Alena ZEMANČIKOVÁ: Wie ein Obdachloser, Erzählung (aus dem Tschechischen von Daniela Pusch)

31. 10. 2013

Alena ZEMANČÍKOVÁ: Wie ein Obdachloser                                                                      

 „Kein Besitz“, verkündete meine Mutter radikal, während sie das von Großmutter geerbte massive Goldarmband in Seidenpapier wickelte. Für die Zimmerwirtin aus der Bezirksstadt, wohin sie sich aus der Kreisstadt aufmachte, der Arbeit wegen. „Gut, dass wir nichts haben, dann hält uns hier wenigstens nichts, und so eine Geschmacklosigkeit würde ich sowieso nicht tragen“, das war an die Adresse des massiven Schmucks gerichtet, dessen Durchmesser das zarte Handgelenk meiner Mutter um das Doppelte übertraf. Sie verkaufte das Armband unter Wert, damit wir in jener Kreisstadt beide zur Untermiete wohnen konnten, wenn ich ab September das Gymnasium besuchen würde, nachdem man mich in unserem Städtchen nicht genommen hatte. Der letzte Kommilitone meiner Mutter war in dieser Stadt Leiter der Bibliothek und hatte ihr eine Stelle angeboten; gerade als sie diese antrat, war man dabei, ihn seiner Funktion zu entheben. Wir lebten zwei Tage zur Untermiete, bis ich etwas anstellte, wofür uns unsere Wirtin hinauswarf aus dieser Wohnung voller Kristallglas und Porzellan, goldgerahmter Bilder und Perserteppiche: Ich hatte mich überall dahin geschlichen, wohin es verboten war, alles hatte ich geöffnet, durchgesehen, probiert – Sie hatte mir Fallen gestellt und alles bemerkt. Heute überallhin zu schleichen hieß morgen etwas zu stehlen, „Frau Doktor, Sie hätte ich hier sehr gerne, aber, nehmen Sie es mir nicht übel, das Mädchen will ich hier nicht und die Bücher können Sie auch mitnehmen.“ Vor dem Haus sagte meine Mutter: „Hier hätten wir es nicht ausgehalten, nur ums Armband tut es mir leid, es war aus Gold.“

Meine Tante Anna, eine hochgewachsene Frau von kräftiger Statur, der das Armband gut gestanden hätte, lebte in Prag in einer Wohnung zusammen mit meiner Großmutter. Sie hatte Sprachen studiert, wie man damals sagte, und bei Čedok gearbeitet. Sie war um einiges früher rausgeschmissen worden als meine Mutter aus dem Kulturzentrum der Grenzstadt, bereits in den fünfziger Jahren, als man ihren Mann eingesperrt hatte. Dieser Onkel war ein Autokenner und eine Händlernatur, in unsere  – in Großmutters – Familie passte er nicht allzu sehr: Er las die Motorwelt, und diese Welt war eine völlig andere. Er musste eine Art Abenteurer sein, denn auf dem Schuhschrank im Vorraum standen Siegerpokale von Autorennen, allerdings war in jener besagten Zeit in unserer Umgebung nirgendwo ein Rennen in auch nur einer seiner Disziplinen veranstaltet worden. Ich dachte, wir wären für ihn zu unkonventionell, aber wahrscheinlich mochte er uns deshalb nicht, weil meine Mutter in der kommunistischen Partei war. In der Prager Wohnung gab es zwei Welten, und meine Tante wechselte zwischen ihnen hin und her. Die Welt des Onkels hinter der Tür zu seinem Zimmer, dort gab es einen Fernseher, stapelweise Automagazine und ihn selbst – ein angegrauter Elegant, der mir unterstellte, ihn nicht zu grüßen. Die Welt der Großmutter in Küche und Esszimmer, mit dem Radio und einem zerlesenen Buch auf dem Nachttisch. Die Jahre im Gefängnis trug sie dem Onkel eigenartigerweise nach, ihrer Meinung nach hatte er meiner Tante Leben und Beruf verdorben mit seinen törichten Geschäften. Alle Brüder meiner Großmutter waren Handwerker gewesen, sie selbst Angestellte bei einer Bank, bevor sie meinen Großvater heiratete, ebendort beschäftigt, und Hausfrau wurde, wie es sich damals gehörte. Die Welt der Finanzen kannte sie gut, die Welt des Handels war ihr fremd. Über alles aber ging ihr die Welt der Familie, und deshalb verstand sie sich so gut mit Onkels Schwester Olga.

„Besitz ist nur eine Last“, sagte Olga, als ihr älterer Sohn, dem sie für einen Kredit gebürgt hatte, sie im Jahr 1968 in finanzielle Not brachte. Er war mit diesem Geld emigriert und hatte ihr die Rückzahlung überlassen. Sie lebte in einer dunklen Pawlatschen-Wohnung in den Prager Weinbergen. Mir kam es so vor, wenn ich mit der Großmutter dort zu Besuch war, als hätte die Wohnung  keine Fenster, die Toilette war draußen auf der Pawlatsche, der Herd im Vorraum. Doch immer wenn wir Olga besuchten, gab es Schnittchen, wie man sie in unserer Grenzgegend nirgendwo zu Gesicht bekam. Olga hatte einen Boxer und zwei erwachsene Söhne, aber die wohnten woanders. Nichts in dieser Wohnung oder an ihrer Bewohnerin zeugte von Reichtum oder Besitz, ganz im Gegenteil. Dabei war Olga einst mit einem reichen Finanzier und Fabrikbesitzer verheiratet gewesen. Der starb gleich nach 1945, wie mein Großvater auch, nur dass mein gutsituierter Großvater ein Bankbeamter gewesen war, Olgas Ehemann hingegen Bankier. Während Großvater eine schön eingerichtete Wohnung in Prag hinterließ, hinterließ Olgas Ehemann einige Häuser und die Fabrik. Den Februar 1948 erlebte Olga als junge Witwe mit zwei Kindern, man nahm ihr alles, beschuldigte sie der Mithilfe bei illegalem Grenzübertritt in mehreren Fällen und behielt sie zwei Jahre lang in Untersuchungshaft im Pankrácer Gefängnis. Als man sie entließ und die Kinder aus dem Heim zur Mutter zurückkehrten, lebte in ihrer Luxuswohnung voller Teppiche, massiv gerahmter Bilder, Kristallglas und Porzellan ein fremder Mann. Olga, der keine Schuld nachgewiesen werden konnte als die, einen Bankier geheiratet zu haben, forderte ihren Hausrat vor Gericht ein und gewann. Um den Geheimdienstler in ihrer Wohnung vor einem allzu plötzlichen Totalverlust zu verschonen, wurde entschieden, dass er ihr die Sachen – zumindest das, was er nicht leugnen konnte – abkaufen und bezahlen würde. Zu je hundert Kronen im Monat. Olga kam an jedem Dritten des Monats und klingelte an seiner Tür, der Geheimdienstler war nie zu Hause, dann stellte man ihr Telefon ab, schließlich war das Haus unten abgeschlossen, nach einem Jahr gab sie es auf.

