Leipziger Buchmesse – Eindrücke von den Gastländern

19. 3. 2014

Die Leipziger Buchmesse stand in diesem Jahr unter zwei großen Schwerpunkten: da gab es zum einen den Auftritt des neuen Gastlandes Schweiz und zum anderen den auslaufenden Schwerpunkt Tranzyt: Literatur aus Polen, der Ukraine und Belarus. Die Schweiz war mit einem riesigen Aufgebot an Büchern und Autoren angereist. An einem schier unüberschaubaren Büchertisch konnte man Klassiker und Neuerscheinungen, Kinderbücher und kunstvolle Bildbände durchblättern und sich ab und an mit einem Stück Schweizer Schokolade stärken. Ganz Leipzig schien zuplakatiert mit Werbung für das Bücher- und Reiseland Schweiz, in der Messestraßenbahn wurde man auf Schweizer Deutsch begrüßt.

Die Stände von Polen, der Ukraine und Belarus nahmen sich dagegen sehr bescheiden aus. Das Lemberger Buchforum hatte einen kleinen Stand, an dem insgesamt nicht mehr als 50 Bücher ausgestellt waren, die größte Fläche wurde von einem riesigen Poster eingenommen, das die „Himmlischen Hundert“, die hundert während der Unruhen um den Sturz von Wiktor Janukowytsch umgekommen Ukrainer zeigte. Trotz der materiell so ungleich spärlicheren Ausstattung war die Tranzyt-Ecke in der Messehalle 4 das Herz der Medien- und Publikumsbewegung auf der diesjährigen Messe. Autoren, Historiker und Aktivisten aus den drei beteiligten Ländern stellten die Literatur und die gesellschaftlichen Entwicklungen in den drei Ländern vor und versuchten Antwort auf die Frage zu finden, was in den letzten drei Monaten in der Ukraine passiert ist und wie die Entwicklungen um den Sturz von Wiktor Janukowytsch und die Invasion Putins auf der Krim die politische und gesellschaftliche Gegenwart Europas in der nächsten Zeit verändern wird.

Der Lemberger Historiker Yaroslav Hrytsak betonte in einem Interview, in der Majdan-Bewegung gehe es vor allem um die Erringung zivilgesellschaftlicher Rechte und Freiheiten, daher auch die Bezeichnung „Revolution der Würde“. Die Spaltung in Ost und West, wie sie von Politikern und Medien so gern beschworen wird, dient nur dem Stimmenfang und bildet die Wirklichkeit im Land heute nicht mehr ab. Die Revolution auf dem Majdan spricht Ukrainisch und Russisch. Es gehe vielmehr darum, eine Gesellschaft mit neuen Werten wie Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit aufzubauen, so Hrytsak. Der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch befüchtet, Putin könnte in den nächsten Wochen die gesamte Ukraine überrennen und versuchen in den Bestand der Russischen Föderation einzugliedern. Beide ukrainischen Intellektuellen sind sich sicher, dass die meisten Politiker, Wissenschaftler, Medienvertreter und anderen Menschen in Europa Putin in seinem eiskalten Machtkalkül unterschätzen. Welche Auswirkungen das für Europa haben wird, bleibt abzuwarten.

Neben den Stimmen zur politischen Lage kamen die Autoren aber auch als Künstler zu Wort. So las unter anderem die Kiewer Lyrikern Kateryna Babkina aus ihren Gedichten, zur Tranzyt-Nacht präsentieren Natalka Sniadanko und Mariana Sadowska ein tolles musikalisch-literarisches Programm mit Texten zur ukrainischen Arbeitsmigration und polyphonen Chansons. Besonders beeindruckend war die Lesung der belarussischen Lyrikerin Vera Burlak, die mit ihrem imposanten Vortrag, in dem sie verschiedene Stimmen imitierte, die Lesebühne und alle umliegenden Stände in ihren Bann zog.

Hier finden Sie einige Fotos.

Literarische Szene in der Ukraine 2013

17. 2. 2014

Zweifellos ist der Euromaidan zu den zentralen gesellschaftlichen und politischen Ereignissen des Jahres 2013 in der Ukraine geworden. Der Maidan ist ein sehr vielfältiges Phänomen. Hier möchte ich vermeiden, die politischen Fragen anzugehen. Hingegen richte ich meinen Blick auf die kulturelle Seite dieses Phänomens. Der Maidan ist zu einer Art künstlerischer Plattform geworden, die Studenten, Aktivisten, Schriftsteller, Intellektuelle und Künstler verknüpft. In seinem Rahmen wurde eine „Freie Universität“ gegründet, bei der Vorträge, Ausstellungen, Filmdarbietungen, Bücheraustausch, Lesungen und Diskussionen stattfinden. Hier schreibt man Gedichte, malt Bilder, macht Photos und Performances, veranstaltet Workshops, spielt Klavier und singt ukrainische Lieder. Es wurde freies Fernsehen und Rundfunk geschaffen, die Live-Sendungen übertragen und von den Zuschauern und Zuhörern finanziert werden.

Die Intellektuellen sind nicht nur physisch auf dem Maidan präsent, sondern erstellen auch ständig Berichte, Artikel und Ansprachen über die aktuelle Situation in der Ukraine. Juri Andruchowytsch verfasste einen offenen Brief „an alle Europäer”, Serhij Zhadan den Text „Die ukrainische Revolution im Stellungskrieg”, die sowohl in der Ukraine, als auch im Ausland von großer Bedeutung sind, weil sie zur Klärung und zum Verständnis der Situation beitragen.

Zu diesem Zweck werden auch Projekte im Ausland entwickelt. In der OKK Gallery Berlin wurde neulich die Fotoausstellung „EUROMAIDAN – Besetzte Räume“ von ukrainischer Künstlerin Yevgenia Belorusets eröffnet. Als Teil der Ausstellung wurde ein Film über Euromaidan Proteste von Dmitriy Tiazhlov präsentiert.

