Übersetzen – Einige Gedanken von Lukas Laski

11. 6. 2015

Ich wurde mit nur einem Ohr geboren, das Polnisch verstehen lernte. Je mehr es davon aufnahm, desto hellhöriger wurde es und besser geeicht auf diese Art des Hörens. Aber bevor es sich diese Sprache zur Gänze einverleiben und reifen konnte, überschritt ich eine unsichtbare, nur hörbare Grenze und mir begann ein weiteres Ohr zu wachsen, das Deutsch verstehen lernte und sich voll entwickeln durfte. Damals fing auch meine Zunge an sich zu spalten. Die eine Seite ist flink und spitz. Sie ist sehr geschickt und verspielt, dank ihr spreche ich deutsch. Die andere Seite ist unsicher und ungeschickt, doch ihr Geschmacks- und Tastsinn ist feiner. Ihre Fähigkeit zu unterscheiden und zu genießen ist ausgeprägter, dank ihr spreche ich polnisch. Häufig spielen sie miteinander oder erzählen sich allerlei Geschichten und Witze, halten zusammen und helfen sich gegenseitig, aber sie streiten auch oft und kämpfen gegeneinander. Als sich meine Zunge spaltete, verdoppelte sich meine Welt. Doppeltes Sein, doppelte Pein, bringt mir aber auch sehr viel ein. Meine Nächte sind doppelt so lang, dafür scheinen mir tagsüber zwei Sonnen. Die zwei Höllen werden durch zwei Himmel ausgeglichen. Nur weil man doppelt sieht, schielt man noch nicht. Es hat also nicht nur Nachteile, zwischen den Stühlen zu sitzen. Mit ein wenig Übung kann es sogar sehr bequem werden. Gut zusammengestellt und ein bisschen gepolstert lassen sie sich zu einer Art Sofa umfunktionieren, auf dem auch ein entspanntes Nickerchen möglich ist. Oder man benutzt sie als Schild und Waffe, poltert und schlägt zur Verteidigung mit ihnen um sich, bläst aber auch wenn nötig zum Angriff.

Da sitze ich also, mit meiner gespaltenen Zunge und meinen ungleichen Ohren auf meinen beiden Stühlen. Ist es verwunderlich, dass ich als Übersetzer arbeiten möchte? Was sollte ich den anderes machen? Weder liegt mir daran Wolkenkratzer oder Luftschlösser zu bauen, dafür gibt es genug Freiwillige, noch am Verkauf von Automobilen und Mobiltelefonen, da ich bezweifle, dass die Welt noch mehr davon braucht. Ich habe es einmal mit dem Programmieren versucht, erfolglos, obwohl es sich dabei letztlich um nichts anderes handelt als Übersetzungsarbeit. Mittels exakt formalisierter höherer Programmiersprachen wird per Quellcode einer Prozessoreinheit ein Befehl kommuniziert, der von einem Compiler in die binäre und prozessorabhängige Maschinensprache übersetzt wird. Mit einem Decompiler lässt sich die Sprache der Maschinen in eine dem Menschen verständliche rücküberführen. Aber die Themen, über die man so mit den heutigen Computern sprechen kann, sprechen mich nicht an. Darum wandte ich mich von den Maschinensprachen ab, obwohl ihre kalte Präzision faszinierend ist, und zu den Menschensprachen hin, die nicht nur mit dem Kopf und den Händen gesprochen werden.

Dann hatte ich Glück, denn ich erfuhr von einem Projekt namens TransStar, in dem nicht nur das Übersetzen, sondern zugleich der Übersetzer im Mittelpunkt steht. Meine halben Zungen und ungleichen Ohren sprachen sich ab und wir bewarben uns. Dann hatte ich noch mehr Glück, denn ich schaffte es und wurde in den Kreis derer aufgenommen, die als Teilnehmer zwischen einigen Ländern Europas hin- und herfahren konnten, um an Vorträgen, Workshops, Lesungen und Diskussionen teilzuhaben. Darum packte ich meine zwei Stühle ein und brach auf, denn zu übersetzen heißt auch immer überzusetzen. Mit Gleichgesinnten tauschte ich mich aus sowohl während der Veranstaltungen als auch bei den gemeinsamen Mahlzeiten und dem einen oder anderen Bier. Kennst du dieses Buch? Was heißt jenes in deiner Sprache? Wie würdest du das übertragen? Hast du diese oder jene Konnotation des Wortes bedacht? Fast jedes Wort legten wir auf die Goldwaage, überprüften in unseren Werkstätten jeden kleinen Bestandteil des Ganzen wie Uhrmacher, die Schritt um Schritt ihr Werk zum Ticken bringen wollen.

Also setzten wir über, Mal in jene Stadt, Mal in jenes Land, nur an einem Ort war ich bereits vorher schon gewesen, aber das machte nichts, denn ich mochte ihn von der ersten Begegnung an. Alle weiteren Orte waren mir davor bestenfalls dem Namen nach bekannt und wären es ohne dieses Projekt auch sicherlich noch lange geblieben. Aber innerhalb von drei Jahren konnte ich alle paar Monate in eine Stadt reisen, die mir entweder schon gefiel oder während des Aufenthaltes zu gefallen begann. Diese Reisen schlugen immer wieder Breschen in die Betonmauern des grauen Alltags, den die einzüngigen und symetrischen Einstühler mir vorsetzten. Doch nun neigt sich TransStar seinem Ende zu und ich muss sagen, dass selbst wenn es mir nicht gelingen sollte weiterhin zu übersetzen, selbst wenn ich jene Orte nie wieder besuchen könnte, bleibt meine Teilnahme ein Glück. Denn sie hinterließ bleibende Spuren: Meine ungleichen Ohren haben sich ein wenig angeglichen, die Stühle haben einen neuen komfortablen Bezug erhalten und meiner Zunge fällt es einfacher in eine Richtung zu zeigen. Meinen herzlichsten Dank!

von Lukas Laski und Łukasz Łaski

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