 (OT Jako bezdomovec. Aus: Zemančíková, Alena: Bez otce. Povídky z let 1991-2007. Erschienen bei Mladá fronta, Praha 2008. S. 108-111)

Aus dem Tschechischen von Daniela PUSCH

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Jurij IZDRYK: Hotel „Ukrajina“. Essay-Auszug (Aus dem Ukrainischen von Sofia Onufriv)

31. 10. 2013

Jurij IZDRYK: Hotel „Ukrajina“

Mein literarisches Strampeln wird langsam zu einer Schriftstellerkarriere – das erkenne ich an Zeichen, die mit der Literatur wenig zu tun haben. So werde ich beispielsweise immer öfter als Juror eingeladen. Es ist noch nicht soweit, dass ich Honorare bekomme und die Reisekosten erstattet werden, seit einiger Zeit bringt man mich jedoch in Hotels unter. Ich muss keine Bekannten ausfindig machen, bei denen ich schlafen könnte. Und da die Hotels in aller Regel Festivalpartner sind, möchte ich beschreiben, was das Sponsoring mit so einem Partner auf sich hat.

Das Zimmer, in welchem Sie untergebracht werden, unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von anderen Zimmern. Aber es birgt unbedingt eine Überraschung. Diese Überraschungen sind nicht besonders einfallsreich und bedeuten in der Regel: Etwas funktioniert nicht. Entweder ist der Duschschlauch abgerissen, oder in der Fernbedienung fehlen die Batterien, oder direkt vor dem Fenster befindet sich ein Schlachthof.

Beim letzten Festival habe ich in einem wunderschönen Hotel gewohnt. Der Name des Hotels verhieß, wenn nicht echten westeuropäischen Standard, so doch immerhin den Versuch. Das Zimmer war einfach spitze. Ein Paar Wegwerfhausschuhe, ein weißer Bademantel mit Kapuze, eine Mini-Bar, Satellitenfernsehen…

Allerdings war die Bar leer und die Fernbedienung für den Fernseher ähnelte einem Armaturenbrett für den Abschuss von Flugabwehrraketen und ohne eine detaillierte Bedienungsanleitung konnte man sie nicht benutzen.

Sowohl der Schlauch, als auch der Duschkopf waren hochwertig, eindeutig nicht „Made in Turkey“, aber die Duschkabine war nicht dicht – selbst nach einer kurzen kalten Dusche bildete sich auf dem Fußboden eine Pfütze, von der allerdings die Gäste ein Stockwerk tiefer – dank der ordentlich verlegten Fliesen – verschont blieben.

Dagegen gab es im Badezimmer einen leistungsstarken deutschen Haartrockner, und so war schon nach zwanzig Minuten von der Pfütze nichts mehr zu sehen.

Ich möchte nicht penetrant erscheinen, aber im Zimmer fehlte der Mülleimer. Und da ich leidenschaftlich gerne Pistazien und Jogurt esse, lasse ich immer Müllberge zurück. Deshalb komme ich ohne einen Mülleimer absolut nicht aus. Schon gar nicht in Hotels, wo an einsamen Winterabenden Pistazien und Jogurt eine Köstlichkeit sind.

Nach kurzem Kampf gegen mein schlechtes Gewissen schob ich die Pistazienschalen einfach in die Schreibtischschublade und warf die leeren Jogurtbecher in eine eigens für diesen Zweck gekaufte Plastiktüte für Zement (im gleichen Laden erstand ich einen großen Scheuerlappen, um den Haartrockner zu schonen, der wegen meinem ausgeprägten Hygienebedürfnis dauernd zum Einsatz kam und kurz vor dem Durchbrennen war). Dennoch hatte sich bereits am zweiten Tag ziemlich viel Müll angesammelt. Zweimal hängte ich das Schild Bitte aufräumen raus – ohne Ergebnis. Also zog ich den weißen Bademantel mit der Kapuze an und hängte  das Schild Bitte nicht stören raus. Das Zimmermädchen kam auf der Stelle, leider haben wir die Zeit mit einem Gespräch über die Fasson von Hotelbademänteln vertan, und zum Putzen ist es nicht gekommen.

Noch einmal musste ich die Dienstleistungen des Zimmermädchens in Anspruch nehmen, als draußen ein Schneesturm tobte und sich zeigte, dass die Plastikfenster – ein typisches Blechwundermittel der einheimischen Baukunst – keineswegs vor Schneesturm schützen (dem Zimmermädchen stand der Kapuzenbademantel ausgesprochen gut).

Am Abreisetag gab’s zum ersten Mal frische Handtücher und ein neues Stück Seife. Die Seife habe ich zum Andenken eingesteckt.

