Für wen übersetzen wir

20. 5. 2013

Neulich erzählte ich bei einem Familienfest überglücklich von meinem aktuellen Übersetzungsprojekt, Marlen Haushofers Die Wand. Entzückt sprach ich davon, dass in diesem Buch nur eine Frau, ein Hund, eine Kuh, ein Stier und einige Katzen vorkämen. Da fragte meine Schwester: »Wer liest denn sowas?«

Es ist eine berechtigte Frage. Schaut man sich die Statistik der slowenischen Buchagentur JAK an, werden in Slowenien meist Kinder-, Kochbücher und sonstige Ratgeber ausgeliehen oder gekauft. Es folgen Bestseller wie Harry Potter, Fifty Shades of Gray usw. Die Klassiker bleiben weit hinten. Von den 5,6 Millionen ausgeliehener Titel bei 2 Millionen Einwohner wurden meine Übersetzungen in 2012 nur ungf. 8.000-mal mit nach Hause genommen. Für mich ist das trotzdem viel. Es ist unheimlich, sich vorzustellen, diese 8.000 Personen würden alle auf einmal vor mir stehen. Aber sie hatten alle ein Buch von mir in der Hand. Einige davon sind Kinderbücher, aber hoffentlich hat auch jemand nach T. Moras Alle Tage oder nach Kafkas Briefe an Milena gegriffen und die Lektüre genossen.

Beim Übersetzen denke ich nicht an die Quantität der Leser, sondern vielleicht an die eine oder andere konkrete Person, der ich die Übersetzung insgeheim widme und das erschienene Buch schenke. Ja, es ist ein großer verlegerischer Aufwand und Risiko, ein selten  gelesenes Werk herauszubringen, aber mir persönlich genügt es, wenn es einen oder zwei Leser wirklich anspricht und bin den Verlegern dankbar, die meine Vorschläge akzeptieren, auch wenn sie nicht lukrativ sind. Josef Winklers Wenn es soweit ist ist sicherlich kein Bestseller in Slowenien, es hat jedoch gleich zwei Regisseure angesprochen – Ivica Buljan für ein Monodrama mit Marko Mandić und Matjaž Ivanišin für ein Filmdrehbuch. Das bedeutet mir viel mehr als jegliche Statistik. Und es müssen auch nicht immer viele Menschen in einem Roman vorkommen, damit er spannend ist …

von Amalija Maček

2 Responses to Für wen übersetzen wir

  1. Janko Trupej
    27. 5. 2013 at 1:26 pm

    Ich finde es wichtig, dass in Slowenien auch Übersetzungen vieler kommerziell nicht so interessanter Bücher Finanziert werden. Und ich hoffe, dass dies auch in der Zukunft so bleiben wird (obwohl leider in den letzten Jahren – wegen der Krise – immer weniger Bücher verkauft wurden).

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