Im März erscheint das internationale Projekt „Majdan! Ukraine, Europa“ von Claudia Dathe und Andreas Rostek. Der Sammelband enthält Beiträge von ukrainischen und westeuropäischen Intellektuellen zur aktuellen politischen Situation in der Ukraine. Er enthält Texte von Juri Andruchowytsch, Elmar Brok, Laryssa Denysenko, Orlando Figes, Jörg Forbrig, Rebecca Harms, Jaroslav Hrytsak, Tamara Hundorowa, Halyna Kruk, Maxym Kidruk, Adam Michnik, Timothy Snyder, Martin Pollack, Taras Prochasko, Konrad Schuller, Natalka Sniadanko, Andrzej Stasiuk und Serhij Zhadan.

Die Grenzen vom Maidan übergreifend lassen sich folgende Ereignisse im kulturellen Leben in der Ukraine erwähnen: Im Jahr 2013 fanden schon traditionelle Kulturfestivals, wie Lemberger Buchforum, Meridian Czernowitz, Arsenal Bücherfestival und Gogolfest statt.

Zum wichtigen Ereignis wurde die Verleihung des Literaturpreises „Angelus“ an Oksana Sabuschko für den Roman „Museum der vergessenen Geheimnisse“.

Der Preis „Buch des Jahres“ der BBC wurde an Jaroslaw Melnyk für das Buch „Dalekyi prostir“ und der Preis „Kinderbuch des Jahres“ der BBC wurde an Marjana und Taras Prochasko für das Buch „Hto zrobyt snig“ verliehen.

2013 war auch ein publikationsreiches Jahr. Es wurden die Bildbände „Malevich“, „Sergei Paradschanow. Kollage. Cuvee. Objekt“ und der Lyrikband „Pjatyknyzzja“ von Hryhorij Czubaj herausgegeben. Der Band hat sich zu einem großen Projekt entwickelt. Er schließt Videokunst, Theaterperformances, Musik, Malerei und Installationen mit ein. Außerdem wurden die Anthologie der Frauenprosa „Z nepokrytoju golovoju“ von Vira Agejeva und die Bücherreihe „Ukrainische poetische Anthologie“ publiziert. Die letztere enthält Sammelbände von Lina Kostenko, Mykola Vingranovskyi, Jurij Andruchowytsch, Nazar Hontschar, Ivan und Taras Malkovych, Attyla Mogylnyj, Jurij Pozajak, Viktor Neborak und Taras Melnytschuk.

Zu meiner persönlichen Favoritenliste des Jahres 2013 gehören die Romane „Odnoji i toji samoji“ von Taras Prochasko, „Frau Müller ne nalaschtovana platyty bilsche“ von Natalka Sniadanko, „Sonja“ von Kateryna Babkina, „Mesopotamien“ von Serhij Zhadan, der Lyrikband „Pislja prozy“ von Juri Izdryk und das interaktive Projekt „Istoriji mojih zhinok“ von Irena Karpa.

 von Olga-Daryna Drachuk

 Quellen:

http://www.chytomo.com/

http://bookforum.ua/

http://www.translit-portal.de/majdan-ukraine-europa/

Netzwerktreffen in Krakau: Überlegungen zum Thema “Literatur live übersetzen”

5. 2. 2014

In ihrem Dialog mit dem Titel „Literatur live übersetzen“ widmeten sich Dorota Stroińska (Berlin) und Jurko Prochasko (Lwiw) dem Problem, einen alten Text, einen Klassiker der Weltliteratur hier und heute zu übersetzen. Anhand von Goethes „Wahlverwandtschaften“ (erschienen 1809) wurde dieser Problematik „live“ nachgespürt, wobei die Ausgangssituationen für beide Übersetzer jeweils andere waren: Während es bereits eine Übersetzung ins Polnische gibt (von Wanda Markowska aus dem Jahr 1959), entbehrt der ukrainische Buchmarkt bis heute einer Übersetzung ins Ukrainische. Es stellten sich hier sofort die Fragen: Inwieweit kann ein 200 Jahre altes Buch heute angemessen übersetzt werden? Und ist eine Neuübersetzung überhaupt nötig?

Liegt bereits eine Übersetzung vor, bestenfalls eine „authentische“, in etwa so alt wie der Originaltext, so bietet diese bereits sprachliche Ressourcen, aus denen ein Übersetzer schöpfen kann; er ist in der Lage, seine eigene Leseweise vor dem Hintergrund einer anderen, bereits länger existierenden, zu reflektieren und bei Problemen einen vorhandenen Lösungsansatz zu überprüfen. Im Falle der Übersetzung von Wanda Markowska handelt es sich um einen zwar nicht authentischen, dennoch älteren Text, vor einem halben Jahrhundert verfasst. Auch wenn es alles andere als angebracht wäre, Goethes „Wahlverwandtschaften“ in einer deutlich erkennbaren modernen Sprache zu übersetzen, so merkt man selbst einem neutral formulierten Text sein Alter an. Doch nicht nur aus diesem Grund wird eine Neuübersetzung sinnvoll oder gar nötig, wenn es sich um einen bedeutenden Klassiker handelt. Neben der alternden Sprache einer Übersetzung ist die Motivation des Übersetzers von Bedeutung. Woran liegt ihm besonders bei seinem Text? Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass Markowskas Text kürzer ist als Goethes Vorlage, als exemplarisch hierfür wird der erste Satz betrachtet: Goethe beschreibt detailliert den Veredelungsprozess junger Bäume, den Baron Eduard vornimmt („frisch erhaltene Pfropfreiser auf junge Stämme … bringen“), was Markowska nur ungenau mit den Worten „szczepiąc drzewka“ (Bäumchen pfropfend) zusammenfasst. Dadurch lasse sich der Text zwar gut lesen, nehme dem Leser aber die Möglichkeit der mehrfachen Deutung, so Stroińska. Bereits der erste Satz enthalte in seiner Detailliertheit bereits das Thema des gesamten Buches, nehme die Handlung vorweg. Indem die Baumzweige mit den Protagonisten des Romans gleichgesetzt würden, entstehe eine Ebene zwischen den Zeilen, die nicht nur erkannt, sondern auch entsprechend übersetzt werden müsse. Einmal mehr fällt in diesem Zusammenhang der Begriff des Taktgefühls gegenüber dem Ausgangstext. Die Tatsache der fehlenden Metaebene bei Markowska lässt darauf schließen, dass ihre Übersetzung nicht Anspruch auf „Wahrheitsgehalt“ (nach Walter Benjamin) erhebt, vielmehr geht es darum, dem Leser eine angenehme Goethe-Lektüre zu bereiten. Somit sei auch Markowskas Übersetzung ein Kind ihrer Zeit, so Stroińska. Heute sei man sensibler dem Ausgangstext gegenüber, neue Leseweisen eröffneten neue Bedeutungsschichten bei der Lektüre, und so seien Neuübersetzungen auch unbedingt als Chance zu sehen, Neues zu schaffen, um den neuen Leser zu erreichen. Ein Klassiker muss der Zeit nicht angepasst werden, seine Übersetzung sehr wohl, immer wieder.