 (…)

 Das coolste Hotel habe ich aber im Städtchen Irpin in der Nähe von Kiew gesehen. Mit Irpin verbinden die meisten Leute ein Schriftstellerhaus, einen Park und eine paramilitärische Wacheinheit unter der Leitung von Leutnant Roman Schreck. Aber in den Genuss der Übernachtung im hiesigen Hotel sind nur wenige gekommen. Ich weiß nicht mehr genau, wie es hieß, ich weiß noch genau, wie es war: Irpin, Gewitterhimmel und drei Neonsterne. In der Empfangshalle bekam ich schon eine Ahnung davon, was diese 3-Sterne-Kategorie wert war. Ganz genau erinnere ich mich nicht, aber es tauchen in einer kafkaesken Reihenfolge Episoden auf:

 – die Rezeption hatte ein phantasievoll geschwungenes sowjetisches Gitter;

 – im Gästebuch wurde wer weiß was abgefragt: Abstammung, Nationalität, Blutgruppe usw.;

 – als Portier stand mir ein Veteran des Zweiten Weltkrieges im Trainingsanzug gegenüber;

 – der Apothekenkiosk – ebenfalls vergittert – warb mit dem Schild „Antipilzpräparate auch auf Kredit“;

 – der Lastenaufzug fuhr fünf Stockwerke nach oben und vier nach unten;

 – die leere Sperrholztafel mit der Überschrift:

 Wan Z itung

und einem Zettel mit dem Hinweis: „Nach 23 Uhr wird die Tür nicht mehr geöffnet“.

Es folgten weitere grauenvolle Einzelheiten:

 – der Fahrstuhl fuhr nur bis zur fünften Etage, weil sich auf den Etagen von sechs bis neun ein Studentenwohnheim befand;

 – die ersten drei Stockwerke wurden aus Spargründen auch nicht bedient, deshalb erreichte man den Frühstücksraum auf der zweiten Etage nur durch eine Notfalltreppe, die an dem Studentenwohnheim und diversen Büros vorbei, die Hotelräumlichkeiten miteinander verband;

 – das Restaurant gehörte nicht zum Hotel, deshalb erreichte man es auch nur von draußen, durch eine andere Tür mit einem phantasievollem Gitter.

Und so weiter und so fort.

Im Zimmer gab es einen Fernseher und einen Kühlschrank, wie es sich für ein Drei-Sterne-Hotel gehört.

Der Fernseher – ein schrottreifer koreanischer „First“ – war stumm und ohne Fernbedienung, und der Kühlschrank „Morozko“ – eine Rarität aus der Sowjetzeit – war zugleich die einzige Lichtquelle im Zimmer. Das Bad war ganz rührend: gelbe Krankenhausfliesen, eine gesprungene Kloschüssel und die Dusche ohne Ablaufbecken. Es gab noch zwei Handtücher: ein großes chinesisches und ein weißes mit Waffelmuster, ein Stück Kernseife und eine ganze Rolle Toilettenpapier. Das letzte habe ich besonders angebracht nach dem Frühstück gefunden, das aus Nudeln, Zucchinipüree und Sanatoriumskakao bestand. Und nach dem Schock, den ich auf dem Flur erlebt habe. Als ich am Morgen das Zimmer verlassen habe, den Duft der Kernseife verströmend, habe ich auf dem Flur Menschen gesehen, die ruhig auf den Stühlen an den Wänden saßen. Kafkas „Prozess“ und Breschnews Beerdigung sind mir eingefallen. Instinktiv habe ich den Nächsten gefragt, wer der Letzte sei. Der Nächste war auch der Letzte, und das war eine Schlange zur Sparkasse, die hier einige Zimmer mietete.

Als ich die  Dame an der Rezeption hinter dem phantasievollem Gitter gefragt habe, ob es möglich wäre, das Licht nicht nur im Kühlschrank, sondern auch im Zimmer zu haben, gab sie mir ein weiteres dickes Buch für Beschwerden. Ich trug meine Bitte ein, eine Glühbirne einzuschrauben. Der vorherige Eintrag stammte von zwei Studentinnen: „Als wir aus den Ferien zurückgekommen sind, war die Zimmertür weg. Schicken Sie einen Tischler“.

Vor diesem Hintergrund sind nächtliche Verhandlungen mit dem Veteranenportier, der die Tür wie ein Zerberus bewachte, Bikerrennen vor dem Hotel und eine zusätzliche Portion Zucchinipüree am zweiten Tag nicht der Rede wert. Das Drei-Sterne-Haus in Irpin soll man in die Liste der touristischen Highlights in der Ukraine aufnehmen.

Ich arbeite immer journalistisch, deshalb würde ich hier gerne über das metaphorische Hotel Ukrajina nachdenken, in dem wir alle hausen, in dem die Blechfenster Risse bekommen und Lastenaufzüge stecken bleiben. Aber das lasse ich lieber sein.

Weil ich sagen muss, dass sich meine Schriftstellerkarriere rasant entwickelt. Ich werde mittlerweile zu Musikfestivals eingeladen. Ich habe schon in einem VW-Bus, in einem Rehabilitationszentrum für Kranke mit Verbrennungen vierten Grades und in einem Internat für Taubstumme übernachtet, wo das Regenwasser knöchelhoch stand. Hier hatte aber auch niemand den Komfort angepriesen und das ist eine ganz andere Geschichte, keine touristische, sondern eher eine Wandergeschichte: Die Heimat hat einiges zu bieten.

 Aus dem Ukrainischen von Sofia ONUFRIV, Berlin

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Katja PERAT: Fick dich, Ginsberg, Gedicht (Aus dem Slowenischen von Daniela Trieb)

31. 10. 2013

Katja PERAT: Fick dich, Ginsberg

Einleitung

Jung, kritisch, ironisch, zynisch. Katja Perat zeigt, wo es lang geht. Sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund und dichtet, was das Zeug hält. Da bleibt kein Auge trocken und einem zugleich das Lachen im Hals stecken. Wenn man einmal begonnen hat, Katja Perat zu lesen, lässt sie einen nicht mehr los. Ihre Gedichte begeben sich in die Tiefen des menschlichen Kosmos und wandern darin federleicht umher.

