Die Frage nach dem Fremden in der Übersetzung oder der Strategie des „Einbürgerns“ und „Verfremdens“ ist ein zentraler Aspekt, dem schon Friedrich Schleiermacher in seinem Aufsatz „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ (In: Friedrich Schleiermachers Sämtliche Werke, 2. Band, Berlin 1838, S. 201-238) nachgegangen ist. Schleiermacher schreibt: „Soll sich der Übersetzer vorsetzen, zwei Menschen, die so ganz voneinander getrennt sind wie sein der Sprache des Schriftstellers unkundiger Sprachgenosse und der Schriftsteller selbst, diese in ein so unmittelbares Verhältnis zu bringen, wie es das eines Schriftstellers und seines ursprünglichen Lesers ist?“ (S. 215) Schleiermacher schlägt eben die zwei Wege vor, die wir heute als „Einbürgerung“ und „Verfremdung“ kennen. Entweder lässt der Übersetzer den Schriftsteller in Ruhe und bewegt den Leser dem Schriftsteller und seinem Werk entgegen (verfremdende Übersetzung) oder der Übersetzer lässt den Leser in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen. Schleiermacher sieht beide Wege als möglich an, stellt aber eine Art Rangfolge dabei auf. Er schreibt, es sei unerlässlich, einbürgernd zu übersetzen, wenn die Leser mit der Kultur und dem Umfeld, aus dem ein Text kommt, nicht vertraut seien. Wir würden heute sagen, wenn die Leser einen Text nicht kontextualisieren, nicht einordnen können. Erst wenn der Leser mit einer Kultur besser vertraut ist, könne ihm die verfremdende Übersetzung zugemutet werden.
Venuti bezieht sich in seinen Beobachtungen sehr stark auf den amerikanischen Markt. Hier haben wir es mit dem Phänomen zu tun, dass in den USA generell sehr wenig übersetzt wird. Diese geringe Menge an übersetzter Literatur führt dazu, dass der Druck auf die Übersetzer, einbürgernd zu übersetzen, sehr groß ist, denn wo wenig übersetzt wird, gibt es auch keine Kultur der Verfremdung. Wo soll das Fremde und die Gewohnheit, sich mit Fremdem auseinanderzusetzen, herkommen, wenn wenig übersetzt wird?
Für mich ist die Frage, ob man Venutis Beobachtungen für andere Länder einfach so übernehmen kann. Deutschland ist zum Beispiel ein Land, in dem sehr viel übersetzt wird. Wir haben also eine ausgeprägte Kultur der Auseinandersetzung mit dem Fremden. Wie sieht es in den anderen Ländern aus? Slowenien? Kroatien? Ukraine? Tschechien? Polen? Wie sind da die Beobachtungen? Fordert man da vielleicht sogar das Fremde, um es dem Eigenen entgegenzustellen?
von Claudia Dathe