Einige Gedanken über die Funktionen soziolektaler Elemente in literarischen Texten und deren Übersetzung

27. 3. 2015

Es scheint, als hätte jahrhundertelang niemand an der Standardsprache als adäquate Form für die Literatur gerüttelt. Plötzlich erscheinen soziolektale Formen in literarischen Werken und stellen die bisherigen Sprachnormen in Frage. Wo endet die Standardsprache wo beginnen die Soziolekte? In welchem Verhältnis steht ein Soziolekt zur Standardsprache? Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass die Sprache ein Diasystem mit mehreren Subsystemen ist. Diese Subsysteme oder sprachlichen Varianten können als Dialekte, Soziolekte usw. definiert sein, je nach theoretischem Ansatz gehen hier die Verteilungsmuster auseinander. Bei Soziolekten handelt es sich um verschiedene sprachliche Formen, die jeweils in einer bestimmten, komplexen Relation zueinander und zur Standardsprache stehen. In einer sprachlichen Handlung werden auf metasprachlicher Ebene (zusätzliche) Informationen über den Sprecher und bestimmte Konnotationen vermittelt. Die Verwendung eines Soziolekts erfüllt somit bestimmte Funktionen in der Kommunikation.

Werden soziolektale Elemente in einem literarischen Text verwendet, verschieben sich gewisse Bedingungen aufgrund der veränderten Gegebenheiten. Die Literatur ist als eine gesellschaftliche Institution zu betrachten, die die Fiktion als wichtigstes Merkmal aufweist und einen wichtigen Teil des imaginativen Diskurses einer Gesellschaft darstellt. Fiktionale Texte wecken beim Leser bestimmte Erwartungen (vgl. Skubic 2005: 105-107).

Im Laufe der schrittweisen Verschriftlichung der Kultur und der Standardisierung der Sprache stehen Standardsprache und Soziolekte bei der Verwendung als Sprache für literarische Texte immer wieder in unterschiedlicher Beziehung zueinander. Die Schreibweise einer Epoche weist spezifische Merkmale auf, die sich von denen einer anderen unterscheiden. Roland Barthes beschreibt diese sich historisch verändernden Verhältnisse in seinem Werk Am Nullpunkt der Literatur. Durch die Neuorientierung in der Verwendung von Sprache in der Literatur werden literarische Normen aufgebrochen und gesellschaftliche Gegebenheiten auf anderen sprachlichen bzw. literarischen Ebenen dargestellt. Barthes (1982: 93-94) erläutert dazu detailliert:

„Während dieser Augenblicke, in denen der Schriftsteller den tatsächlich gesprochenen Sprachen folgt, nicht weil sie pittoresk sind, sondern weil sie die wesentlichen Objekte darstellen, die den ganzen Gehalt der Gesellschaft ausschöpfen, mach die Schreibweise die tatsächliche Rede der Menschen zu einem Ort für ihre Reflexe; die Literatur [...] weist sich als Aufgabe zu, unmittelbar, noch vor jeder anderen Botschaft, zu berichten von der Situation der Menschen, die eingemauert sind in der Sprache ihrer Klasse, ihrer Provinz, ihres Berufes, ihres Erbes oder ihrer Geschichte.

In dieser Hinsicht entledigt sich die auf der sozialen Rede fundierte literarische Sprache niemals einer Tugend der Beschreibung, durch die sie begrenzt wird, denn die Universalität einer Sprache ist – im augenblicklichen Zustand der Gesellschaft – eine Erscheinung des Hörens und keineswegs des Sprechens: Im Inneren einer nationalen Norm wie der des Französischen unterscheiden sich die Sprechweisen von Gruppe zu Gruppe, und jeder Mensch ist Gefangener seiner Sprache. Außerhalb seiner Klasse kennzeichnet ihn sein erstes Wort, es situiert ihn und stellt ihn mitsamt seiner Geschichte zur Schau. Der Mensch wird dargeboten und ausgeliefert durch seine Ausdrucksweise, verraten durch eine formale Wahrheit [...]. Die Wiederherstellung der gesprochenen Sprache, die ihren Anfang durch amüsierte Nachahmung des Pittoresken nahm, hat denn auch dazu geführt, den ganzen Gehalt des sozialen Widerspruchs auszudrücken.“

In etwas konkreterer Form unterscheidet Czennia (2004: 508) zwischen textinternen und konnotativen, autorenbezogenen sowie rezipientenbezogenen Funktionen von Soziolekten in literarischen Texten. Wie der Text auf den einzelnen Leser wirkt, spielt eine große Rolle im Rezeptionsprozess. Soziolekte wirken auf bestimmte Weise, rufen Assoziationen hervor. Daraus ergeben sich einige Bedingungen, die bei der Übersetzung von Soziolekten in literarischen Texten zu berücksichtigen sind.