Was aber, wenn es noch keine Übersetzung gibt? Eine bis heute fehlende Übersetzung der „Wahlverwandtschaften“, dieses Werkes der Weltliteratur ins Ukrainische – so skandalös sie auch ist, so sehr ist auch sie als Chance zu verstehen. Über die Bereicherung, die dem ukrainischen Lesepublikum durch die Übersetzung der „Wahlverwandtschaften“ zuteil wird, muss nicht viel gesagt werden. Als Kind ihrer Zeit  hätte diese Übersetzung Pioniercharakter, stehen doch keine sprachlichen Ressourcen zur Verfügung. Jurko Prochasko hat erste Schritte getan und seine Übersetzung des Romananfangs vergleichend mit der Markowskas zur Diskussion gestellt, woraus sich ein interessanter Dialog über Konventionen und Assoziationen in den Zielsprachen, ebenso über den Umgang mit alter Sprache beim Übersetzen entwickelte, um wieder zu der Feststellung zurückzukehren, dass jede der vorgestellten Übersetzungen ihre unbedingte Berechtigung hat. Schlagwörter wie Sensibilität und Taktgefühl dem Ausgangstext gegenüber einerseits, und die Position des Übersetzers andererseits wurden anschaulich „live“ diskutiert, eine Veranstaltung mit nachhaltigem Charakter.

von Daniela Pusch 


Krakau-Eindrücke

4. 2. 2014

Seit unserem Netzwerktreffen in Krakau sind schon zwei Wochen vergangen, trotzdem bleiben die Erinnerungen an diese Tage frisch und wunderschön. Das Erste, was mir aufgefallen ist, war die organisatorische Seite: die Unterkunft in einem erstklassigen Hotel; die ausführliche Information über alle Veranstaltungsorte sowie auch ihre Adressen, Zufahrtmöglichkeiten und Karten; der von einer deutschen (nicht einheimischen!) Praktikantin voller Begeisterung durchgeführte Stadtrundgang und alle schönen Restaurants und Cafés mit dem köstlichen polnischen Essen. Kurz und bündig: die Organisatoren haben ihr Bestes getan, damit wir uns wohl fühlen und den Sinn des in den Programmteilen Gehörten und Gesehenen gut einprägen können.

Und man muss gestehen, dass es in Krakau wirklich viel zu sehen, zu hören, zu erfahren und zu erleben gab. Schon am ersten Tag waren die Veranstaltungen sehr intensiv und informativ. Unter der Moderation der wortgewandten Schamma Schahadat und drei erfahrenen Kulturmanagerinnen haben wir in der „Einführung in das Kulturmanagement“ viele praktische Tipps bekommen, die für uns als zukünftige Übersetzer von großem Nutzen sein können. Wie sollen das Portfolio des Schriftstellers oder das Exposé des Buches aussehen, wie viele Seiten muss die Probeübersetzung  umfassen, nach welchen Kriterien sollen die Übersetzer sich die Verlage oder Literaturagenturen aussuchen und wie man mit denen zusammenarbeiten soll – diese und viele andere Themen sind zum Gegenstand der Besprechung in der tollen Villa Decius geworden. Daraufhin sahen wir uns den modernen polnischen Film „View of Krakow“ an. An der Spitze des ersten Tages stand aber natürlich das Gespräch mit Yoko Tawada und ihren Übersetzerinnen: „Yoko Tawada: Wo Europa anfängt“. Erfahrungsreiche Aussagen der Schriftstellerin über das Leben zwischen zwei Kulturen, atemberaubende Passagen aus den gelesenen Büchern, wahre Übersetzungsprobleme, die zur Diskussion standen – dies und vieles mehr bleibt für immer in meiner Erinnerung.

Der Beginn des zweiten Tages war nicht weniger informationsreich. Aus den drei uns vorgeschlagenen Workshops habe ich zuerst den mit dem provokativen Titel „Der Übersetzer tritt aus dem Schatten heraus, er kommt aus dem Schrank und Keller“ ausgewählt. Und ich habe es nicht bereut, da Iwona Nowacka uns gezeigt hat, dass der Übersetzer nicht immer unsichtbar sein sollte, vielmehr soll er in der Öffentlichkeit auftreten, eigene PR-Strategien einsetzen und der Kurator eigener Ideen werden. Aus eigener Erfahrung hat sie uns diesen komplizierten aber auch sehr abwechslungsreichen und interessanten Weg gezeigt, damit wir dem berühmten Zitat „Übersetzen ist ein Tanz. Ich tanze mit dem Autor, er führt“ wirklich Glauben schenken konnten. Der zweite Workshop jenes Vormittags hieß „Übersetzer und Zeitschriftenverleger im Team“. Der Herausgeber des „Schreibhefts“ Norbert Wehr und die Übersetzerin Alida Bremer unter der Moderation von Schamma Schahadat haben ihre Erfahrungen im Bereich des Kulturmanagements, der Zusammenarbeit zwischen dem Verleger und Übersetzer, der Rolle des Übersetzers als Vermittler zwischen zwei Kulturen ausgetauscht. Es war aufschlussreich ihnen zuzuhören und ihre Erfahrung zur Kenntnis zu nehmen.

