Was wenn Autoren und Übersetzer jeweils eine andere Rhythmik des Textes empfinden? Wem gehört der Text? Und wem gehört der Mond? Was hat der Verleger dazu zu sagen? Die Teilnehmer des Transstar-Projektes führten am 07. Mai ein Gespräch zum Übersetzen und Schreiben mit der Autorin Sudabeh Mohafez.
„Übersetzung lese ich eher als Interpretation, denn als Wiedergabe, ihr habt das Recht, eure Interpretation zu bestimmen, ich auch,“ unterstrich die Autorin die Wichtigkeit, Text als solchen von seinen Interpretationen zu trennen. Gleich in der ersten, vom Workshop-Moderatoren Andy Jelčić aufgegebenen Übung zeigte sich nämlich, wie verschieden ein Text gelesen werden kann. Die Umbrüche in Mohafez’ Text „unmöglich“ aus dem „zehn zeilen buch“ setzten die Teilnehmer sehr unterschiedlich ein und begaben sich in eine rege Diskussion zu der eigentlichen Rhythmik des Textes. Als Sudabeh Mohafez den Text selber in einer sehr schnellen und dynamischen Kadenz vorlas, zeigten sich die meisten überrascht. „Sie können es nicht falsch verstehen, es ist Ihre eigenständige, valide Interpretation, nicht weniger wahrhaftig als meine“, versicherte jedoch die Autorin.
Das besprochene Buch hatte die Autorin auch schon am Vorabend vorgestellt: eigentlich wurde es nie mit der Absicht des Drucks geschrieben, einzelne Texte sind als Blog entstanden. Sie wurden alle innerhalb von 15 Minuten geschrieben und hatten das Limit von 852 Zeichen samt Leerzeichen. Auch die Orthographie hat die Autorin der Flüchtigkeit des Internets angepasst: keine große Buchstaben, keine Kommas.
„wegen all dieses gehörens des mondes“ zeigte sich aufgrund der für slawische Sprachen enormen Anhäufung des Genitivs sowie der unüblichen Substantivierung als eine der möglichen Übersetzungsschwierigkeiten im besprochenen Text. Sudabeh Mohafez riet dazu, die jungen Übersetzer sollen sich nicht um das Substantiv, sondern um das Konzept kümmern: um das Gehören des Mondes, um den Besitz.
Darf man eventuell „zehn zeilen buch“ als „elf zeilen buch“ in eine andere Sprache übertragen, wenn der Bedarf besteht? Künstlerisch wäre es nicht unbedingt ein Problem, bestätigte die Autorin, beruflich strategisch vielleicht schon, meinte der Moderator. „Manchmal widerspricht das Strategische dem Künstlerischen stark“, offenbarte die Autorin ihre Erfahrungen mit Büchertiteln: bis auf das ‚zehn zeilen buch’, wozu ihr ein Freund riet, wurden alle ihre eigentlichen Titeln von Verlegern abgelehnt mit dem Einwand, dass es „kein Mensch kaufen würde“. So ist aus ‚Folgelandschaft’ neu ‚Brennt’ entstanden. „Mich stört, dass dem Leser abgesprochen wird, zur Literatur zu kommen; Literatur muss zu Lesern kommen, in Seife gehüllt, es macht die Literatur kaputt.“
Abschließend verabschiedete sich die Autorin mit einer Schreibübung von den Teilnehmern, die somit noch selber literarisch kreativ werden und die Literatur auf sich zukommen lassen konnten.
von Anna Koubová
der mond mag niemandem gehören, aber die sonne gehört heute uns. den donnerstag vormittag haben wir in tübingen mit der schriftstellerin sudabeh mohafez verbracht und nicht nur über ihr zehn zeilen buch diskutiert. der beitrag darüber wird in fünfzehn minuten geschrieben und achthundertfünfundzwanzig zeichen haben. exakt. die inspiration ist klar. oder ist das konzept der form überordnet? sudabeh stimmt zu. wir sollen „mutig interpretieren“! aber was meint der verleger, wenn wir zehn zeilen als zwanzig zeilen übersetzen? hauptsächlich das buch verkauft sich gut. außerdem wird darüber gesprochen, wem der text gehört. dem autor, dem übersetzer oder dem leser vielleicht? es sei mit ihm, wie mit dem mond. zum abschluss üben wir schreiben. aus unseren namen entstehen geschichten. reine quälerei, aber geht doch.
von Miloslav Man
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