Jebi se, Ginsberg

Jesen je neusmiljena,
Kadar računaš z lepoto,
Za katero si predpostavil, da ti pripada,
V minutah,
Ko nisi bil pripravljen razumeti,
Da stvari ne pripadajo.
Vsak lahko reče,
Da je videl najboljše ljudi svoje generacije
Propasti,
Ampak redkim se zgodovina prikloni za propad,
Vsak lahko reče,
Da je
Teža sveta
Ljubezen,
Ampak redkim
Da ljubezen priznanje,
Da se niso motili.
Jesen je neusmiljena za samotne Evropejce,
Naklonjene brezupu,
Ki se v dolgih plaščih naslanjajo na zidove,
Zapuščeni od bogvečesa.
Zavistni smo, veš.
Ne do noči v neogrevanih stanovanjih
In alkoholnega delirija,
Do abstraktnih stvari,
Do načina, kako nosiš svoje obleke
In si svoja lastna zgodovina.
Predpostavili smo,
Da veš,
Kaj je svoboda,
In kadar mislimo nate,
Se nam zdi,
Da kjer si, gre poletje v neskončnost.
Vsak lahko reče,
Da je čemu
(čeprav pogosteje ljudem kot državam)
Dal vse
In je zdaj nič,
Ampak države ne poslušajo,
Kaj šele ljudje.
Samo za občutek,
Da je
Vse dosegljivo
V pogledu
Na prostranost,
Da te omejuje resničnost,
Se pa vedno lahko zanašaš,
Da ti je svoboda,
Ki si ti sam,
Brezpogojno na razpolago,
Da lahko rečeš
Želim si
In se dotakneš,
Ne da bi se na pol poti
Ustavil v krču,
Samo za ta občutek,
Zlahka zamenjam svoj avto
In gotovo prenočišče vsako noč
In izobrazbo,
Za katero si prizadevam,
Stvari, ki jih imenujem varnost
In pri tem ne vem,
Če so dorasle svojemu imenu.
V tem je zavist.
Pojma nimaš,
Kako jezna sem
Na slučajnosti,
Ki me ločujejo od stvari, ki niso jaz,
In nujnosti,
Ki me z ničejansko gesto vsakič znova vrnejo v to,
Kar mi je namenjeno.
Ljudje pogrešamo vonje
In pogrešamo dotike
In pogosto pogrešamo stvari,
S katerimi se nismo nikdar srečali,
Svobodo, na primer,
Ljudje se stežka ločimo od stvari,
Ker ne vemo, kako bi bili nežni z njimi,
Ne da bi jih lastninili.
Gibanje,
Izmuzljivost,
Sprememba.
O tem ne vemo veliko.
Drži,
Da je teža sveta
Ljubezen,
Ampak, čisto po pravici,
Koga briga?

Fick dich, Ginsberg

Der Herbst ist erbarmungslos,
Wenn du mit der Schönheit rechnest,
Von der du dachtest, dass sie dir zusteht,
In den Minuten,
Als du nicht bereit warst zu verstehen,
Dass Dinge einem nicht gehören.
Jeder kann sagen,
Dass er die Besten seiner Generation
Untergehen sah,
Aber nur vor wenigen verneigt sich die Geschichte zum Untergang,
Jeder kann sagen,
Dass das
Gewicht der Welt
Die Liebe ist,
Aber nur wenigen
Gesteht die Liebe zu,
Dass sie sich nicht geirrt haben.
Der Herbst ist einsamen Europäern gegenüber erbarmungslos,
Die sich, der Hoffnungslosigkeit zugetan,
In langen Mänteln an Mauern lehnen,
Verlassen von weiß Gott was.
Wir sind neidisch, weißt du.
Nicht auf Nächte in ungeheizten Wohnungen
Und Alkoholdelirien,
Auf abstrakte Dinge,
Auf die Art, wie du deine Kleider trägst
Und deine eigene Geschichte bist.
Wir setzten voraus,
Dass du weißt,
Was Freiheit ist,
Und wenn wir an dich denken,
Scheint uns,
Dass wo du bist, der Sommer ins Unendliche geht.
Jeder kann sagen,
Dass er für etwas
(obwohl öfter für Menschen als Staaten)
Alles gegeben hat
Und jetzt nichts ist,
Aber Staaten hören nicht zu,
Geschweige denn Menschen.
Nur für das Gefühl,
Dass
In Hinblick
Auf Weiträumigkeit
Alles erreichbar ist,
Dass dich die Wirklichkeit begrenzt,
Du dich aber immer darauf verlassen kannst,
Dass dir die Freiheit,
Die du selbst bist,
Bedingungslos zur Verfügung steht,
Dass du sagen kannst
Ich wünsche mir
Und berührst,
Ohne auf halbem Weg
Verkrampft innezuhalten,
Nur für dieses Gefühl,
Tausche ich mühelos mein Auto
Und die gewisse Bleibe jede Nacht
Und die Ausbildung,
Nach der ich strebe,
Die Dinge, die ich Sicherheit nenne
Und dabei nicht weiß,
Ob sie ihrem Namen gewachsen sind.
Darin liegt der Neid.
Du hast keine Ahnung,
Wie wütend ich bin
Auf die Zufälligkeiten,
Die mich von den Dingen trennen, die nicht ich sind,
Und die Notwendigkeiten,
Die mich mit nietzscheanischer Geste jedes Mal aufs Neue zu dem zurückbringen,
Was mir bestimmt ist.
Wir vermissen Gerüche
Und vermissen Berührungen
Und vermissen oft Dinge,
Auf die wir niemals gestoßen sind,
Freiheit, zum Beispiel,
Wir trennen uns ungern von Dingen,
Weil wir nicht wissen, wie wir zärtlich zu ihnen
sein sollen,
Ohne von ihnen Besitz zu ergreifen.
Bewegung,
Entgleiten,
Veränderung.
Darüber wissen wir nicht viel.
Es stimmt,
Dass das Gewicht der Welt
Die Liebe ist,
Aber, ganz ehrlich,
Wen kümmert’s?