Aus diesen Ausseinandersetzungen wird auch klar, dass der Übersetzer selbst als Rezipient und Sprachproduzent einen nicht zu vernachlässigenden Faktor im Rezeptions- und in weiterer Folge im Übersetzungsprozess darstellt. Trotz des sicherlich feinen Gespürs für Sprache und des durch Ausbildung und Erfahrung erweiterten Bewusstseins für Schwierigkeiten in der Übersetzung zwischen zwei Sprachen bewegt er sich letzten Endes in einem Bereich, der lediglich Teile aller jeweils vorhandenen sprachlichen Varianten abdeckt. Als Rezipient nimmt er einen Text mit seinen Merkmalen subjektiv wahr. Eine Übersetzung ist demzufolge immer eine mögliche Interpretation eines Textes durch ein Individuum zu einem gewissen Zeitpunkt. Der zu übersetzende Text selbst ist bereits eine sprachliche Momentaufnahme soziokultureller Gegebenheiten, der unter Zuhilfenahme übersetzerischer Werkzeuge an einem anderen Moment neu interpretiert wird. Der Übersetzungsvorgang selbst ist komplex. Man begibt sich auf sprachliche Metaebenen und versucht zuerst, die eigenen Eindrücke zu reflektieren und ein grobes Gerüst aus dem Ausgangstext zu erstellen, dabei spezielle sprachliche Formen, mögliche Konnotationen und einen als wahrscheinlich anzunehmenden Eindruck beim Rezipienten zu beachten. Danach kann man mit diesem Gerüst als Schablone den Versuch wagen, ein vergleichbares Gerüst in der Zielsprache aufzubauen. Der Übersetzer sucht für das Netz an sprachlichen Realisierungen etwas Gleichwertiges in der Zielsprache, befindet sich jedoch dabei selbst in einem individuellen, sozialen und historischen Rahmen an Möglichkeiten.

von Daniela Trieb

Literatur

Barthes, Roland (1982): Am Nullpunkt der Literatur. 1. Auflage der deutschsprachigen Ausgabe. Frankfurt am Main.

Czennia, Bärbel (2004): Dialektale und soziolektale Elemente als Übersetzungsproblem. In: Kittel, Harald et. al. (Hg.): ÜbersetzungTranslationTraduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung. Berlin. S. 505–512.

Skubic, Andrej E. (2005): Obrazi jezika. Ljubljana.

Myroslaw Dotschynez

11. 3. 2015

Ein bekannter ukrainischer Schriftsteller Myroslaw Dotschynez ist 1959 in Tscherniwzi geboren, hat an der Lwiwer Iwan-Franko-Nationaluniversität an der Fakultät für Journalistik studiert. Er ist Autor von über 20 Büchern, sowie auch Preisträger zahlreicher Prämien und Auszeichnungen, z.B. ein sehr in der Ukraine gewichtiger Schewtschenko-Preis 2014 wurde an Myroslaw Dotschynez für seine Romane „Krynytschar“ („Wasserträger“) und „Horjanyn“ („Bergmensch“) verliehen. 1998 hat er den Verlag „Karpatska Vezha“ gegründet, wo er als Hauptredakteur arbeitet und bei der Veröffentlichung der Bücher mitwirkt.

Insgesamt hat Myroslaw Dotschynez schon über 20 Bücher geschrieben, die bekanntesten darunter sind: „Er und sie“, „Brot und Schokolade“, „Hände und Seele“, „Krynytschar“ („Wasserträger“), „Witschnyk“ („Der ewige Mann“) und „Horjanyn“ („Bergmensch“).

Die Werke von Myroslaw Dotschynez sind für anspruchsvolle Leser geschrieben, Kritiker schreiben, sie seien „eine besondere Insel der ukrainischen Literatur, Bücher von tiefem Sinn“. Myroslaw Dotschynez selber meint, Bücher seien ein Geschenk Gottes, durch die Bücher sprechen wir mit Gott. Bücher sind in seinen Augen keine Unterhaltung, sondern innerliche Freiheit, eine innere Entwicklung.

