Mit dem Kulturzug nach Pilsen

Pilsen, 26. September 2015
13. 10. 2015

Den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ teilen sich in diesem Jahr das belgische Mons und das tschechische Pilsen. Die tschechisch-deutsche Gruppe machte sich auf den Weg in die westböhmische Stadt, die mit vielen Aktionen 2015 auf sich aufmerksam machte und zeigte, dass sie weitaus mehr zu bieten hat als Bier und Industrie. So fuhr zum Beispiel von Januar bis September am Wochenende der  „Zug zur Kultur“ von Regensburg nach Pilsen und zurück, Veranstalter dieser Aktion war das Zentrum Bavaria Bohemia (CeBB). Hier hatten Musiker, Literaten und Unterhaltungskünstler Raum und eine Stunde Zeit, den Reisenden die Fahrt kurzweilig zu gestalten und leisteten gleichzeitig einen Beitrag zum kulturellen Geschehen beider Länder – nicht zuletzt auch mit dem Fokus auf  kulturelle Vermittlung zwischen beiden Ländern. Angekündigt als Transstar-Gruppe, traten Martina Lisa, Martin Mutschler und Daniela Pusch am 26.09.2015 im Zug zur Kultur auf. Was dem gewöhnlichen Regionalzug sein Mehrzweckabteil, das war im Kulturzug die Bühne. Hier gab es genug Platz für Performer, Technik und Publikum, das sich auf die Klappsitze rundherum niederlassen oder einen Stehplatz nach Belieben wählen konnte. So lösten sich die Grenzen zwischen den Vortragenden und den Zuhörenden auf, man war sich nah, und wären da nicht das ständige Gerappel und Gerüttel und die üblichen Durchsagen für die Fahrgäste gewesen, hätte man auch von Wohnzimmeratmosphäre sprechen können. Die Transstar-Gruppe hatte vor allem Lyrik auf dem Programm, die von Marie Jiránková ästhetisch ansprechend gestaltete Lyrikfahrkarte bot den Reisenden einen Vorgeschmack:

ich stell mir vor
red mir ein
hier
könnte
ich
auch
leben

Wörter, die so schnell an einem vorbei ziehen wie die Landschaft hinter dem Fenster bei einer Zugfahrt: Rekvizity – ein Gedicht von Jan Těsnohlídek, das uns da abholte, wo wir waren, im Zug. Das Zugfahren also als Rahmen, dazu noch ein paar prosaische einleitende bzw. abschließende Worte von Karel Aksamit (Vlakové cesty – Zugfahrten) und Jiří Hajíček (Auszug aus dem Roman Rybí krev – Fischblut). Dazwischen Nostalgisches von Jan Těsnohlídek (To nejvíc nejhezčí z podzimu – Das mit Abstand Schönste vom Herbst), Melancholisches von Jiří Daníček (Dvě lod’ky – Zwei Schiffchen), raue Töne von Petr Hruška (Chlapče – Junge!), Meditativ-Poetisches mit einem Augenwinkern von Jaromír Typlt (Víčka – Die Deckel) oder Verspieltes von Ondřej Buddeus (rtf.-Gedichte). Übersetzt und vorgetragen von Martina Lisa, Martin Mutschler und Daniela Pusch – mal als Dialog, mal versetzt als Echo, mal mit tschechischen Originaltönen, mal aus dem vorderen Bereich und mal aus der hinteren Ecke kommend. So vielseitig die Texte waren, so abwechslungsreich wirkten sie auf das Publikum, das die Stimmungen schnell auffing und merklich mitging. Lyrik mal anders, Zugfahren mal anders.

Am Abend desselben Tages fand eine zweite Lesung  des Trios in Pilsen als Veranstaltung der Reihe „Meeting Literature“ in der Deutschen Bibliothek statt. Diesmal war es ein reiner Lyrikabend, wobei die Gedichte mit wechselnden Sprechern zweisprachig vortegtragen wurden. Das Repertoire wurde dramaturgisch nur leicht geändert, mit großer Wirkung. Anders waren allerdings Rahmen, Bühnensituation und Publikum. Deutlicher hätte man es wohl nicht erleben können, was so viele „alte Hasen“ behaupten: Jede Lesung ist einmalig!

Fotos

von Daniela Pusch

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