© Študentska založba, 2011

Quelle: Katja Perat: Najboljši so padli (Beletrina 2011) S. 56-59

Einleitung und Übersetzung aus dem Slowenischen von Daniela TRIEB, Graz

 

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Ignacy KARPOWICZ: Jesus, Romanauszug (Aus dem Polnischen von Katharina Kowarczyk)

31. 10. 2013

Ignacy KARPOWICZ: Jesus (Romanfragment)

Einleitung

„Alles war wie immer und zugleich ganz anders“, sagt die 50jährige Single- und Jungfrau Olga im dritten Kapitel von Balladyny i romanse (Balladynen und Romanzen). Wie die anderen acht Hauptfiguren ahnt sie nicht, dass sie unter den Einfluss antiker Götter geraten ist. Da Jesu Mission gescheitert ist, hat der einst so mächtige Zeus beschlossen, dass Apollo, Nike, Eros und der Rest der griechischen Helden auf die Erde zurückkehren und ihr Glück auf Herrschaft noch einmal versuchen: und zwar zunächst einmal in Polen. Als ihr größter Gegner erweist sich die omnipräsente Religion des 21. Jahrhunderts: die Popkultur. Doch auch Jesus hat noch nicht aufgegeben und schmiedet eigene Pläne.


Jesus

Mein Name ist Jesus. Jesus Christus, Spitzname Ichthys. Ich bin sehr populär, angesagt seit zweitausend Jahren. Ich trete vor allem in der Bibel auf; neben Hair ist sie das größte Musical aller Zeiten.

Ich bin ein Gott, der eine Gott. Ich bin die Tür und der Weg. Ich bin das Licht und die Erlösung. Ich bin Hirte. Kein Witz.

Ich bin der eine, dreieinige Gott. Das heißt, dass auch mein Vater und der Heilige Geist der eine Gott sind. Wir sind eine Einheit, obwohl wir auch voneinander getrennt sind. Als Idee nicht schlecht, etwas kompliziert vielleicht. Ich habe Vater und der Taube gleich gesagt, dass die Menschen das nicht kapieren würden. Feinsinnige und wohlgenährte Köpfe, gewiss, die würden begreifen, aber der dümmere und unterernährte Rest würde durcheinander bringen, wer wer ist. Ich habe gesagt, dass wir mit der Einheit der Dreieinigkeit und vice versa warten sollten, bis die Menschen herausfinden, dass die Welt mehr als drei Dimensionen hat und dass die Quantenphysik nur ein erster Schritt ist, sie zu erklären. Sie aber: Nein, geht nicht. Nein, weil es eine Lüge wäre, die Dreieinigkeit der Einheit und die Einheit der Dreieinigkeit zu verheimlichen, und eine Lüge als Grundstein einer Religion sei auf lange Sicht zu riskant, dafür habe es in den vergangenen Jahrhunderten genug Beispiele gegeben. Nein, weil der einzige Pfad zur Erlösung über die Wahrheit führt. Die Wahrheit, das nur so am Rande bemerkt, bin ich.

Natürlich hatte ich recht. Ich bin quasi allwissend. Nicht dass es mich gefreut hätte, recht zu haben. Als Gott muss man sich nun mal anpassen, an das Niveau seiner (potentiellen) Gläubigen, an den historischen Moment. In der Steinzeit würde ich ja auch nicht verkünden, dass jeder Mensch ein Anrecht auf Spam und eine Flatrate hat. Spannungen gab es schon bei der Redaktion der Zehn Gebote. Meiner Meinung nach war der Dekalog von Anfang an zu altbacken und zu lang, schließlich hat nicht jeder ein gutes Gedächtnis. Sie aber: Nein, geht nicht. Geht nicht, es müssen zehn Stichpunkte sein. Bei zehn Stichpunkten kann man nicht erwarten, dass ein schlüssiger oder gar wirkungsvoller Text herauskommt. Erstens kann man die Zehn Gebote befolgen und trotzdem ein schlechter Mensch sein. Zweitens waren Recht und Moral im Dekalog allzu eng an die Familie geknüpft, und mit der Familie verhält es sich – bekanntermaßen – wie mit der Sonne: je weiter weg, desto besser. Abgesehen davon ist Familie ein historischer Begriff, der Zeit unterworfen, dem Wandel ausgesetzt.

Das nächste Problem war die Sprache. Ich habe zu zwei Dritteln meiner selbst gesagt: Hört mal, das mit dem Hebräischen oder Aramäischen sollten wir lassen, diese Sprachen werden aussterben, schaut euch die Prognosen und Simulationen an, wir sollten warten – habe ich gesagt – ein paar Jahrhunderte warten. Ich bin der Gott der Liebe, meine Botschaft verdient eine Sprache der Liebe, am liebsten Französisch. Sie aber (also ich): Nein, geht nicht. Wir warten nicht. Na gut, sage ich, dann vielleicht wenigstens Englisch? Wir hätten keinen Stress wegen der Übersetzungsfehler. Ich dann aber (also sie): Nein, geht auch nicht.