Beim Schreiben sind für den Schriftsteller die Wortwahl, der Wortschatzreichtum und der Klang der Sprache besonders wichtig. Über sein Schaffen erzählt der Autor folgendes: „Jedes Mal, wenn ich ein Buch zu schreiben beginne, weiß ich nicht, wie es endet. Ehrlich! Ich lebe unter meinen Protagonisten, sie führen mich hinter sich und jedes Mal lehren mich etwas. Also ist jeder Roman für mich eine Mitschrift einer geistigen Entwicklung“.

                 von Julija Mykytyuk

Das EU-Projekt “TransStar Europa” vom 12. bis 15. März 2015 auf der Leipziger Buchmesse

9. 3. 2015

In vier Veranstaltungen und mit mehreren Publikationen präsentiert sich das EU-Projekt “TransStar Europa” vom 12. bis 15. März 2015 auf der Leipziger Buchmesse.

In der Veranstaltung Von fremden Höfen und knarzenden Brettern lesen am 12. März, 17.00 bis 18.00 Uhr im Forum OstSüdOst, Halle 4, Stand E 505 Daniela Pusch und Magdalena Becher unter der Moderation von Martina Lisa urbane Poesie und Prosa der tschechischen Autorinnen und Autoren Alena Zemančíková, Jan Balabán, Ondřej Buddeus, Radek Fridrich und Jan Němec. Am Abend des 12. März heißt es 20.00 Uhr im Theater fact Europäische Geschichte erzählen. Und übersetzen. Autorinnen und Autoren aus den südslawischen Ländern sowie aus der Ukraine präsentieren Geschichten aus Vergangenheit und Gegenwart.

Im Forum OstSüdOst, Halle 4, Stand E 505 präsentiert am Samstag, dem 14. März, 10.30 bis 11.30 Uhr Kateryna Babkina die im Rahmen des TransStar-Projektes entstandene Videopoesie zu Orten des Übersetzens und kommt unter der Moderation von Schamma Schahadat mit ihrer Übersetzerin Sofia Onufriv ins Gespräch über die Wechselwirkung von Orten, Bildern und Texten.

Am 14. März, 21.00 Uhr, stellt Martina Lisa zusammen mit Lena Dorn in der Schaubühne Lindenfels in der Veranstaltung display.eu – zeitgenössische Poesie aus Tschechien, Deutschland und der Slowakei unter anderem den tschechischen Lyriker Ondřej Buddeus vor.

Als Sonderbeilage zur Leipziger Buchmesse erscheint am 10. März Beton International in der taz. Beton versammelt südslawische Autorinnen und Autoren und präsentiert die Ausgabe in einer Veranstaltung am 12. März, 20.00 Uhr in der nato, Karl-Liebknecht-Straße 37. Zu den Übersetzerinnen und Übersetzern der Ausgabe gehören Evelyn Sturl, Paul Gruber, Maja Konstantinovic, Vivian Kellenberger und Anna Hodel.

Zeitgenössische Poesie aus Deutschland, Tschechien und der Slowakei

16. 2. 2015

Seit August 2014 ist das Web-Projekt namens displej.eu (http://displej.eu/) online – eine neue, dreisprachige Plattform für zeitgenössische Poesie. Autor*innen aus Deutschland, Tschechien und der Slowakei kommen hier zu Wort.

displej.eu entstand als ein Gemeinschaftsprojekt von zwei Literaturzeitschriften – der Prager Psí víno [etwa: Wilder Wein] und der Berliner Randnummer – hinter denen die Autoren und Herausgeber Ondřej Buddeus und Peter Dietze stehen. Neben der Web-Plattform, die kontinuierlich erweitert werden soll, ist am 30. Oktober 2014 eine gleichnamige Anthologie erschien. Das Heft ist eine spezielle Ausgabe der beiden Zeitschriften und stellt 14 Autor*innen sowie vier Literaturkritiker vor, die in ihren Essays die zeitgenössische Poesie und deren Formen in den drei Ländern reflektieren.

