt wird, die sich sogleich mit Würgekrämpfen in Folge erneuter Flüssigkeitsabgabe des Körpers vermischen. Babylein stößt seit ihrer Geburt regelmäßig Rotze nach außen aus. Ihre Ausdünstungen, nebligen Ausbrüche und Auskotzungen wabern unter’m großen Bauch und brechen stets im ungünstigsten Moment hervor.
Ihr Leib liegt merkwürdig da, er ruht in alle Richtungen gestreckt. Wie nach einem Unfall, wenn das rasende Auto das Körpergewebe prellt. Ein nasser Sack voller Knochen fliegt dann an den Straßenrand, Arm und Bein fliegen in die entgegengesetzte Richtung. Hier reißt mal das Kleid und zeigt nicht vorzeigbare Unterwäsche, da fliegt mal der Schuh weg und übrig bleibt ein einziger, nackter Fuß. Eklig, aber zugleich etwas faszinierend.
Kaum schaut man sich um, kaum ein Augenblick, und schon fließt Eiter über den frischgewaschenen Bezug.
Ach, schon wieder hat’s Babylein geschafft, schon wieder hat sie ihr Deckchen bekotzt. Jetzt muss gewechselt werden, der willenlose, recht umfangreiche Körper mit bloßen Händen zum Sessel neben dem Bett transportiert werden. Dann, so schnell wie möglich, das besudelte Bettchen wieder hergerichtet werden, weil Babylein sich schon zu allen Seiten neigt. Durch das jahrelange Rumliegen schafft es ihre Wirbelsäule nicht mehr, sich aufrecht zu halten. Kleines Krüppelchen, kleines dünnes Würmchen.
Einmal, da sollte sie in das Wojwodschafts-Krankenhaus gebracht werden, weil sie so ausgelaugt war. Es gab aber keinen Weg, sie da hinzubringen. Wie auch? In ‘nen Sack und zack über die Schulter, oder was?
Man musste um einen Krankenwagen betteln, und dann fauchte die Krankenschwester noch, dass die Familie Mutter wohl nicht ohne Taxi könnte.
Und als Babylein im Krankenhaus lag, kamen Clowns vorbei, denn es war gerade Kindertag. Da warf die Ärztin sie raus. Und schrie hinterher: Für wen wollt ihr denn hier eine Vorstellung geben, wenn das Kind doch geistig zurückgeblieben ist? Wozu der unnötige Trouble, wozu Perlen vor die Säue werfen, wenn es bloß für die dumme Katz’ ist?
Dann kam das Krüppelchen aus dem Krankenhaus und nichts hat sich verändert. Alles war beim Alten. Alles Drumherum unnütz.
Am Morgen hat Babyleins Mutter das kleine Zimmer aufgeräumt und ist gerade dabei, das Kind wieder in sein Bett zu schieben. Sie atmet schwer, wird rot, stöhnt. Danutas Leib, zerschlissen durch das Tragen von Babyleins Leib, pumpt allein schon bei der geringsten Anstrengung die letzten Muskeln auf. Am merkwürdigsten waren jedoch die Beine, bedeckt von einer unendlichen Krampfader-Landkarte, gegen die keine Salbe half. Die Krampfadern wucherten übereinander, drangen in die Knochen und umschlangen, wie Kletterpflanzen, jeden Stuhl, auf dem sie Platz nahmen, jedes Bett, in dem sie lagen. Dazu die verdrehten Zehen, die in alle Himmelsrichtungen zeigten. O-Beine, Plattfüße und Blasen machten es unmöglich, die Sommerangebote der Schuhgeschäfte zu nutzen. Nix da mit Flipflops oder Schlappen, noch nich’ mal Birkenstocks, denn wie soll man da die schmerzenden Treter reinstopfen, die in ihrer Unförmigkeit schon an gar nichts mehr erinnern.
Danuta machte dies und jenes am Bettchen. Besprühte es resigniert mit billigem Deo, das noch mehr stank als ihre verfaulte Tochter. Die Frau sprach nicht, sie redete nicht mit dem Babylein, weil Babylein doch ein Mongo ist und kein Kontakt zu ihr besteht. Aber wozu noch reden, alle wiss’n doch wie’s ist. Und es ist hart.
Sozialhilfe, Krankenbeihilfe und die Krankenrente der Mutter. Kein Unterhalt, da es dem Mann in den Sinn gekommen ist zu sterben und nun zahlt er nicht, außerdem hat er von Anfang an gesagt, dass sie’s abtreiben soll, wozu Bälger säen, abtreiben, aber die Alte wollte ja nich’ hören und jetzt hat sie den Salat. Soll sie sich doch abmühen, soll sie doch im stickigen Zimmer jauchzen, in ihren erstickenden, alten Klamotten.
Babylein versucht, ihren leeren Blick an die putzende Mutter zu heften. Das Gesicht wird zur Grimasse, sie versucht ,einen Laut von sich zu geben. Ein Räuspern: Schüttle mir das Kissen auf! Zwei Räusper: Durst, ich hab’ Durst. Und drei sind: Gib’ mich endlich bei der Sterbehilfe ab, weil ich’s, Scheiße nochmal, nich’ mehr aushalten kann.
Der Leib drückt, juckt, blutet manchmal, ist so kaputt und ausufernd in seiner Hässlichkeit. Doch wenn er schön, elegant und für den Sonntag angezogen ist, spielt er uns keinen Streich, weil er dann gezähmt ist. Aber ein entblößter Leib, der sich der Kontrolle entzieht und – Gott behüte, man mag sich kaum vorstellen – was von ihm zu erwarten sei. Zum Beispiel wird er dick, er übergibt sich oder macht was schmutzig. Und schon gibt’s ein Problem. Davon kann die Mongo-Pflegerin ein Lied singen, schließlich macht sie all dies’ Eklige weg.
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Einleitung und Übersetzung aus dem Polnischen von Magda WLOSTOWSKA, Leipzig