Das nächste, und zwar ernsthafte Problem ergab sich aus der Konstitution meiner selbst. Ich bin nämlich Gott und Mensch zugleich. Zwei eigenständige Naturen, in einem Körper vereint – so hatte es das Konzil von Chalcedon beschlossen und ich hatte mich der Entscheidung gebeugt; ich hatte ungefähr genau vierhundert Jahre nach meinem Tod davon erfahren, auf meiner Jubiläumsgala. Die Idee mit den zwei Naturen war nicht schlecht und nicht schlecht umgesetzt, aber schon wieder ging etwas an meinen Vorstellungen vorbei. Meiner Meinung nach war die Auferstehung ein Kardinalfehler. Man hätte auf diesen ägyptischen Ballast verzichten können. Wenn die Menschen gut werden sollen, dann müssen sie begreifen, dass sie nach dem Tod nichts zu erwarten haben, dass der Himmel, dass das Gericht nicht existiert. Und falls dann doch jemand in den Himmel hinaufsteigt, dann ist das ein Bonus, eine Belohnung für die, die nichts erwartet haben.

Nur hatte ich meine Meinung, und meine zwei Drittel eine andere. Ohne Himmel und Hölle würden die Menschen nicht gut werden, hieß es, die Erlösung wäre dahin: voll verkackt, voll öde. Am Ende behielt ich wieder mal recht. Ich bin ein Gott; wenn meine zwei Drittel mit mir im Streit liegen, weiß ich natürlich trotzdem, wie die Welt enden wird.

Darum will ich herabsteigen und sterben. Nichts Spektakuläres. Kein Kreuz, kein Leiden. Das hat sich nicht bewährt. Die Kreuzigung war verfrüht. Diesmal entscheide ich mich für den grauen Star, für Rheuma und Altersschwäche. Mit Nike, meiner Hejrzensdame, will ich herabsteigen, will auf meine Allmacht verzichten, den Einkauf erledigen und Grippe kriegen. Ich will winzige Wohltaten vollbringen. Wunder ausgeschlossen. Ich will meine Miete zahlen und acht Stunden täglich auf Arbeit verbringen.

Ich bin Philanthrop. Ich liebe die Menschen. Vielleicht, weil ich Sinn für Humor habe. Ohne Sinn für Humor keine Liebe. Ich habe vorgeschlagen, eines der Gebote durch das folgende zu ersetzen: „Du sollst lachen jeden Tag und am Feiertag erst recht. Das Lachen ist das Tor des Guten, ein Pflaster fürs Herz und das Auge der Erlösung“. Es wurde abgelehnt.

Die Erlösung ist der Punkt aller Dimensionen, zu dem ich die Menschen führen will. Ein Punkt in der Materie, weil es jenseits der Materie und all ihren Ebenen nichts gibt – nur die ultimative Dimension. Ich glaube an die Apokatastasis: die Allerlösung. Ohne Hölle, Limbus und Abgrund. Mit diesem Glauben bin ich in der Minderheit. Zwei Drittel meiner selbst fordern das Letzte Gericht. Mein Argument ist, dass die Schöpfung gut ist – und daher jede, auch die geringste Existenz das Siegel des Guten trägt. Es diskutiert sich schlecht mit einer Mehrheit, insbesondere als Einheit.

Ich muss bekennen, dass ich in den letzten Jahrhunderten an der Apokatastasis und überhaupt, an mir selbst, und genau genommen an einem Drittel meiner selbst zu zweifeln begonnen habe. Nach der Party im Roten Meer war ich in ein dunkles, tiefes Loch gefallen. Nike hatte mir vom Zeus’schen Plan erzählt. Ich war wenig begeistert. Später, als Nike gegangen war, ich mit hängendem Kopf dasaß, verzweifelt und zwiegespalten, kam mir plötzlich eine Erleuchtung. Der Plan der Olympier war für meine Pläne gar nicht so ungünstig, er begünstigte sie sogar. Ihr müsst verstehen, ich habe die Idee von dem einen einzigen Gott nie befürwortet: Ich wurde, was an und für sich paradox ist, überstimmt. Ich war schon immer der Ansicht, dass es besser ist, mit den anderen Göttern zu kooperieren, anstatt sie zu bekämpfen. Der griechische Plan gibt uns allen noch eine Chance, glaube ich. Diesmal werde ich meine Fehler nicht wiederholen: Die Auferstehung ist, wie gesagt, eliminiert; Hölle, Himmel, Fegefeuer: eliminiert; die Zehn Gebote: vertagt. Es muss was Profaneres her. Ein Stichpunkt genügt, von mir aus mit Fußnoten, zum Beispiel: Jeder hat das Recht, glücklich zu sein. Zu lachen. Zu irren. Zu lieben. Wir könnten knobeln.

Diesmal wird es mir gelingen. Ich bin der Pantokrator, das Alpha und das Omega, die Allmacht und das ewige Licht. Ich bin die Tür und die Kirche. Ich weiß, kein Grund sich aufzuplustern, aber manchmal ist es ganz sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, wer man ist. [...]

(Fragment aus dem Roman Balladyny i romanse, S. 285-289)

 Einleitung und Übersetzung aus dem Polnischen von Katharina KOWARCZYK, Hamburg

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Ludwig BAUER: Die Begegnung, Romanauszug (Aus dem Kroatischen von Paul Gruber)

31. 10. 2013

Ludwig BAUER: Die Begegnung

Einleitung:

Der Kampf mit der Geschichte, der eigenen wie der gesamtgesellschaftlichen, und die daraus entstehenden Schwierigkeiten für den, der eigenen Identität unsicheren, Einzelnen stehen im Mittelpunkt von Ludwig Bauers mehrfach ausgezeichnetem Roman Zavičaj, zaborav (Heimat, Vergessen, 2010). In meditativer, poetischer Sprache erzählt Bauer vom Leben des volksdeutschen Lukan, dessen Eltern im Zweiten Weltkrieg umgekommen sind und der im Kroatien der FNRJ von Pflegeeltern aufgezogen wird. Erst als Junge erfährt er seinen wahren Namen und seine Herkunft. Die darauffolgenden Suche nach sich selbst führt den durchwegs schwachen, aber idealistischen Lukan nach Deutschland, Tschechien, die Slowakei und schließlich zurück nach Kroatien, wodurch der Blick auf verschiedene gesellschaftliche Systeme frei wird. Dabei behandelt Bauer große Themen, wie das Schicksal der Donauschwaben, die Stellung des Einzelnen gegen das System oder das Verhältnis zwischen Mann und Frau in von der Geschichte gebeutelten Zeiten.