Alle Texte sind jeweils zweisprachig publiziert: tschechisch-deutsch, slowakisch-deutsch und deutsch-tschechisch. Im Grunde genommen ist es also eine tschecho-slowakisch/deutsche Publikation. Das Übersetzen zwischen dem Tschechischen und Slowakischen, die so eng beieinander liegen, führe ad absurdum und machte aus der Sprache ein Politikum. Dabei steht eine andere Sprache im Mittelpunkt: Die Poesie. „Das Gedicht“, so heißt es im Vorwort, „bleibt ein sprachliches Faktum in HD. Um dieses Faktum, oder besser gesagt «Artefaktum», zu erhalten heißt es Suchen und Entdecken [...]“. Eine ganze Breite an Texten, Ideen, Formen und Verfahren zeitgenössischer Lyrik eröffnet sich hier vor den Leser*innen und lädt ein zu einem Ausflug in die deutsch-tschechisch-slowakische Poesiewelt. Und dieser Ausflug ist auf jeden Fall lohnenswert.

Das auch grafisch sehr ansprechende Heft (Grafikdesign von Štěpán Marko aus Prag) wurde bereits auf der release-Veranstaltung in Prag, sowie bei Präsentationen in Berlin und Bratislava vorgestellt. Weitere Lesungen folgen: Die nächste findet im Rahmen der Leipziger Buchmesse, in der Schaubühne Lindenfels statt: http://www.schaubuehne.com/index.php?id=eventdetails&no_cache=1&eventID=1686&day=1426330625

 Martina Lisa (Leipzig)

Schreiben und Übersetzen aus der Perspektive der Mehrsprachigkeit: Das Gespräch zwischen Prof. Dr. Schamma Schahdat und Dr. Ilma Rakusa

30. 1. 2015

Wir möchten Sie herzlich einladen zu einer Veranstaltung mit unserer Tübinger Kooperationspartnerin Prof. Dr. Schamma Schahadat (Universität Tübingen, Netzwerk Kulturwissenschaft) an der Universität Konstanz:

Das Gespräch zwischen Prof. Dr. Schamma Schahdat und Dr. Ilma Rakusa (Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin, Literaturübersetzerin aus Zürich) über

Schreiben und Übersetzen aus der Perspektive der Mehrsprachigkeit

findet am 3. Februar 2015 von 17.00 bis 18.30 Uhr in Raum A703

im Rahmen der Ringvorlesung „Mehrsprachigkeit“ des gleichnamigen Zentrums an der Universität Konstanz statt. Es ist eine Kooperation mit dem Exzellenzcluster “Kulturelle Grundlagen von Integration” und mit dem EU-Projekt “TransStar Europa” (http://transstar-europa.org/ )

Schamma Schahadat ist Professorin für slavische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen und am Netzwerk Kulturwissenschaft beteiligt, in dem Wissenschaftler/innen der Universität Tübingen mit Mitgliedern des Exzellenzclusters zusammenarbeiten.

Ilma Rakusa ist Schriftstellerin, Übersetzerin und Literaturwissenschaftlerin. Geboren ist sie in der Slowakei, ihr Vater war Slowene, ihre Mutter Ungarin, und  bevor sie mit ihren Eltern in die Schweiz kam, ist sie in Budapest, Ljubljana und Triest aufgewachsen. Studiert hat sie Slavistik und Romanistik, unter anderem in Paris und Petersburg. Sie schreibt auf Deutsch und hat aus dem Russischen, Französischen, Ungarischen und Serbokroatischen übersetzt.

Mehr Mehrsprachigkeit in einer Biographie und im Leben und Schreiben kann es kaum geben. Um diese Erkundung immer neuer Sprachen wird es in dem Gespräch zwischen Schamma Schahadat und Ilma Rakusa gehen, um die Beziehung zwischen Mehrsprachigkeit, Schreiben und Übersetzen. Ilma Rakusa wird kurze Passagen aus ihren eigenen und übersetzten Texten lesen.

Einladung.

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Der Autor und ausgezeichnete Übersetzer Fabjan Hafner in Ljubljana

29. 12. 2014

Am 4. Dezember 2014 versammelte sich die deutsch-slowenische Gruppe im Haus des Verbandes der slowenischen Literaturübersetzer (Društvo slovenskih književnih prevajalcev). Der Gast des Abends war einer der wichtigsten Literaturübersetzer aus dem Slowenischen ins Deutsche Fabjan Hafner. Das Gespräch wurde von unserer Werkstattleiterin Amalija Maček moderiert. Fabjan Hafner, der am Vortag „Lavrinova diploma“ (renommierte Auszeichnung für hervorragende Leistungen beim Vermitteln der slowenischen Literatur in andere Sprachen) erhielt, erzählte unter anderem, dass er sich seit seinem 14. Lebensjahr mit literarischem Übersetzen beschäftigt, wobei seine Anfänge sehr interessant und ziemlich ungewöhnlich waren. Mit Amalija Maček unterhierlt er sich auch noch über die soziolinguistische Lage der slowenischen Minderheit in Kärnten, und las im Laufe des Abends zwei von ihm aus dem Slowenischen ins Deutsche übertragene Gedichte vor. Hafner schreibt auch selbst, deswegen ist ihm wichtig, dass er dem Autor treu bleibt.