Den Nachmittag des zweiten Tages haben wir im Goethe-Institut Krakau verbracht. Nach dem Vortrag eines polnischen Übersetzers über große und kleine Sprachen begann dort etwas wirklich Spannendes stattzufinden. Sowohl das Gespräch zwischen Jurko Prochasko und Dorota Stroińska über die Übersetzung von Goethes „Wahlverwandschaften“ im Rahmen der Werkstatt „Gesucht und gefunden: Literatur live übersetzen“ als auch „Gemogeltes: Dinge, die es anderswo nicht gibt“ haben großes Interesse bei allen Teilnehmern und Organisatoren geweckt. Schade war, dass ich beiden Veranstaltungen nicht beiwohnen konnte. Besonders der letzterwähnte Workshop war populär, weil die Teilnehmer ihn selbst vorbereitet und präsentiert haben. Zu einem Höhepunkt des zweiten Tages ist das Treffen mit Ulrike Almut Sandig geworden, die zusammen mit Marlen Pelny ihre „Dichtung für Freunde der Popmusik“ vorgestellt hat. Schon mit den ersten Tönen ihrer Musik und Gedichte sind wir in die geheimnisvolle Welt der Dichtung der deutschen Schriftstellerin eingetaucht.

Den Vormittag des dritten Tages haben wir sehr interaktiv verbracht, da wir in der Gruppenarbeit „Gutachten für Verlage“ zusammenstellen sollten. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, haben wir zahlreiche Ratschläge von erfahrenen Übersetzerinnen bekommen und einige Beispiele von Gutachten besprochen. Danach begann unsere Arbeit, in meinem Fall, in der deutsch-ukrainischen und ukrainisch-deutschen Gruppe. Ich muss gestehen, dass dieser Teil einer der spannendsten, interessantesten und einfach der besten Teile unseres Netzwerktreffens war. Die Arbeit in unserer Gruppe und das daraus entstandene Gutachten war niveauvoll und hat das Lob unserer Werkstattleiterin Kristina Kallert berechtigt verdient. Am Nachmittag hatten wir die Möglichkeit der Lesung „Neue deutsche Prosa, frisch übersetzt“ zuzuhören. Diese Veranstaltung war vor allem deswegen interessant, weil unsere KollegInnen aus dem Projekt „TransStar Europa“ ihre Übersetzungen vorgelesen und präsentiert haben. Somit konnten sie in der Praxis lernen, wie die kulturvermittelnden Techniken eines Übersetzers bzw. einer Übersetzerin funktionieren. Und die anderen Teilnehmer des Projekts hatten wiederum die Möglichkeit,  Erfahrungen zu sammeln. Den letzten Abend haben wir in einem ungewöhnlichen Café verbracht, wo „Lesung und Gespräch: Sylwia Chutnik „Dzidzia“ mit dem Übersetzerinnentandem Magda Wlostowska und Sofia Zucharska“ stattgefunden hat. Auch dieser Literaturabend mit den zahlreichen für die Zuhörer und Leser komplizierten Themen war ganz spannend und lehrreich.

Abschließend möchte ich sagen, dass unser Netzwerktreffen in Krakau auf  höchstem Niveau verlaufen ist. Solche Treffen geben den ÜbersetzerInnen Mut und Motivation in diesem Bereich weiter zu arbeiten und sich nicht als einen grauen Herrn am Computer (diejenigen, die den Workshop von Iwona Nowacka besucht haben, werden mich verstehen) anzusehen, sondern als ein berechtigtes Mitglied des Tanzes mit einem Schriftsteller.

von Julija Mykytyuk

 

 

 

Notizen aus der Werkstatt: Im Hrabal-Kabuff

23. 1. 2014

Martin Mutschler: Im Hrabal-Kabuff

Bohumil Hrabals Erzählung „Zauberflöte“ (Kouzelná flétna) ist ein berüchtigter Text. Hrabals ganzes Werk ist voller Anspielungen auf Selbstmorde aller Arten, auf berühmte Vorgänger, die sich suizidieren konnten (oder nur wollten), doch war es dieser kurze, erst 1989 entstandene Text, der beim Tod des Autors 1997 immer wieder zitiert wurde, denn dort ist explizit vom Sprung aus dem fünften Stock die Rede. Auch Hrabals Zimmer im Prager Bulovka-Krankenhaus befand sich im fünften Stock, er hatte nicht darum gebeten. Ist er also gesprungen oder fiel er beim Taubenfüttern (wie bis heute immer wieder erklärt wurde)? Vieles deutet auf einen Sprung, und wütend verwarf Susanna Roth, seine langjährige Übersetzerin, anderweitige Verharm-losungen: Hrabal habe nicht mehr leben wollen!

Warum ich so weit aushole, um über ein scheinbar kleines Übersetzungs-problem zu berichten (auf das ich in einem Seminar zum literarischen Übersetzen gestoßen bin)? Weil in dem Text des über 70jährigen Autors soviel Weltschmerz steckt, will heißen, soviel Schmerz an der Welt. Der erste Satz benennt sie gleich, diese Verwundung – will heißen, Wundheit – am Rande der Depression:

Manchmal wenn ich aufstehe, wenn ich aus der Ohnmacht wiedererwache, schmerzt mich das ganze Zimmer, mein ganzes Kabuff, schmerzt mich der Blick aus dem Fenster, Kinder gehen in die Schule, Leute gehen einkaufen, jeder weiß, wohin er gehen soll, nur ich wüßte nicht, wohin…

Das tschechische Original ist noch knapper gefaßt:

Někdy, když vstanu, když procitám z mrákot, bolí mi celá místnost, celá má cimra, bolí mi pohled z okna, děti jdou do školy, lidé jdou nakupovat, každý ví kam má jít, jen já nevím kam bych šel…

Hrabals Stand als Schriftsteller des Volkes, der kleinen Leute, der Stammgäste „Zum Goldenen Tiger“ (U zlatého tygra) in Prag läßt leicht vergessen, daß seine Texte eine eigene poetische Wirkkraft haben, daß er wie kaum ein anderer die tschechische Sprache hat klingen lassen durch einen Erzählstrom, den man beim Übersetzen bewahren muß. Dieser Strom wurzelt im „Bafeln“ (pábení) der einfachen Leute, im Erfassen der Welt mittels dieses ungefilterten Sprechens. Aus diesem längst legendär gewordenen Erzählen gewann Hrabal seine Inspiration, man darf aber nicht außer Acht lassen, daß seine Texte Destillate dieser Sprechform sind, kunstvoll gewobene Teppiche.