 

Die Begegnung                                                                                           

Der Regen hatte den aufgeschütteten Schotter weggespült und den Weg in einen reißenden Bach verwandelt, in dem die Füße immer wieder über grobe Unebenheiten stolperten, welche in der Dunkelheit versteckt waren, weil der Mond ganz tief und seitlich stand, man also selbst dann nichts hätte erkennen können, wäre er größer als diese schmale, diese hauchdünne Sichel gewesen, die da in das Nachtblau des Himmels eingehämmert war – auf Deutsch nennt man das ‘tauschieren’, dieses Verfahren, fiel mir ein; nur dass sich der Meister bei dieser Form von Intarsie hier das Silber gespart hat – und ich lachte über mich selbst, lachte lautstark, es war ulkig, dass meine Gedanken derart von der Erde zum Himmel hin tanzten, wo ich mich doch voll und ganz hätte darauf konzentrieren müssen, wo ich hintrat, entlang des Wegrands war es wahrscheinlich sicherer, weil das Wasser sein schlängelndes Bett hauptsächlich in der Mitte aushob: der Sturzbach floss hier viel zu schnell, als dass er sich über den gesamten Weg hätte ergießen können. Malum nullum sine aliquo bono, kein Übel ohne etwas Gutes: befände sich hier kein derartiger Steilhang, dann fiele auf den Weingarten nicht so viel Sonne und auch die Erde wäre nicht so durchlässig – Wein mag es nicht, wenn seine Wurzeln unter Wasser stehen, behaupten zumindest die Weinbauern. Vielleicht stolperte ich aber auch nur deshalb, weil ich ein wenig über den Durst getrunken hatte, nicht übermäßig, ich habe ja eben darauf geachtet, mich nicht zu betrinken, habe von jedem Glas bloß gekostet, doch der Abend war lang, und es ist einfach unmöglich, den Wein nur zwischen Gaumen und Zunge zu behalten, es ist einfach unmöglich, bloß daran zu nippen: der wahre Zauber liegt ja gerade darin, wie er zwischen Gaumen und Zunge hindurchgleitet und einem die Kehle streichelt, während sich der Duft von Muskat nach oben, Richtung Stirn verflüchtigt. Die anderen haben mich ein wenig verspottet, weil ich Muskateller trank, weil ich auch nach der Verkostung dabei geblieben war, sie waren alle auf den Riesling von Žiga, ‘Welschriesling’ oder auf Pinot umgestiegen, letzterer war mir aber wirklich zu dünn, für sie war hingegen weißer Muskat ein Frauenwein, parfümiert, wie sie sich ausdrückten, damit spielten sie vielleicht auch auf mein Vorhaben an, im nächsten Frühling ‘Gewürztraminer’ zu setzen, Cserszegi Füszeres – so nannte ihn jener Ungar, mit dem ich den Kauf der Stecklinge vereinbart hatte –, ihre Scherze waren völlig daneben, denn wenngleich jung, war dieser Gewürztraminer doch voller Raffinesse, eignete sich aber auch vortrefflich zur Lagerung, der Ungar besaß gut zehn Fässer davon, noch drei Jahre, dann habe ich auch so einen, noch drei Jahre … wer weiß schon, was in drei Jahren sein wird; übrigens, meinen eigenen Rotwein hatte ich schon, Žigas Kombination, Žiga hatte ein Händchen für Cuvées, der Rote war rund, Blaufränkischer und Cabernet-Sauvignon wurden durch den Hamburger Muskat abgeschwächt, mir schien dieser Cuvée gut ausbalanciert, harmonisch, ausreichend kräftig und zugleich süffig, wenngleich die Weinbauern Žiga gerne stichelten, indem sie diese Süffigkeit lieber dem Keller im Weinhügel, als seinen Kenntnissen im Weinbau zuschrieben; Žiga hat mir auch selbst gestanden, dass er die Reben, schon beim Setzen, gemischt hatte, und zwar nur weil er aus Erfahrung wusste, dass manche Sorten schon mal ganz aussetzen, andere dafür umso besser tragen… Plötzlich raschelte etwas im Gebüsch am Wegesrand, ich vermutete Füchse, die sich nachts, öfter gegen Morgen, zu den nächsten Hühnerställen hinabschlichen, und genau da verspürte ich einen starken Luftstoß, als würde man auf eine Harke steigen, so habe ich das gedeutet – die meisten Menschen kennen so etwas nur als Filmgag, aber mir ist das wirklich einmal passiert, vor Ewigkeiten, als Kind – und es folgte ein Schlag, der nicht von einer Harke stammte, ich hatte das Gefühl, als hätte mir jemand aus der Dunkelheit heraus mit dem flachen Ende einer Schaufel eins übergezogen, und meine Wange platzte auf, wie Knoblauch, den man zum Kochen presst. Ich hörte auch einen Schuss, einen zweifachen, beinahe gleichzeitigen Schuss aus einem Doppellauf, das war ganz bestimmt ein Jagdgewehr, also war der Schlag mit einem Gewehrkolben erfolgt – der hätte mir den Schädel einschlagen können, dachte ich, während ich wankte und zu Boden fiel. „Wer bist du denn?“ – fragte eine Stimme von der Seite und ihr gegenüber wurde eine Taschenlampe angeknipst, sodass ich um mich herum das dornige Gestrüpp erblickte, in dem ich lag, bevor sie mich blendete, jene andere Stimme aber wiederholte forsch: „Mensch, wer bist du?“

