Friedrich Schleiermacher: Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens

4. 7. 2013

Die Frage nach dem Fremden in der Übersetzung oder der Strategie des „Einbürgerns“ und „Verfremdens“ ist ein zentraler Aspekt, dem schon Friedrich Schleiermacher in seinem Aufsatz „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ (In: Friedrich Schleiermachers Sämtliche Werke, 2. Band, Berlin 1838, S. 201-238) nachgegangen ist. Schleiermacher schreibt: „Soll sich der Übersetzer vorsetzen, zwei Menschen, die so ganz voneinander getrennt sind wie sein der Sprache des Schriftstellers unkundiger Sprachgenosse und der Schriftsteller selbst, diese in ein so unmittelbares Verhältnis zu bringen, wie es das eines Schriftstellers und seines ursprünglichen Lesers ist?“  (S. 215) Schleiermacher schlägt eben die zwei Wege vor, die wir heute als „Einbürgerung“ und „Verfremdung“  kennen. Entweder lässt der Übersetzer den Schriftsteller in Ruhe und bewegt den Leser dem Schriftsteller und seinem Werk entgegen (verfremdende Übersetzung) oder der Übersetzer lässt den Leser in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen. Schleiermacher sieht beide Wege als möglich an, stellt aber eine Art Rangfolge dabei auf. Er schreibt, es sei unerlässlich, einbürgernd zu übersetzen, wenn die Leser mit der Kultur und dem Umfeld, aus dem ein Text kommt, nicht vertraut seien. Wir würden heute sagen, wenn die Leser einen Text nicht kontextualisieren, nicht einordnen können. Erst wenn der Leser mit einer Kultur besser vertraut ist, könne ihm die verfremdende Übersetzung zugemutet werden.

Venuti bezieht sich in seinen Beobachtungen sehr stark auf den amerikanischen Markt. Hier haben wir es mit dem Phänomen zu tun, dass in den USA generell sehr wenig übersetzt wird. Diese geringe Menge an übersetzter Literatur führt dazu, dass der Druck auf die Übersetzer, einbürgernd zu übersetzen, sehr groß ist, denn wo wenig übersetzt wird, gibt es auch keine Kultur der Verfremdung. Wo soll das Fremde und die Gewohnheit, sich mit Fremdem auseinanderzusetzen, herkommen, wenn wenig übersetzt wird?

Für mich ist die Frage, ob man Venutis Beobachtungen für andere Länder einfach so übernehmen kann. Deutschland ist zum Beispiel ein Land, in dem sehr viel übersetzt wird. Wir haben also eine ausgeprägte Kultur der Auseinandersetzung mit dem Fremden. Wie sieht es in den anderen Ländern aus? Slowenien? Kroatien? Ukraine? Tschechien? Polen? Wie sind da die Beobachtungen? Fordert man da vielleicht sogar das Fremde, um es dem Eigenen entgegenzustellen?

von Claudia Dathe

Übersetzen des „Fremden“

21. 6. 2013

In einigen bisherigen TransStar-Blogeinträgen wurde über das „Fremde“ geschrieben und auch zahlreiche Übersetzungswissenschaftler befassten bzw. befassen sich mit der Frage, was mit dem Fremden beim Übersetzen passiert. Lawrence Venuti stellt z.B. in seiner Monographie mit dem Titel The Translator’s Invisibility: A History of Translation (1995) fest, dass es oft zur Assimilation des Fremden kommt; die Elemente, die das Publikum in der Zielkultur als zu fremd empfinden könnte, werden „domestiziert“. Die Leser und die Leserinnen sollen also die Übersetzung so lesen können, als ob sie in der Zielsprache verfasst wäre – der Übersetzer soll „unsichtbar“ bleiben. Falls ein übersetztes Werk dem Zielpublikum zu fremd erscheint bzw. dessen Erwartungshorizont zu weit überschreitet, bleibt es nämlich oft übersehen – ist kommerziell nicht erfolgreich.