Der fast lakonische Beginn dieser Erzählung, die Hrabal nach der Samtenen Revolution in die Sammlung „Novembersturm“ (Listopadový uragán) aufgenommen hat, steht dazu in keinem Widerspruch, Hrabals vermeintlicher Redseligkeit zum Trotz sind die Worte wohlgewählt. Umso mehr fällt dann eine Wendung ins Auge, die fast einer Wieder-holung gleichkommt: „celá ma cimra“ („mein ganzes Zimmer“) als Ergänzung zum vorigen „bolí mi celá místnost“ („es schmerzt mich der ganze Raum/das ganze Zimmer“). Sie fungiert in erster Linie als Verstärkung oder als Korrektur: als wollte der Erzähler sagen, daß das gewöhnliche, sachliche „místnost“ nicht ausreicht, daß ein anderer Begriff her muß, um seine Lebensbedingungen zu beschreiben, sein Elend zu benennen. Also wählt er den Germanismus „cimra“, den wir freilich im Deutschen nicht mit dem ebenfalls neutralen „Zimmer“ wiedergeben können (zumal sonst leicht eine unschöne Doppelung eintritt). Wie viele Germanismen im Tschechischen gehört es dem Slang an, der Straße, ergo dem Privaten. Das Slovník Spisovného Jazyka Českého, eines der Standardwörterbücher, weist auf seine Verwendung für Amts- oder Gefängnisstube hin; „vojáci na cimře“ – „die Soldaten auf der Stube“, so ein Beispiel.

Ich habe mich dennoch für das saloppe „Kabuff“ entschieden, denn wo eine Amtsstube unwohnlich, zweckdienlich, kalt ist, erwehrt sich auch das deutsche „Kabuff“ alles Heimeligen, Wärmenden. Es ist das Zuhause eines vor sich selbst im Spiegel erschreckenden Erzählers, eines in der Menge der auf und abfahrenden Rolltreppen Verlorenen, eines Mannes, der nur noch von seinen Kätzchen am Leben gehalten wird, die er füttern geht weit hinter Prag (so weitere Schlaglichter des Textes).

Auch Hrabal fuhr, über Jahrzehnte bald, hinaus in die Waldsiedlung Kersko, wo viele seiner Texte entstanden. Der Erzähler ist eine fiktive Figur, doch hier wird sie fast vollständig überblendet von Hrabal, dem Menschen. Und der eine ruft dem anderen geradezu herausfordernd zu: „Hrabal, Hrabal, Bohumil Hrabal, so hast du dich ganz besiegt“.

„Celá ma cimra“ hat im Tschechischen eine klangliche Qualität, die das Deutsche freilich nicht einholen kann. Allerdings meine ich, daß das schnoddrige „Kabuff“ mit seiner hüpfenden Endsilbe dem geglätteten Text eine Spitze zurückschenkt. Daher meine Wahl: In Hrabals später Welt müssen auch die Wörter schmerzen. 1989 ist Hrabals Ehefrau schon zwei Jahre tot, auch die alten Freunde… Es sind ihm wirklich nur die Kätzchen geblieben.

Kaetzchen_Blog„Die Zauberflöte“ ist in der Übersetzung Susanna Roths als Einzelausgabe im Suhrkamp Verlag erschienen.

Notizen aus der Werkstatt: Die Kombipretation der Dinge

22. 1. 2014

Daniela Pusch: Die Kombipretation der Dinge

Übersetzerarbeit ist Detektivarbeit. Um einen Fall zu lösen, spürt man ihm nach, man überprüft und verfolgt den Sachverhalt zurück bis zu dem Punkt, von dem alles ausgeht, um die Zusammenhänge und schließlich das große Ganze zu verstehen. Dabei helfen die Fragen, und ein echter Detektiv wird nie müde, sie zu stellen. Der Sachverhalt, der dem Übersetzer vorliegt, ist der Ausgangstext, den es nun also zu entschlüsseln gilt. Ist der Text gelesen, kommen die Fragen an die Reihe: Wer? Was? Wann? Wo? Und warum? Mit wem? Wichtig auch – die Frage nach dem Kontext, und auch hier gibt es viele Ansätze: Wer schrieb den Text unter welchen Umständen, mit welcher Erfahrung und wozu? Liegt ein ganzer Text vor? Ist der Text Teil eines Ganzen? Es ist sicherlich nicht nötig, alle Fragen zu stellen, um den Fall zu lösen – aber es müssen die richtigen sein.