 Text und Fotos von Ana Dejanović und Alenka Lavrin

Hier finden Sie einige Fotos.

Das Festival Borštnikovo srečanje in Maribor

29. 12. 2014

2015 wird es seinen fünfzigsten Geburtstag feiern, das älteste und bedeutendste Theaterfestival Sloweniens. In erster Linie ist es als großes nationales Festival bekannt, das die besten Produktionen der vergangenen Spielzeit im Wettbewerbsprogramm zeigt und dessen Preisverleihung live im staatlichen Fernsehen übertragen wird. Dabei hat es in den vergangenen Jahren unter der künstlerischen Leitung von Alja Predan auch eine stärkere internationale Ausrichtung erfahren. Seit 2010 werden im Showcase-Programm komprimiert an vier Tagen die für den internationalen Austausch interessantesten Produktionen gezeigt, was von Jahr zu Jahr mehr Festivalkuratoren und internationale Kritiker nach Maribor lockt. Über das Programm „Brücken“ kommen im Gegenzug Gastspiele aus anderen europäischen Ländern auf die Bühnen der Stadt. Außerdem steht seit 2011 jedes Jahr ein anderes Land mit szenischen Lesungen, Podiumsdiskussionen, einem Gastspiel und einer Publikation von zeitgenössischen Stücken in slowenischer Übersetzung im „Fokus“ des Festivals. Nach der Slowakei, Tschechien und den Niederlanden war es 2014 Spanien.

Mindestens genauso interessant wie die zahlreichen Inszenierungen ist das umfangreiche Begleitprogramm an Publikumsgesprächen, Podiumsdiskussionen, Fortbildungen für den künstlerischen Nachwuchs – wie zum Beispiel dem Schreibworkshop “Instant drama” – und Symposien zu wechselnden Themen. 2014 war eine mehrtägige Reihe dem „Theater des Widerstandes“ gewidmet, unter anderem mit Beiträgen von Vertretern des während des Zweiten Weltkrieges aktiven slowenischen Partisanentheaters. Auch wenn die freien Gruppen heute ihre Kostüme nicht aus Fallschirmstoff schneidern müssen, sind viele der damaligen Fragen und Probleme nach wie vor hoch aktuell.

Weitere Informationen: http://www.borstnikovo.si und ttp://partizanskogledalisce.si/

von Lydia Nagel

Die Normen beim Übersetzungsprozess

29. 12. 2014

Die Translationswissenschaft war lange eher präskriptiv orientiert und befasste sich vorwiegend mit der Frage, was die beste Art des Übersetzens sei. Für einige Translationswissenschaftler in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts würde die Frage, wieso Übersetzer auf eine gewisse Art und Weise übersetzen jedoch interessanter; sie wollten nicht vorscheiben, wie übersetzt werden soll, sondern das Phänomen des Übersetzens in erster Linie beschreiben – daher der Begriff „deskriptive Translationswissenschaft“. Gideon Toury, ein einflussreicher Vertreter der deskriptiven Translationswissenschaft, befasste sich unter anderem mit der Rolle der „Normen“ beim Übersetzungsprozess. Toury behauptet, dass Übersetzen durch drei Arten von Normen bestimmt wird:

Die Ausgangsnormen [initial norms] betreffen die Adäquatheit [adequacy] und die Akzeptabilität [acceptability] der Übersetzung. Bei einer adäquaten Übersetzung richtet sich der Übersetzer nach den Normen der Ausgangskultur; diese werden in die Zielkultur übertragen. Bei einer akzeptablen Übersetzung wird hingegen der Text an die Normen der Zielkultur angepasst.

Bei den Vornormen [preliminary norms] handelt es sich vor allem um die jeweilige Übersetzungspolitik; z.B. welche Kulturen bevorzugt werden, welche Autoren und welche Textsorten übersetzt werden.