Ich merkte, dass ich das Bewusstsein verlor, vielleicht sterbe ich ja auch, dachte ich gleichgültig, oder – vielleicht ist mir nur vom Hieb und den Getränken schwindlig, aber gestorben bin ich wohl nicht, dort drüben gibt es bestimmt nichts, redete ich mir unsicher ein, wobei ich mir, am Rande meines langsam schwindenden Bewusstseins, vielleicht doch irgendein Zeichen des ewigen Fortbestehens erwartete – trotz allem! – irgendein vielleicht sogar auch süffisantes, unausgesprochenes, aber klares: Siehst du, und wieder hast du dich geirrt, Mensch, bedeutungsloser, kleiner, winziger Mensch, betrunkener alter Mann, der du so qualvoll mit der Wange den getrockneten Lehm zwischen den dornigen Ästen berührst, der du den Staub berührst, zu dem du werden wirst, dann aber bis in alle Ewigkeit …

Mein kleiner Offizier!, sagte die Mutter, fröhlich und verzweifelt zugleich, lachte laut auf und seufzte, zog den Saum des schweren Vorhangs ein wenig zur Seite, das war einer von denen, die nachts zugezogen werden, damit man morgens nicht weiß, ob es draußen schon hell wird oder nicht, und machte den Blick frei auf eine gebeugte Gestalt, auf eine kleine Gestalt am Ende einer Kolonne, einen kleinwüchsigen Jungen auf einem Pferd, welches ebenfalls kleiner war, als all die anderen an der Spitze der Kolonne, es war ein winziges Pferd, einem Esel ähnlich, nur magerer, dieses magere Pferdchen war sogar kleiner als die Soldaten, die vorne wankten und die vielleicht der Reihe nach zu Boden gestürzt wären, wäre am Ende der Kolonne nicht ebendieser gebückte Junge im Militärumhang geritten und auf seinem müden Gaul hin und her gebeutelt worden. ‘Der kleine’, sagte die Mutter auf Deutsch und zeigte mit dem Finger auf ihn, nachdem die Kolonne dann aber hinter der Ecke verschwunden war, von wo aus man einen Moment lang noch das Klappern der schweren Stiefel vernehmen konnte, da sagte sie ‘Prinz Eugen Division’, das sagte sie genau so, wie man für gewöhnlich zeremonielle Abschiedsworte am Ende von Begräbnissen spricht, Worte, nach denen einer nach dem anderen an das im Erdboden klaffende, riesige Loch tritt und eine Handvoll Erde nachwirft, wie gut kann ich mich an dieses Geräusch erinnern, an das dumpfe Aufprallen auf den Sargdeckel, aber ich erinnere mich auch an Mutters Aussprache, mit dem langgezogenen Diphthong zu Beginn des zweiten Wortes: Oigen, Prinz Oigen Division, Prinz Oigen Division, sagte meine Mutter, wir aber bleiben, bleiben hier, wir bleiben zu Hause.

                                    Einleitung und Übersetzung aus dem Kroatischen von Paul GRUBER, Graz

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Claudia Dathe und Daniela Kocmut: Die ersten TransStar-Übersetzungen in LICHTUNGEN

13. 9. 2013

Die ersten Übersetzungen, die im Rahmen des Projektes TransStar enstanden sind, wureden in der Grazer Zeitschrift für Literatur, Kunst und Zeitkritik LICHTUNGEN 135/2013 veröffentlicht.


Claudia DATHE/Daniela KOCMUT:
Einleitung

TransStar – Ein Projekt für Europas neue Kulturmittler

„TransStar“ ist ein junges europäisches Projekt, das ostmittel- und südosteuropäische Sprachen, ihre Literaturen und Kulturen in den Mittelpunkt von Diskussion, Austausch und Wahrnehmung rücken will und Studierenden und young professionals in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Polen, Tschechien, Kroatien, Slowenien und der Ukraine die Möglichkeit gibt, an diesem Prozess mitzuwirken und sich insbesondere in das literarische Übersetzen und in die Grundlagen des europäischen Kulturmanagements einzuarbeiten.

In den zunehmend transkulturell geprägten Lebenswelten sind nicht mehr nur Fachleute mit Spezialwissen gefragt, sondern die Kenntnis europäischer Kulturen wird für jeden Einzelnen zu einem alltäglichen Erfordernis. Um einen breiten Zugang zu den Kulturen zu ermöglichen, ist eine größere Anzahl von Kulturmittlern notwendig. Daher wurde dieses Projekt ins Leben gerufen, um die Integration der verschiedenen europäischen Kulturen zu fördern und jungen Sprach- und Kulturmittlern die Möglichkeit zu bieten, beim Zusammenwachsen der europäischen Nachbarn neue Impulse zu setzen.

In der vorliegenden Nummer und in den kommenden Ausgaben der LICHTUNGEN stellen sich die jungen ÜbersetzerInnen mit Übersetzungen zeitgenössischer Literatur aus den fünf Ländern vor.

WerkstattleiterInnen des Projekts für Übersetzungen ins Deutsche: Alida BREMER (Münster), Claudia DATHE (Tübingen), Matthias JACOB (Tübingen), Kristina KALLERT (Regensburg), Daniela KOCMUT (Graz), Olaf KÜHL (Berlin)

Vielen Dank an die AutorInnen und Verlage für die freundliche Genehmigung des Abdrucks.


Veröffentlicht wurden folgende Übersetzungen:

Ludwig BAUER: Die Begegnung, Romanauszug (Aus dem Kroatischen von Paul Gruber)

Ignacy KARPOWICZ: Jesus, Romanauszug (Aus dem Polnischen von Katharina Kowarczyk)

Katja PERAT: Fick dich, Ginsberg, Gedicht (Aus dem Slowenischen von Daniela Trieb)

Jurij IZDRYK: Hotel „Ukrajina“. Essay-Auszug (Aus dem Ukrainischen von Sofia Onufriv)

Alena ZEMANČIKOVÁ: Wie ein Obdachloser, Erzählung (aus dem Tschechischen von Daniela Pusch)

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