Für ein Lese- und Reisebuch1 sollte ich einige Seiten aus einem Roman der 1980-er Jahre übersetzen. Belletristik, wenn auch in einer grauen tschechoslowakisch-sozialistischen Vergangenheit sich ab-spielend, so doch auch für einen heutigen Leser gut nachvollziehbar, eine dramatische Liebesgeschichte2. Der Held des Romans (Pavel) reist seiner Geliebten (Julka) heimlich von Prag in deren ostslowakische Heimatstadt Košice nach, um sie dort zu überraschen. Der mir vorliegende Auszug begann mit einem Brief Julkas an Pavel, in dem sie ihm mitteilt, dass sie dort für längere Zeit bleiben wird. Übersetzen sollte ich allerdings erst vier Seiten später, ab dem Zeitpunkt, als Pavel, bereits in Košice angekommen, sie dort sucht. Es war nicht viel, bloß das eher zufällige Treffen der beiden Liebenden, das jedoch ganz anders verläuft, als Pavel es sich vorgestellt hatte, und mit einer Verabredung endet, die Julka vermutlich nicht einhalten wird. Die letzten Worte „Niemand ging, niemand kam.“ ließen mich als Leser äußerst unbefriedigt. Glücklicher-weise hatte man mir einige Seiten mehr zugeschickt, und so las ich weiter: Pavel beschließt, Julka zuhause abzuholen (er weiß, wo sie wohnt), doch vergeblich, sie ist nicht da. Stattdessen gerät er in eine slapstickreife Verwechslungssituation – für den Leser sehr lohnenswert! Ich erhielt die Erlaubnis, auch diese Passage zu übersetzen, die den Leser für das missglückte Liebestreffen versöhnlich stimmen sollte. Doch diese Stelle hatte es in sich. Ebenso überrascht wie Pavel ist der Leser, als nicht wie erwartet Julka, sondern ein fremder älterer Mann die Tür öffnet, der sich aber schnell als Julkas Vater herausstellt. Doch als obendrein eine fremde ältere, äußerst attraktive Dame hinzukommt und sich als ebendie Frau vorstellt, nach der Pavel gefragt hatte, wird es unübersichtlich. Wer ist diese Dame? Es gesellen sich weitere Fragen hinzu: Wer ist Karolko, der in diesem Abschnitt ebenfalls, gleich dreimal, erwähnt wird? Warum muss die geheimnisvolle Dame gepflegt werden? Und weshalb schlägt ihre Stimmung plötzlich derart um, wird gar feindselig, als Pavel nach Julka fragt? Ein kleiner Trost bleibt – Pavel scheint ebenso verwirrt zu sein wie der Leser und findet sich schließlich alleine und ahnungslos vor dem Hauseingang wieder, als ihn ein kleines Mädchen am Ärmel zupft und ihm anbietet, ihm für zehn Kronen den Aufenthaltsort von „Tante Julka“ zu verraten. In diesem Augenblick ist der Leser gar gewillt, dem Kind das Geld selbst zuzustecken, um zu erfahren, was los ist…

Wie gesagt, hatte diese Stelle es in sich. Eine Wort-für-Wort-Übersetzung macht wenig Sinn, wenn das Ganze nicht klar ist – bei einem Textauszug nicht immer zufriedenstellend lösbar. Am meisten verwirrte die Stelle, in der von der Pflegebedürftigkeit jener attraktiven wie offenbar völlig gesund wirkenden Dame die Rede ist. Sollte hier vielleicht ein Missverständnis vorliegen, vielleicht geht es gar nicht um den Begriff „Pflege“ (im Original: „potřebuje ošetřovat“)? Hier waren die Muttersprachler des Vertrauens gefragt, und als der erste nur das bestätigte, was der Detektiv selbst bereits herausgefunden hatte, wurde ein zweiter befragt, vielleicht noch ein dritter… Als die nur die eine Version der (Kranken-)Pflege bestätigten, wurde ein Strategiewechsel nötig. Da einige Seiten mehr an Kontext vorlagen, konnte der Detektiv hier weiter nach Hinweisen suchen. Und er wurde fündig! Der Schlüssel befindet sich in Julkas Brief an Pavel. Darin erklärt sie nebenbei, warum sie für längere Zeit nach Košice fährt: Sie soll ihre kranke Schwieger-mutter pflegen! Ist dieser Bezug hergestellt, lassen sich schnell alle Fragen beantworten. Die geheimnisvolle Dame gleichen Namens ist niemand anders als Julkas Schwiegermutter, bei Karolko handelt es sich um deren Sohn, also um Julkas Mann. Und so ist auch klar, warum die Stimmung umschlägt, als Pavel, ein fremder Kerl aus Prag, sich nach Julka erkundigt, zumal zwischen den Zeilen etwas (wohl ein Vorfall außerhalb des Textausschnittes) in der Luft liegt, worauf man jedoch nur aufmerksam wird, wenn man das Ganze im Blick hat. Übrigens erklärt sich dadurch ebenfalls, warum Karolko eine so undankbare Rolle innehat, die Haltung des Erzählers ist sehr nahe an der Wahrnehmung Pavels, und deshalb löst sich wiederum erst im Nachhinein das Rätsel um die Pflegebedürftigkeit der Schwiegermutter auf, nämlich als ein Vorwand, um die untreue Julka im heimischen Košice unter Kontrolle zu halten.

Den Sachverhalt zu entschlüsseln war in diesem Fall eine besonders reizvolle Aufgabe. Der Text allein baut eine gewisse Spannung auf, indem er Lücken lässt; jedoch wird dabei von einem Informations-stand ausgegangen (Frage nach dem Kontext!), der sich bis zu dem zu übersetzenden Textauszug allmählich aufgebaut hat. So dürften dem Leser des ganzen Romans etwa Julkas familiäre Verhältnisse oder die Identität Karolkos klar sein, während wir hier bei unserer detektivischen Kombination von Null an beginnen. Zweifelsohne wird niemand diese Seiten so aufmerksam nachvollziehen und rekonstruieren wie der Detektiv-Übersetzer, und deshalb ist es auch so wichtig, dass alles in sich stimmt. Was haben wir von einem vergraulten weil unnötig verwirrten Leser? Hier endet die Arbeit der Spürnase, und nun wird der Übersetzer aktiv: Das Rätsel um Julka als Höhepunkt des Textabschnittes muss wieder neu geschaffen werden, und zwar so, dass es der Leser nachvoll-ziehen kann – ebenso muss es aber der Originalvorlage gerecht werden. Wieviel Interpretation braucht der Text? So wenig wie möglich! Ich habe mich dafür entschieden, an zwei Stellen die Aufmerksamkeit des Lesers durch Ergänzungen von Namen dezent zu lenken. Das Rätsel löst sich so nicht von allein, der Leser muss dafür immer noch eine Eigenleistung bringen, um es entschlüsseln zu können.

Nachdem nun alle Unklarheiten beseitigt worden sind, wollen wir sicher alle (einschließlich Verleger) wissen, wo Julka nun steckt. Pavel bekommt eine Adresse genannt, die er nach langem Suchen endlich findet, und platzt in den fortgeschrittenen Abend einer illustren Gesellschaft hinein, mittendrin Julka, die beim Anblick Pavels vom Schoß eines fremden Mannes (Kornél) rutscht… Wer dieser nun wieder ist, das kann innerhalb des Kontextes nicht aufgelöst werden. Der Fall ist also bis auf weiteres abgeschlossen, bei Vorlage eines neuen Sachverhalts erklären sich Detektiv und Übersetzer gerne bereit, die Ermittlungen wieder aufzunehmen.