Die Shifts beim Übersetzen sind oft auch ideologisch bedingt; viele fremde Werke enthalten Ideen, die für die gegenwärtige Ge­sell­schafts­ordnung potentiell gefährlich sein könnten, deshalb werden diese beim Übersetzten zensuriert. Im Falle, dass sich z.B. das politische System ändert, können Ideen, die bisher nicht akzeptabel waren, plötzlich in übersetzten literarischen Werken erwünscht sein – und umgekehrt. Mit dieser Problematik befassen sich z.B. Venuti in The Scandals of Translation: Towards an Ethics of Difference (1998) und Nike K. Pokorn in Post-Socialist Translation Practices: Ideological Struggle in Children’s Literature (2012).

In gewissem Maße muss ich Venuti, der die Verfremdung beim Übersetzen befürwortet, zustimmen. Das Fremde in einer Übersetzung gibt dem Zielpublikum Einsichten in fremde Kulturen und kann die Leser und Leserinnen dazu anregen, dass sie noch mehr über die andere Kultur erfahren wollen. Solche Übersetzungen tragen somit zu einem größeren interkulturellen Verständnis bei und verbinden „fremde Welten“.

von Janko Trupej

Querverbindungen

13. 6. 2013

Wir befassen uns alle mit der deutschsprachigen Literatur, die so zu sagen den Kern unseres “Übersetzungssterns” bildet, aber wie es scheint, wird es durchaus zu Querverbindungen kommen, denn etwas, was in Deutschland vielleicht fremd oder unbekannt klingen mag, wird vielleicht in anderen ex-sozialistischen Ländern als etwas Vertrautes empfunden.

Ich konnte es kaum glauben, als ich den Beitrag von Claudia las – mir schien es gerade umgekehrt zu sein, denn manchmal hatte ich in Berlin den Eindruck, man “verschlinge” alles, was aus Polen oder aus der Ukraine komme und eine Zeitlang kam es mir vor, als ob ich bei jeder Veranstaltung auf den Namen “Juri Andruchowytsch” stoßen würde …  Aber vielleicht ist Berlin da eine Ausnahme im deutschsprachigen Raum.

Auch sonst habe ich mir die Ukraine immer als einen literarischen Ort vorgestellt und bin von Lemberg nach Tschernowitz eines Paul Celan und Rose Ausländer gepilgert und danach nach Kiew, vom Bahnhof fast direkt zu Bulgakows Haus. Aber es stimmt, alle drei genannten Autoren haben nicht auf Ukrainisch geschrieben und ich schäme mich, so wenig über ukrainische Autoren zu wissen.

Immer wieder fasziniert es mich, wie viel Wert die deutschen Stiftungen darauf legen, mit Hilfe von gemeinsamen Projekten Konflikten vorzubeugen, wie etwa mit dem Traduki-Projekt im südosteuropäischen Raum. Noch einmal muss ich mich schämen und ganz leise zugeben, dass ich auch viele kroatische, bosnische, serbische, rumänische oder albanische Autoren erst mit liebevoller Hilfe dieser deutschen “Brücke” kennengelernt habe.

von Amalija Maček

Die Kulturkrise und das literarische Übersetzen

10. 6. 2013

Wie in vielen anderen Ländern, hat in den letzten Jahren die Wirtschaftskrise auch in Slowenien den Bereich der Kultur maßgeblich beeinflusst. Einerseits erhalten zahlreiche Kulturprogramme wegen der Sparmaßnahmen weniger finanzielle Unterstützung vom Staat und können deshalb nur noch in beschränktem Maße – oder gar nicht mehr – durchgeführt werden, andererseits sind Ausgaben für Kultur das erste, was viele Menschen in dieser Zeit eingeschränkt haben.

Man kann also auch von einer Kulturkrise sprechen. Der Büchermarkt ist keine Ausnahme; laut dem Statistischem Amt der Republik Slowenien sind die Verkaufszahlen zwischen 2008 und 2011 um ein Drittel gefallen. Wie schon Amalija Maček in ihrem Beitrag mit dem Titel Für wen übersetzen wir feststellt, erreichen in Slowenien in der Regel Kinderbücher und internationale Bestseller die höchsten Verkaufszahlen, und deshalb entscheiden sich Verleger vor allem für Übersetzungen solcher Bücher. Übersetzungen vieler kommerziell weniger interessanter Bücher werden zwar seitens der slowenischen Buchagentur (JAK) mitfinanziert, aber auch diese Agentur wird vom Staat nicht im gleichen Umfang wie vor der Wirtschaftskrise finanziell unterstützt.