Die Operativnormen [operational norms] beziehen sich auf konkrete Entscheidungen beim Übersetzen, z.B. inwieweit verschiedene Elemente des Originals beim Übersetzen modifiziert werden, was ausgelassen wird usw. (Unter dem Begriff „Übersetzung“ versteht Toury nämlich alle Texte, die in der jeweiligen Kultur als Übersetzung gelten – auch Adaptionen und sogar Pseudoübersetzungen.)

In den 90er Jahren wandte sich die Translationswissenschaft im größeren Masse dem Übersetzer als Individuum zu. Im Aufsatz „The Pivotal Status of the Translator’s Habitus“ (1998) von Daniel Simeoni findet das von Pierre Bourdieu entwickelte Konzept des Habitus auch in der der Translationswissenschaft Anwendung. Simeoni befasst sich mit der Frage, wieso sich die meisten Übersetzer – obwohl sie verschiedene Handlungsmöglichkeiten haben – den zeitgenössischen Übersetzungsnormen unterwerfen. Er meint, dass Übersetzer die Fremdzwänge, denen sie ausgesetzt sind, nach einiger Zeit internalisieren, und sie deshalb gar nicht mehr als Zwänge empfinden.

Einen Überblick der Entwicklung dieser Theorien findet man in Entwicklungslinien der Translationswissenschaft: Von den Asymmetrien der Sprachen zu den Asymmetrien der Macht von Erich Prunč (2007, Frank & Timme, S. 234–236, 314–317).

 von Janko Trupej

Bohumil Hrabal: Ein Perlchen am Grund (Ein Leseabend mit Daniela Pusch und Mirko Kraetsch)

21. 11. 2014

Am 21. 10. 2014 lud das Berliner Literaturhaus zu einem Abend mit tschechischer Literatur ein. Daniela Pusch, Übersetzerin und TransStar-Teilnehmerin, hat ihre nur wenige Wochen alte Übersetzung von Bohumil Hrabals Erzählung „Ein Perlchen am Grund“ vorgestellt, mit der sie den deutschen Teil des internationalen Übersetzerwettbewerbs der Tschechischen Zentren gewann. Der Wettbewerb wurde anlässlich Hrabals 100. Geburtstages ausgeschrieben.

Die meisten Gäste nutzten die paar freien Minuten vor der Veranstaltung zum Besuch einer Ausstellung zu Bohumil Hrabal und seinem Leben und Werk, die den Leseabend um viele Fakten und Fotos ergänzt hat. Die Ausstellung „Wer bin ich. Bohumil Hrabal: Schriftsteller – Tscheche – Mitteleuropäer“ kann im Literaturhaus Berlin noch bis zum 23. 11. besucht werden. Neben Daniela Pusch saßen Mirko Kraetsch, der aus dem Tschechischen und Slowakischen übersetzt und bei dem Wettbewerb Jurymitglied war, und Christina Frankenberg vom Tschechischen Zentrum, die die Moderation übernahm.

Danielas Übersetzung und vor allem ihre fast schon schauspielerische Darbietung der Geschichte zeigten bei den Zuhörern große Wirkung und unterstrichen die humorvolle Art und Leichtigkeit, mit der Hrabal seine Figuren in unendliche Gespräche verwickelt, die durch das Anreihen von kleinen Geschichten und Episoden entstehen. Und während im großen Kessel inmitten eines alten Holzschuppens das Mausolin blubberte, lernten die Zuhörer den alten Drogistendiener und seinen Handlanger kennen, wie auch ihre halbe Verwandtschaft, die nächsten Nachbarn, Einzelheiten aus ihrer Vergangenheit und das Neuste über ihren Gesundheitszustand. Und Anita natürlich, die riesige Bordeaux-Dogge.

Die zweite Hälfte des Leseabends war einem Gespräch über Danielas Übersetzung, den Wettbewerb und das Übersetzen an sich gewidmet. Mirko Kraetsch erzählte über die Hintergrunde der Juryentscheidung, so dass die Zuhörer nachvollziehen konnten, wie die Jurymitglieder bei ihrer Wahl vorgegangen sind und welche Schwierigkeiten sich darin verbergen, wenn man mehrere Versionen eines und desgleichen Textes vergleichen und daraus den besten auswählen soll. Beide Übersetzer haben auch sehr unterhaltsam von den Problemen, an die sie immer wieder bei der Arbeit stoßen, und ihren Lösungen oder wenigstens Lösungsversuchen berichtet. Das überaus interessante Gespräch über das Übersetzen und über Bohumil Hrabal wurde später im Literaturhaus-Café bei einem Glas Wein noch einige Stunden fortgesetzt.