1 Košice – Kaschau. Ein Reise- und Lesebuch. Hgg. v. Dušan Šimko, ersch. im Arco-Verlag, Wuppertal 2013.
2 Zídek, Karel: Jako jed. Prag 1982.

Notizen aus der Werkstatt: Die Entdeckung der Rorýsy

21. 1. 2014

Martina Lisa: Die Entdeckung der Rorýsy

Alles begann mit einem kurzen Gedicht des jungen tschechischen Dichters Ondřej Buddeus. intervall3.rtf., 2012 in seinem Gedichtband Rorýsy erschienen, von uns, beinahe beiläufig, 2013 bei unserem Treffen in Tübingen ins Deutsche übertragen. Ich ahnte damals noch nicht, dass mich die intervall-Gedichte noch lange begleiten werden.

An meinem Schreibtisch sitzend fragte ich mich nach dem ersten Lesen nun, was denn das tschechische Rorýsy bedeutete… ein Tier wohl, mehr aber wusste ich nicht. Eigentlich hätte es mir aus dem Aufbau, der Rhythmik und dem semantischen Spiel klar sein müssen.

Die zweispaltig verfassten Gedichte wirken zunächst wenig überraschend, doch die Spalten sind durch Zeilensprünge auf beinahe flatterhafte Weise miteinander verbunden: Mal fliegt ein Wörtchen hin, mal kommt es wieder zurück, in seinem eigenen Rhythmus. Die Sätze sind kurz und prägnant, sonst wären sie zu schwer für den sanften Flug der Bedeutungen. So leicht und flatternd muss auch die Übersetzung sein, damit die einzelnen Wörtchen einfach abheben können.

Es hätte mir bereits beim ersten Lesen klar werden müssen – Rorýsy sind Mauersegler. Seitdem beobachte ich des Öfteren, wie Mauer-segler vor meinen Zimmerfenstern hin und her gleiten. Manchmal horche ich auf, höre ihren Bewegungen zu und sehe dann vor mir die Zeilen aus Buddeus’ Gedichten flattern.

Eine kurze Begegnung, aus der sich ein intensives Verhältnis entwickelte.

Zsuzsanna Gahse – Begegnung mit dem Text

8. 1. 2014

Es gefällt mir vorzustellen, als ob der Übersetzungsprozess eine Mehlabsiebung sei. Das Mehl sei der vom Autor verfasste Text, das Sieb sei das Bewusstsein des Übersetzers. Alles, was durch das Sieb durchgeht, ist der erfasste Sinn. Die Klumpen, die im Sieb bleiben, ist alles, was dem Verständnis entronnen ist.

Die Übersetzung des Textes von Zsuzsanna Gahse „Nichts ist wie oder Rosa kehrt nicht mehr zurück“ war eine Begegnung mit der Autorin und ihrer eigenartigen Welt. Das war ein Kennenlernen, ein Versuch der Entschlüsselung der Geheimcode, der Enträtselung der Andeutungen, der Erkennung der Symbole. Das war die Erfassung des Charakters des Textes, seiner Stimmung, seines Rhythmus und seiner Melodik. Das war die Versenkung in seine Tiefe. Das war das Spiel mit der Sprache, die Vieldeutigkeit, die Diskrepanz und der Wortmangel. Das war die Verantwortung, die Zurückhaltung, das Geduld, der Frust, die Überwindung, das permanente Lernen und das Selbsterkenntnis. Das war die Zersplitterung, die zur Einheit geworden ist. Und das war das Verständnis, dass das Ganze nur noch ein Versuch, nur noch eine von mehreren Möglichkeiten ist.

 von Olga-Daryna Drachuk

KANN DIE SPRACHE INS UNÜBERSETZBARE ZERFALLEN?

4. 1. 2014

In den Nürnberger Kammerspielen erlebte im Dezember das – insbesondere sprachlich – sehr interessante Stück “Eine Schneise” von Händl Klaus die deutsche Erstaufführung. Händl Klaus wurde als Dramatiker des Jahres 2006 ausgezeichnet und erhielt 2013 gemeinsam mit Friederike Roth den Gerd-Jonke-Preis. Das vom österreichischen Autor als Musikstück bezeichnete Werk “Meine Bienen. Eine Schneise” wurde bei den Salzburger Festspielen 2012 uraufgeführt.

Nach einem Brand ermittelt Inspektor Peter in einem Wald, in dem die Lehrerin Kathrin mit ihrem Sohn Lukas wohnt. Später gesellt sich noch der Imker Wim dazu. Es werden Themen behandelt wie die Übermacht der Natur, der gescheiterte Umgang mit problematischen (oder hochbegabten?) Kindern, die Spiegelung eigener Mängel im Verhalten der Kinder und die Hilflosigkeit der Erwachsenen, wenn schließlich sie von diesen Kindern verlassen werden. Die Szenerie ist düster, lustvoll und lustig zugleich.

Die Figuren täuschen Intimität vor in einer Art von Kommunikation, die kein echter Dialog ist, denn die Protagonisten teilen sich die Wort für Wort zerstückelten Texte. Dadurch entsteht ein Sprachgeflecht, das man von außen beinahe willkürlich in beliebig lange Sätze trennen kann, die dadurch unterschiedliche Bedeutungen gewinnen. Eine aufregende Herausforderung für den Übersetzer.

Der Autor erzählte mir, dass das Werk bereits ins Französische übersetzt wurde. Kann man diese Tatsache als beruhigend betrachten und davon ausgehen, dass eine derartig ausgefeilte Sprachkomposition doch nicht unübersetzbar ist?

von Karmen Schödel

 Lesen Sie mehr.