Weil es viel preiswerter ist, alte Übersetzungen einfach nachzudrucken, wurden zahlreiche Klassiker der Weltliteratur schon seit Jahrzehnten nicht neu übersetzt; darunter sind auch Werke, von denen man sagen könnte, dass sie aus verschiedenen Gründen nach einer Neuübersetzung regelrecht schreien. Solche Neuauflagen waren zwar schon vor der Krise die Praxis, aber wegen der jetzigen Umstände wird es noch unwahrscheinlicher, dass Neuübersetzungen in Auftrag gegeben werden. Deshalb hoffe ich, dass die Wirtschafts- bzw. Kulturkrise nicht mehr lange andauert und dass damit auch für das literarische Übersetzen schon bald bessere Tage kommen.

von Janko Trupej

Das Fremde

29. 5. 2013

Zugegeben – ich beschäftige mich erst seit kurzem mit literarischer Übersetzung. Und trotzdem ist mir schon oft die Diskussion über den Umgang mit dem ”Fremden” im Text untergekommen. Das Fremde im Originaltext solle für Leserinnen und Leser der Übersetzung verständlich gemacht werden. Verständlich soll es werden, zumindest nachvollziehbar, aber nicht zu gewöhnlich, immer noch fremd anmutend.

Wie vor mir Claudia Dathe und Amalija Maček stelle ich mir Fragen. Ich frage mich, ob nicht jeder Text etwas Fremdes in sich hat? Ist den deutschsprachigen Leserinnen und Lesern Marlene Haushofers Die Wand wirklich vertrauter als den slowenischen?

Ein zweiter Aspekt interessiert mich im Zusammenhang mit dem Fremden. Was ist, wenn ein Text im Original ein Thema behandelt, das dem Lesepublikum des Originaltextes fremd ist, jenem der Übersetzung aber bekannt wäre? Ich denke da etwa an den Comic von Igort Quaderni ucraini, an den Roman What is told von Askold Melnyczuk oder an selbst verfasste Texte, die viel mit der Ukraine zu tun haben. Was würde da mit dem Fremden in der Übersetzung passieren? Finden es Leserinnen und Leser in solchen Fällen befremdlich, wenn andere über das „Eigene“ schreiben?

von Nina Hawrylow

Die slowenischen und die deutschen Leser

27. 5. 2013

Genauso wie die meisten Autorinnen und Autoren überlegen wir Übersetzerinnen und Übersetzer, wer die Bücher liest, die wir übersetzen. Ich bin ebenso wie Amalija Maček mit der Tatsache konfrontiert, dass die Bücher, die ich aus dem Ukrainischen ins Deutsche übersetze, wenige Menschen lesen. Wenn ich mit anderen Menschen über mein Übersetzen aus dem Ukrainischen ins Gespräch komme, sehe ich mich Fragen gegenüber wie: „Ist denn Ukrainisch überhaupt eine eigene Sprache?“ oder „Gab es Ukrainisch auch schon vor 1989?“ Es geht also nicht darum, dass man bestimmte Autorinnen oder Autoren nicht kennt, sondern dass man die Ukraine in Deutschland häufig nicht einmal als etwas kulturell und gesellschaftlich Eigenständiges wahrnimmt. Und dieser fehlende Hintergrund macht es Verlagen und Veranstaltern, aber auch dem einzelnen Übersetzer sehr schwer, die ukrainische Literatur und die Autoren in das deutschsprachige Lesegefüge einzubinden, obwohl sehr viel Literatur übersetzt wird.