 von Katka Ringesová

(„Syberyjski sen. Opowieść bezdrożna“) – Zofia Piłasiewicz, Gliwice 2014

2. 11. 2014

„Sibirischer Traum. Eine weglose Geschichte“

„Sibirischer Traum. Eine weglose Geschichte“ von Zofia Piłasiewicz ist eine Geschichte für alle, in denen eine unerklärte Sehnsucht nach weit entfernten, wilden Gebieten döst, wo Flüsse, Zedern und Lärchen auf dem endlosen Raum regieren. Es ist eine Geschichte für diejenigen, deren Lungen und Seelen die Luft, die nach Leben duftet, brauchen – eine Geschichte für Draufgänger, die bereit sind, die ganze Bequemlichkeit, allerlei Gewohnheiten und Überzeugungen, die angesichts der allmächtigen Kräfte der Natur ganz belanglos sind, loszuwerden.

Die Autorin Zofia Piłasiewicz ist eine Psychologin von Beruf. Reisen und Schreiben wurden zu ihrer Leidenschaft. Für ihren Bericht über die Exploration der höchsten Jenissei-Zuflüsse wurde sie 2005 mit dem Preis Kolosy (Kategorie Reisen) ausgezeichnet. Die Autorin wurde mehrmals in polnischen Lyrikwettbewerben ausgezeichnet. Sie beschäftigt sich auch mit Fotografie.

In dem Werk „Sibirischer Traum“ beschreibt Piłasiewicz ihre zwei Reisen nach Sibirien in Regionen von Tuwa und Burjatien, die sie mit ihrem Mann und einer Gruppe von Bekannten gemacht hat. In beiden Fällen fängt das Abenteuer in der transsibirischen Eisenbahn an. Vier Tage und Nächte überfüllt mit den Gesprächen mit Mitreisenden, die miteinander ihre Lebensgeschichten teilen, Schach- und Kartenspiele, Unmengen von getrunkenem Alkohol, lokale Leckereien an den Bahnhöfen, Rattern der Eisenbahnräder als Schlaflied… Ca. 5 000 km… Sljudjanka am Südufer des Baikalsees – es ist die Zeit, auszusteigen. Am Anfang der ersten Expedition begleiten wir die Autorin und ihre Bekannten bei der Fahrt mit dem alten GAZ 66, flehen lokale Götter und Geister um Wohlwollen an, um sich endlich auf einen langen Marsch durch die Taiga zu begeben, während dessen wir einen heroischen Kampf mit Unmengen von Hindernissen führen. Das Hauptziel der Expedition ist Zurücklegung einer Strecke auf den Flüssen Issyk-Sug und Chamsara bis Jenissei auf selbst gebauten Katamaranen. Unvorhersehbares Wasser, Unwetter, Schmerz, Gefahr seitens wilder Tiere, Unsicherheit, Angst, physische und psychische Erschöpfung sind unsere Begleiter. Gleichzeitig aber genießen wir die himmlische Ruhe, allgegenwärtige Naturwunder und das außergewöhnliche Gefühl der absoluten Freiheit. Die zweite Expedition fängt in Kysyl, der Hauptstadt von Tuwa an. Das Ziel – Fluss Ulug-O. Trotz größerer Erfahrung bieten wir die Stirn den ähnlichen Problemen wie letztens. Zum Trost eröffnet sich für uns seit langem ersehnte Taiga mit allen ihren Schätzen. Nicht zu unterschätzen während der beiden Reisen waren auch Begegnungen mit Einheimischen – mit ihrer Kultur, Schamanismus, ungewöhnlichen Sitten und Bräuchen. Die Krönung dieser Begegnungen war die Teilnahme an dem Volksfest Naadam.

„Sibirischer Traum“  ist kein typischer Reisebericht. Der Stil und die Form des Werkes mäandrieren wie ein sibirischer Fluss. Die Autorin vermischt detaillierte Beschreibungen der Natur mit fachsprachlichen Begriffen aus dem Segelbereich, Dialogen wie aus einem Abenteuerroman, Poesie und tuwinischen Mythen.

Ich empfehle das Buch allen, die nach etwas Frischem suchen – sowohl hinsichtlich der Form als auch des Inhalts.

von Magdalena Lewandowska

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