DIE DEUTSCH-SLOWENISCHE GRUPPE KOSTETE DAS WORT IM RAHMEN DER 29. SLOWENISCHEN BUCHMESSE

27. 11. 2013

Zum Auftakt des Lokaltreffens besuchte die deutsch-slowenische Gruppe die 29. Slowenische Buchmesse. Im Rahmen des Programms des Verbands slowenischer Schriftsteller “Pokusimo besedo” (“Kosten wir das Wort”) stellten sich drei junge österreichische Autoren vor. Fabian Faltin las aus seinem Roman “Sag Ja zu Österreich”, einem Panorama des ländlichen Lebens in Österreich, das von drei Auslandsösterreichern handelt, die aus Berlin in das Heimatland zurückkehren. Im Roman der freien Theater-Regisseurin und Schriftstellerin Isabella Feimer, “Der afghanische Koch”, mit dem die Autorin zur besseren Einsicht ins Leben von Migranten in Österreich beitragen möchte, geht es um Liebe und Krieg. Der Roman “Geister und Tattoos” von Robert Prosser führt uns in die Wälder des armenischen Kaukasus. Den Stoff sammelte der Autor auf seinen Reisen nach Armenien und Bergkarabach. Die Zuschauer konnten die vorgestellten Ausschnitte in der Übersetzung von Amalija Maček bereits auch in der slowenischen Sprache kosten. Die anschließende Diskussion ergab, dass die Protagonisten der drei vorgestellten Werke, obgleich sie im Grunde sehr unterschiedlich sind, als Suchende nach eigenen Wurzeln viel Gemeinsames haben. Die Autoren waren der Meinung, dass die relativ kleine Literaturszene in Österreich mit zahlreichen kleinen Verlagen viel Raum zum Experimentieren mit der Sprache und zum Spielen mit dem Stil bietet. Zusammen mit dem ausgeprägten Stilbewusstsein in der aktuellen österreichischen Literatur wird dadurch ein wesentlicher Beitrag zur Entwicklung der Sprache geleistet. Auch sei österreichische Literatur sehr offen zur Musik, Performance und zu anderen Darstellungsformen, wodurch schriftstellerisches Denken in andere Medien übergehen kann. Dies bewiesen die Autoren Faltin und Prosser gleich vor Ort mit einer furiosen, Gänsehaut erzeugenden Performance der Trinkrede an die Toten aus dem Roman “Geister und Tattoos” mit improvisierten Trommeln.

                                                                                                                                                                 von Karmen Schödel

NEMŠKO-SLOVENSKA SKUPINA POKUSILA BESEDO NA 29. SLOVENSKEM KNJIŽNEM SEJMU

Lokalno srečanje nemško-slovenske skupine se je pričelo z obiskom 29. Slovenskega knjižnega sejma. V okviru programa Društva slovenskih pisateljev »POKUSIMO BESEDO« so se predstavili trije mladi avstrijski avtorji. Fabian Faltin je zbranim prebral odlomek iz romana Sag Ja zu Österreich (Reci Avstriji Ja), ki prikazuje življenje na avstrijskem podeželju in govori o treh v tujini živečih Avstrijcih, ki se vrnejo iz Berlina v domovino. Gledališka režiserka in pisateljica Isabella Feimer želi v romanu Der afghanische Koch (Afganistanski kuhar), kjer se vse vrti okoli ljubezni in vojne, ponuditi boljši vpogled v življenje migrantov v Avstriji. Roman Geister und Tattoos (Duhovi in tetovaže) pisatelja Roberta Prosserja bralca popelje v gozdove na armenskem delu Kavkaza. Gradivo za roman je avtor zbiral na popotovanjih po Armeniji in Gorskem Karabahu. Predstavljene odlomke so obiskovalci lahko pokusili tudi v slovenskem prevodu Amalije Maček. Sledil je pogovor z avtorji, v katerem so prišli do zaključka, da so si glavni junaki vseh treh predstavljenih del sicer med seboj zelo različni, vendar pa je vsem skupno iskanje lastnih korenin. Avtorji so se strinjali, da relativno majhna literarna scena v Avstriji ob številnih majhnih založbah ponuja veliko prostora za eksperimentiranje z jezikom in igranje s slogom. To ob izrazitem zavedanju sloga v sodobni avstrijski književnosti pomembno prispeva k razvoju jezika. Prav tako je avstrijska literatura zelo odprta do glasbe, nastopanja in drugih oblik uprizoritve, s pomočjo katerih lahko razmišljanje pisateljev prenesemo v druge vrste medijev. To sta na licu mesta dokazala tudi Fabian Faltin in Robert Prosser, ki sta v burnem nastopu, ob katerem smo obiskovalci dobili kurjo polt, z igranjem na improvizirane bobne predstavila napitnico mrtvim iz romana Geister und Tattoos (Duhovi in tetovaže).

                                                                                                                                                               Prevod Alenka Lavrin

GERMAN-SLOVENIAN GROUP “TASTES THE WORD” AT 29TH SLOVENIAN BOOK FAIR

The local meeting of the German-Slovenian group began with a visit to the 29th Slovenian Book Fair. The program of the Slovenian Writers’ Association event “Taste the Word” (Pokusimo besedo) included a presentation of three young Austrian writers. Fabian Faltin read from his novel Sag Ja zu Österreich (Say Yes to Austria), which presents Austrian suburban life and tells the story of three Austrians that lived abroad and returned from Berlin to their homeland. Isabella Feimer, a writer and theatre director, offers better insight into the life of immigrants to Austria through her novel Der afghanische Koch (The Afghan Cook), building her story around love and war. The novel Geister und Tattoos (Ghosts and Tattoos) by Roberta Prosser takes the reader into the woods of the Armenian part of the Caucasus Mountains. The author collected the material for his novel on his journeys through Armenia and Nagorno-Karabakh. Visitors were also able to read the parts presented from the novels in the Slovenian translation by Amalija Maček. The discussion concluded that, although the main characters in the three novels are very different from one another, they share the search for their roots. The authors also commented on the relatively small Austrian literary scene, which together with many small publishers offers much room for experimenting with language and playing with style. This and a distinct awareness of style in modern Austrian literature contribute to development of the language. Austrian literature is open to music, performance, and other forms of presentation that can transform a writer’s thinking in other media. Fabian Faltin and Robert Prosser proved this on stage with a furious, goosebump-raising performance on improvised drums of the toast to the dead from the novel Geister und Tattoos (Ghosts and Tattoos).

   Translated by Alenka Lavrin

Newsletter

Blog

Übersetzungswürfel

Translating cube

Veranstaltungen

Events