Dieses Phänomen trifft auf Deutschland und die deutschsprachige Literatur in Slowenien gewiss nicht zu. Wie sehen denn nun die Leser von Marlene Haushofer in Slowenien aus? Sind es Menschen, die sich in ihrem Arbeitsalltag mit Deutschland beschäftigen? Oder solche, die Interesse an ungewöhnlichen Ideen haben? Sind es Menschen, die sich gern in andere Vorstellungswelten und irritierende Atmosphären hinein nehmen lassen? Ich jedenfalls habe Marlene Haushofers Die Wand mit großer innerer Spannung gelesen: Eine Frau, die auf einem abgelegenen Hof in den Bergen durch eine Wand plötzlich der Möglichkeit beraubt wird, in die Zivilisation zurückzukehren – eine aufregende und erschreckende Vorstellung zugleich, ein Erlebnisraum, den man in der Wirklichkeit nicht findet, sehr wohl aber in der Literatur.

von Claudia Dathe

Für wen übersetzen wir

20. 5. 2013

Neulich erzählte ich bei einem Familienfest überglücklich von meinem aktuellen Übersetzungsprojekt, Marlen Haushofers Die Wand. Entzückt sprach ich davon, dass in diesem Buch nur eine Frau, ein Hund, eine Kuh, ein Stier und einige Katzen vorkämen. Da fragte meine Schwester: »Wer liest denn sowas?«

Es ist eine berechtigte Frage. Schaut man sich die Statistik der slowenischen Buchagentur JAK an, werden in Slowenien meist Kinder-, Kochbücher und sonstige Ratgeber ausgeliehen oder gekauft. Es folgen Bestseller wie Harry Potter, Fifty Shades of Gray usw. Die Klassiker bleiben weit hinten. Von den 5,6 Millionen ausgeliehener Titel bei 2 Millionen Einwohner wurden meine Übersetzungen in 2012 nur ungf. 8.000-mal mit nach Hause genommen. Für mich ist das trotzdem viel. Es ist unheimlich, sich vorzustellen, diese 8.000 Personen würden alle auf einmal vor mir stehen. Aber sie hatten alle ein Buch von mir in der Hand. Einige davon sind Kinderbücher, aber hoffentlich hat auch jemand nach T. Moras Alle Tage oder nach Kafkas Briefe an Milena gegriffen und die Lektüre genossen.

Beim Übersetzen denke ich nicht an die Quantität der Leser, sondern vielleicht an die eine oder andere konkrete Person, der ich die Übersetzung insgeheim widme und das erschienene Buch schenke. Ja, es ist ein großer verlegerischer Aufwand und Risiko, ein selten  gelesenes Werk herauszubringen, aber mir persönlich genügt es, wenn es einen oder zwei Leser wirklich anspricht und bin den Verlegern dankbar, die meine Vorschläge akzeptieren, auch wenn sie nicht lukrativ sind. Josef Winklers Wenn es soweit ist ist sicherlich kein Bestseller in Slowenien, es hat jedoch gleich zwei Regisseure angesprochen – Ivica Buljan für ein Monodrama mit Marko Mandić und Matjaž Ivanišin für ein Filmdrehbuch. Das bedeutet mir viel mehr als jegliche Statistik. Und es müssen auch nicht immer viele Menschen in einem Roman vorkommen, damit er spannend ist …

von Amalija Maček

Esther Kinsky: Fremdsprechen

6. 5. 2013

Esther Kinsky: Fremdsprechen

„Gedanken zum Übersetzen“ lautet der Untertitel zu Esther Kinskys Essay „Fremdsprechen“ – sie hat Gedanken in Worte gefasst, die sie seit vielen Jahren im Prozess des Übersetzens begleiten. Sie fasst das Übersetzen als einen Vorgang, in dem das Was – also der Inhalt eines zu übersetzenden Textes – hinter das Wie – Wie ist etwas gesagt? Wie verbindet es sich zu einem Ganzen? – zurücktritt.

„Ich halte nicht viel von der Betonung der Rolle des Übersetzers als ‚Brückenbauer‘ und Kulturvermittler. Der Übersetzer ist kein Fremdenführer, auch wenn die Fremde sein Gegenstand ist“, schreibt sie im Vorwort. Das Vermitteln von Kultur durch Texte – ist es nicht das, was uns dazu bringt, Texte zu übersetzen? Ist es nicht gerade der Wunsch, für andere Alltagsbegebenheiten, historische Ereignisse, Hintergründe, Motivationen sichtbar zu machen, die ohne die Übersetzung unsichtbar blieben? Ist es nicht die Freude, etwas über andere Lebensbereiche zu erzählen – nur eben nicht mit eigenen Worten, sondern durch die Übersetzung von Texten.

von Claudia Dathe

 

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