Sven Sellmer

25. 11. 2013

Sven Sellmer

Sie haben Philosophie, Indologie und klassische Philologie studiert. Warum Polnisch? Warum Literaturübersetzung?

Das hängt eng mit meiner Lebensgeschichte zusammen. 1991 kam ich als junger Student zum ersten Mal nach Polen und verliebte mich gleich in das Land und meine Frau. So begann ich Polnisch zu lernen, wohnte zeitweise in Polen, bekam irgendwann erste Übersetzungsaufträge, zuerst Fach- und Sachtexte, und wagte mich schließlich auch an literarische Werke heran, denn die zu übersetzen, macht mir einfach am meisten Spaß.

Welche Fähigkeiten erachten Sie als besonders wichtig für das literarische Übersetzen?

Eine sehr gute Beherrschung der Ausgangssprache, das ist klar. Aber mindestens genauso wichtig ist es, dass man die Zielsprache stilsicher beherrscht. Außerdem sollte man Literatur mögen, gerne lesen und schreiben, generell Freude an Sprache und am Spielen mit Sprache haben.  Eine gewisse Allgemeinbildung ist oft sehr hilfreich. Dann wären da noch Sekundärtugenden wie Selbstdisziplin (denn meist arbeitet man alleine), Bescheidenheit (denn man ist eben doch nicht der Autor) oder Genügsamkeit (in Anbetracht der finanziellen Rahmenbedingungen).

Sie haben einige Jahre in Polen gelebt und gearbeitet. Hatte der unmittelbare Kontakt mit der Ausgangssprache und -kultur einen merklich positiven oder negativen Einfluss auf Ihre übersetzerische Arbeit?

Vermutlich sowohl als auch. Einerseits fühlte ich mich im Polnischen und seinen Nuancen immer sicherer, andererseits merkte ich auch, dass ich manchmal nicht mehr so ganz genau wusste, „ob man das auf Deutsch so sagt“. Natürlich habe ich versucht, dauernd mit der deutschen Sprache in Kontakt zu bleiben, aber dennoch glaubte ich eine Art Einrosten zu verspüren. Das gab mir nicht nur als Übersetzer zu denken – ich empfinde es überhaupt oft als unangenehm, wenn lange im Ausland lebende Menschen ihre Muttersprache nicht mehr gut beherrschen.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Texte aus, die Sie übersetzen?

Im Allgemeinen habe ich nicht den Luxus, mir wie am Buffet die leckersten Häppchen aussuchen zu können. Aber generell kann ich sagen, dass ich am liebsten Texte übersetze, mit deren Rhythmus ich mitschwingen kann. Das Inhaltliche spielt natürlich auch eine Rolle, aber ich glaube, wichtiger ist für mich letztlich ein sprachliches Verwandtschaftsgefühl.

Recherchieren Sie viel, bevor Sie sich der Übersetzung eines Textes annehmen oder konzentrieren Sie sich ausschließlich auf den Ausgangstext?

Das hängt ganz vom Text ab. Bis jetzt hatte ich noch nicht den Fall, dass ich eine ganz neue Welt für mich hätte erschließen müssen, aber so etwas könnte ja durchaus vorkommen.

Als Literaturübersetzer aus einer „kleinen“ Sprache wie dem Polnischen muss man sich mitunter als organisatorischer und kultureller Allrounder auszeichnen. Wie beurteilen Sie den Umstand, dass Literaturübersetzer nicht nur übersetzen, sondern bestenfalls auch dolmetschen, moderieren und den einen oder anderen organisatorischen Faden in den Händen halten sollen?

Tja, das Berufsbild des Kleinsprachenübersetzers scheint tatsächlich immer mehr in diese Richtung zu gehen, und das muss man wohl akzeptieren. Aber ob dieser Umstand der Qualität der Übersetzungen zugute kommt, möchte ich doch eher bezweifeln, denn um wirklich gut und gründlich zu übersetzen, muss man schon soviel Zeit und Energie investieren, dass man im Normalfall eigentlich nicht mehr allzu viel von diesen Ressourcen zur Verfügung hat, um sie in der skizzierten Weise einzusetzen. Auf der anderen Seite gibt es ja durchaus Kolleginnen und Kollegen mit Show- und Organisationstalent, und dann finde ich es wiederum schön, wenn sie die Gelegenheit haben, das zu zeigen und davon zu profitieren.

Seit 2005 gibt es das Programm ViceVersa: Deutsch-Polnische Übersetzerwerkstatt. Es versammelt ein Dutzend Literaturübersetzer beider Sprachrichtungen zur intensiven Textarbeit. 2012 haben Sie die Übersetzerin Renate Schmidgall abgelöst und mit der Übersetzerin Dorota Stroińska die Werkstattleitung übernommen. Was hat Sie daran gereizt?

Diese Art von intensiver Textarbeit und Austausch mit anderen Übersetzern gehören zu den Dingen, die mir am allermeisten Spaß machen. Da spielen sicherlich sowohl meine Freude an Sprache und am Umgang mit Gleichgesinnten als auch eine gewisse Neigung zum Moderieren eine Rolle.

Neben der polnischen Sprache übersetzen Sie auch aus dem Sanskrit. Gibt es Parallelen zwischen dem Übersetzen aus dem Sanskrit und aus dem Polnischen?

Prinzipiell durchaus, aber wie groß sie sind, kommt sehr auf den Stil des Sanskrittextes an. Bei einfacher Prosa ist der Übersetzungsprozess ganz ähnlich. Aber beispielsweise in der Kunstprosa und der Lyrik treten häufig bestimmte sprachliche Strukturen auf, die es erforderlich machen, sich so weit vom Ausgangstext zu lösen, wie es bei Übersetzungen aus dem Polnischen nur selten vorkommt. Trotzdem würde ich selbst in diesem Fall – und bei aller kulturellen Distanz zwischen dem heutigen Europa und dem alten Indien –  nicht sagen, dass es sich um eine wesentlich andere Tätigkeit handelt.

 von Katharina Kowarczyk und Magda Włostowska

 

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